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Metzler Lexikon Philosophie: Gesellschaftsvertrag

Seiner Idee nach ist der G. ein Mittel zur Bestimmung rationaler oder legitimer Herrschaft. Auf der Basis des Naturrechts und der Annahme atomistischer Individuen soll durch eine freie Willensübereinstimmung freier und gleicher Individuen ein gesellschaftlicher Zusammenschluss erfolgen und eine Herrschaftsordnung begründet werden. Die Vertragstheorie soll den früheren Autoritätsglauben dadurch ersetzen, dass sie ein Modell des Vertrages offeriert, nach dem Individuen aufgrund ihrer natürlichen Interessen zu einer Vereinbarung über eine legitime gesellschaftliche oder staatliche Ordnung gelangen. Die grundlegende Idee des G.s ist, dass durch einen solchen vertraglichen Zusammenschluss eine Selbstverpflichtung für jeden einzelnen und gleichzeitig eine wechselseitige Verbindlichkeit entsteht, die als Grundlage einer Herrschaftsordnung die Zustimmung aller Vertragspartner finden kann. Die Argumentationsstruktur der Vertragstheorie beinhaltet drei Elemente: (1) Den Natur- oder Urzustand als fiktive Annahme, von der die rationale Überlegung auszugehen hat, (2) den Vertragsschluss als Resultat einer rationalen Überlegung und dessen Bedingungen; (3) die Benennung der Aufgaben der Herrschaftsordnung und deren Sicherstellung.

Losgelöst von den konkreten historischen Entwürfen des G.s lassen sich folgende allgemeine Merkmale benennen: Der G. enthält zwei Formen des Vertragsschlusses. Der G. im engeren Sinne stellt einen Vereinigungsvertrag (pactum societatis/unionis) dar, durch den sich die zunächst isolierten Individuen zu einer bürgerlichen Gesellschaft zusammenschließen. Diesem konstitutiven Akt schließt sich ein Herrschaftsvertrag an, in dem diese Gesellschaft eine Herrschaftsordnung begründet und die Bereitschaft ihrer Anerkennung als staatliche Autorität erklärt. Der Herrschaftsvertrag kann seinerseits näher bestimmt werden als Unterwerfungsvertrag oder als Begünstigungsvertrag. Letzterer besagt, dass die Mitglieder eines politischen Körpers zugunsten eines absoluten Souveräns jeden Anspruch auf eigene Machtausübung abtreten. – Bei Hobbes dient der Vertrag der Etablierung von Staatlichkeit und der Begründung von Herrschaft. Er beinhaltet den Rechtsverzicht, die Begünstigung und die Autorisierung. Rechtsverzicht bedeutet wechselseitiger Verzicht auf unbeschränkte Freiheit zugunsten einer obersten Zwangsgewalt. Im Begünstigungsvertrag (als Komponente des G.s) bestimmen die Vertragsschließenden einen Souverän und übertragen ihm das Gewaltmonopol. Die Autorisierung beinhaltet den Souveränitätsverzicht des Einzelnen und Verzicht auf das Recht auf Selbstregierung. Bei Hobbes ist der G. ein Herrschaftsbegründungsvertrag, der keinerlei Recht auf Regierung auf Seiten der Vertragspartner zurückbehält. Bei Locke hat der »original compact« zugleich eine herrschaftsbegrenzende Funktion. Die Aufgabe des Staates ist es, die Unsicherheit des Naturzustandes zu beseitigen, indem er die Respektierung der natürlichen Rechte sicherstellt. Bei Rousseau ist der Naturzustand in der Gefährdung der Selbsterhaltung, denen sich der Einzelne ausgesetzt sieht, begründet. Die rationale Motivation zu einem Vertragsschluss liegt in der Nützlichkeitserwägung im Hinblick auf die Verbesserung der Lebensbedingungen. Der G. ist ein Entäußerungsvertrag, in dem sich die Individuen einander versprechen, sich rückhaltlos einer absoluten Herrschaft zu unterwerfen und keine Rechte zurückzubehalten. Die Besonderheit des Rousseau’schen Vertrages liegt darin, dass die Vertragsschließenden die Position des Souveräns einnehmen. Die Herrschaftsordnung muss mit der Selbstbestimmungsfreiheit der Individuen im Einklang stehen, deshalb ist nur ein demokratisches Herrschaftssubjekt denkbar mit eigener gesetzgeberischer Willensbildung. Da die Souveränität beim Volk bleibt, bedarf es eines einheitlichen Willens, der das Gemeinwohl repräsentiert. Die volonté générale stellt sein Verfahrensprinzip dar: Alle sind an der Willensbildung beteiligt, und über eine einmütige Entscheidung stellt sich notwendigerweise als Resultat das Allgemeinwohl ein. Ihm hat sich jeder zu unterwerfen. Kant begründet den Eintritt in den Vertragszustand vernunftrechtlich. Im vorvertraglichen Zustand zeigt sich die Unzulänglichkeit des reinen Privatrechts. Der Übertritt in den Vertragszustand liegt in einer praktischen Vernunftidee begründet. Nach Vernunftbegriffen

betrachtet, ist der Vertrag als einvernehmlicher Zusammenschluss aller der einzig rechtmäßige Weg, der Vergesellschaftungspflicht zu entsprechen und dem unbedingten Rechts- und Freiheitszweck zu genügen. Die äußere Freiheit ordnet die praktische Vernunft durch das Rechtsprinzip: »Eine jede Handlung ist recht, die oder nach deren Maxime die Freiheit der Willkür eines jeden mit jedermanns Freiheit nach einem allgemeinen Gesetz zusammenbestehen kann« (Metaphysik der Sitten A 33). – Im Rahmen der vertragstheoretischen Diskussionen der Naturrechtstheoretiker wird ein Vertragsnetz von vier Verträgen ausgearbeitet: Als Erstes der G. (d.i. der bürgerliche Vereinigungsvertrag), der Herrschafts- und Unterwerfungsvertrag, der Verfassungsvertrag und schließlich der Verpflichtungsvertrag im Hinblick auf die nachfolgenden Generationen. – Die in der gegenwärtigen Diskussion vorherrschende Position der »Gerechtigkeit als Fairness« von Rawls überträgt dem Vertrag die Grundlegung von Prinzipien sozialer und politischer Gerechtigkeit. Der Ausgangspunkt der Argumentation ist die arbeitsteilig organisierte gesellschaftliche Kooperation. Die Grundidee ist, dass gerechtfertigte und objektiv verbindliche Prinzipien so bestimmt werden müssten, als wären sie aufgrund einer Entscheidung von freien und rationalen, nur ihren eigenen Interessen verpflichteten Personen entstanden. Diese Entscheidung müsste aber unter der Bedingung getroffen werden, dass die Personen alles Wissen über ihre reale Situation ausschalten (der »Schleier des Nichtwissens« als »original position«). Dadurch wäre die Unparteilichkeit und die Interessensidentität sichergestellt.

Literatur:

  • W. Euchner: Naturrecht und Politik bei John Locke. Frankfurt 1969 – I. Fetscher: Rousseaus politische Philosophie. Frankfurt 1975
  • Th. Hobbes: Leviathan. Frankfurt 1984
  • I. Kant: Metaphysik der Sitten
  • W. Kersting: Die politische Philosophie des Gesellschaftsvertrages. Darmstadt 1994
  • Ders.: Die Logik des kontraktualistischen Arguments. In: V. Gerhardt (Hg.): Der Begriff der Politik. Stuttgart 1990. S. 216 ff
  • J. Locke: Zwei Abhandlungen über die Regierung. Frankfurt 1977
  • J. Rawls: Eine Theorie der Gerechtigkeit. Frankfurt 1975
  • J.-J. Rousseau: Der Gesellschaftsvertrag. Stuttgart 1971
  • Ders.: Abhandlung über den Ursprung und die Grundlagen der Ungleichheit. In: Schriften zur Kulturkritik. Hamburg 1983. S. 77 ff
  • B. Willms: Die Antwort des Leviathan. Neuwied/Berlin 1970.

PP

  • Die Autoren
AA Andreas Arndt, Berlin
AB Andreas Bartels, Paderborn
AC Andreas Cremonini, Basel
AD Andreas Disselnkötter, Dortmund
AE Achim Engstler, Münster
AG Alexander Grau, Berlin
AK André Kieserling, Bielefeld
AM Arne Malmsheimer, Bochum
AN Armin Nassehi, München
AR Alexander Riebel, Würzburg
ARE Anne Reichold, Kaiserslautern
AS Annette Sell, Bochum
AT Axel Tschentscher, Würzburg
ATA Angela T. Augustin †
AW Astrid Wagner, Berlin
BA Bernd Amos, Erlangen
BBR Birger Brinkmeier, Münster
BCP Bernadette Collenberg-Plotnikov, Hagen
BD Bernhard Debatin, Berlin
BES Bettina Schmitz, Würzburg
BG Bernward Gesang, Kusterdingen
BI Bernhard Irrgang, Dresden
BK Bernd Kleimann, Tübingen
BKO Boris Kositzke, Tübingen
BL Burkhard Liebsch, Bochum
BR Boris Rähme, Berlin
BS Berthold Suchan, Gießen
BZ Bernhard Zimmermann, Freiburg
CA Claudia Albert, Berlin
CH Cornelia Haas, Würzburg
CHA Christoph Asmuth, Berlin
CHR Christa Runtenberg, Münster
CI Christian Iber, Berlin
CJ Christoph Jäger, Leipzig
CK Christian Kanzian, Innsbruck
CL Cornelia Liesenfeld, Augsburg
CLK Clemens Kauffmann, Lappersdorf
CM Claudius Müller, Nehren
CO Clemens Ottmers, Tübingen
CP Cristina de la Puente, Stuttgart
CS Christian Schröer, Augsburg
CSE Clemens Sedmak, Innsbruck
CT Christian Tewes, Jena
CZ Christian Zeuch, Münster
DG Dorothea Günther, Würzburg
DGR Dorit Grugel, Münster
DH Detlef Horster, Hannover
DHB Daniela Hoff-Bergmann, Bremen
DIK Dietmar Köveker, Frankfurt a.M.
DK Dominic Kaegi, Luzern
DKÖ Dietmar Köhler, Witten
DL Dorothea Lüddeckens, Zürich
DP Dominik Perler, Berlin
DR Dane Ratliff, Würzburg und Austin/Texas
EE Eva Elm, Berlin
EJ Eva Jelden, Berlin
EF Elisabeth Fink, Berlin
EM Ekkehard Martens, Hamburg
ER Eberhard Rüddenklau, Staufenberg
EWG Eckard Wolz-Gottwald, Davensberg
EWL Elisabeth Weisser-Lohmann, Bochum
FBS Franz-Bernhard Stammkötter, Bochum
FG Frank Grunert, Basel
FPB Franz-Peter Burkard, Würzburg
FW Fabian Wittreck, Münster
GK Georg Kneer, Leipzig
GKB Gudrun Kühne-Bertram, Ochtrup
GL Georg Lohmann, Magdeburg
GM Georg Mildenberger, Tübingen
GME Günther Mensching, Hannover
GMO Georg Mohr, Bremen
GN Guido Naschert, Tübingen
GOS Gottfried Schwitzgebel, Mainz
GS Georg Scherer, Oberhausen
GSO Gianfranco Soldati, Tübingen
HB Harald Berger, Graz
HD Horst Dreier, Würzburg
HDH Han-Ding Hong, Düsseldorf
HG Helmut Glück, Bamberg
HGR Horst Gronke, Berlin
HL Hilge Landweer, Berlin
HND Herta Nagl-Docekal, Wien
HPS Helke Pankin-Schappert, Mainz
HS Herbert Schnädelbach, Berlin
IR Ines Riemer, Hamburg
JA Johann S. Ach, Münster
JC Jürgen Court, Köln
JH Jörg Hardy, Münster
JHI Jens Hinkmann, Bad Tölz
JK Jörg Klawitter, Würzburg
JM Jörg F. Maas, Hannover
JOP Jeff Owen Prudhomme, Macon/Georgia
JP Jörg Pannier, Münster
JPB Jens Peter Brune
JQ Josef Quitterer, Innsbruck
JR Josef Rauscher, Mainz
JRO Johannes Rohbeck, Dresden
JS Joachim Söder, Bonn
JSC Jörg Schmidt, München
JV Jürgen Villers, Aachen
KDZ Klaus-Dieter Zacher, Berlin
KE Klaus Eck, Würzburg
KG Kerstin Gevatter, Bochum
KH Kai-Uwe Hellmann, Berlin
KHG Karl-Heinz Gerschmann, Münster
KHL Karl-Heinz Lembeck, Würzburg
KJG Klaus-Jürgen Grün, Frankfurt a.M.
KK Klaus Kahnert, Bochum
KRL Karl-Reinhard Lohmann, Witten
KS Kathrin Schulz, Würzburg
KSH Klaus Sachs-Hombach, Magdeburg
LG Lutz Geldsetzer, Düsseldorf
LR Leonhard Richter, Würzburg
MA Mauro Antonelli, Graz
MB Martin Beisler, Gerbrunn
MBI Marcus Birke, Münster
MBO Marco Bonato, Tübingen
MD Max Deeg, Cardiff
MDB Matthias Bloch, Bochum
ME Michael Esfeld, Münster
MFM Martin F. Meyer, Koblenz/Landau
MK Matthias Kunz, München
MKL Martin Kleinsorge, Aachen
MKO Mathias Koßler, Mainz
ML Mark Lekarew, Berlin
MLE Michael Leibold, Würzburg
MM Matthias Maring, Karlsruhe
MN Marcel Niquet, Frankfurt a.M.
MQ Michael Quante, Köln
MR Mathias Richter, Berlin
MRM Marie-Luise Raters-Mohr, Potsdam
MS Manfred Stöckler, Bremen
MSI Mark Siebel, Hamburg
MSP Michael Spang, Ellwangen
MSU Martin Suhr, Hamburg
MW Markus Willaschek, Münster
MWÖ Matthias Wörther, München
NM Norbert Meuter, Berlin
OB Oliver Baum, Bochum
OFS Orrin F. Summerell, Bochum
PE Peter Eisenhardt, Frankfurt a.M.
PCL Peter Ch. Lang, Frankfurt a.M.
PK Peter Kunzmann, Jena
PN Peter Nitschke, Vechta
PP Peter Prechtl †
RD Ruth Dommaschk, Würzburg
RDÜ Renate Dürr, Karlsruhe
RE Rolf Elberfeld, Hildesheim
REW Ruth Ewertowski, Stuttgart
RH Reiner Hedrich, Gießen
RHI Reinhard Hiltscher, Stegaurach
RK Reinhard Kottmann, Münster
RL Rudolf Lüthe, Koblenz
RLA Rolf-Jürgen Lachmann, Berlin
RM Reinhard Mehring, Berlin
RP Roland Popp, Bremen
RS Regina Srowig, Würzburg
RTH Robert Theis, Strassen
RW Raymund Weyers, Köln
SD Steffen Dietzsch, Berlin
SIK Simone Koch, Bochum
SP Stephan Pohl, Dresden
SZ Snjezana Zoric, Würzburg
TB Thomas Bausch, Berlin
TBL Thomas Blume, Dresden
TF Thomas Friedrich, Mannheim
TG Thomas Grundmann, Köln
TH Thomas Hammer, Frankfurt a.M.
TK Thomas Kisser, München
TM Thomas Mormann, Unterhaching
TN Thomas Noetzel, Marburg
TP Tony Pacyna, Jena
TW Thomas Welt, Bochum
UB Ulrich Baltzer, München
UT Udo Tietz, Berlin
UM Ulrich Metschl, München/Leonberg
VG Volker Gerhardt, Berlin
VM Verena Mayer, München
VP Veit Pittioni, Innsbruck
VR Virginie Riant, Vechta
WAM Walter Mesch, Heidelberg
WB Wilhelm Baumgartner, Würzburg
WH Wolfram Hinzen, Bern
WJ Werner Jung, Duisburg
WK Wulf Kellerwessel, Aachen
WL Winfried Löffler, Innsbruck
WM Wolfgang Meckel, Butzbach
WN Wolfgang Neuser, Kaiserslautern
WP Wolfgang Pleger, Cochem/Dohr
WS Werner Schüßler, Trier
WST Wolfgang Struck, Erfurt
WSU Wolfgang Schulz, Tübingen
WvH Wolfram von Heynitz, Weiburg

Herausgegeben von Peter Prechtl (†) und Franz-Peter Burkard.

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