Metzler Lexikon Philosophie: Ideenlehre
zentrales Lehrstück der Philosophie Platons und des Platonismus, das in der Annahme der Existenz besonderer, nicht-empirischer Gegenstände besteht. Da die Theorie von Platon nie in expliziter Form formuliert wurde, ist ihre Interpretation bis heute umstritten. Bei Platon selbst besitzt sie nur hypothetischen Charakter, was sich schon daran zeigt, dass die Lehre und die mit ihr verbundenen Lehrstücke durchgehend in mythisch-metaphorischer Einkleidung präsentiert werden. Um dem Grundanliegen seiner Philosophie, der Gewährleistung sicheren Orientierungswissens in theoretischer und praktischer Hinsicht, gerecht werden zu können, wurde die I. von Platon in Form einer Synthese der dynamischen flusslehre der Herakliteer und der statischen Seinslehre der Eleaten entwickelt, indem er die Existenz besonderer (stets gleichbleibender, unveränderlicher, ewiger) noumenaler Gegenstände postulierte: der Ideen, die er der (veränderlichen) Welt der Erscheinungen gegenüber-und voranstellte. Nur den Ideen, die den unvollkommenen Gegenständen der Erscheinungswelt als unwandelbare Vorbilder und Ursachen dienen, wird wahre Realität zugesprochen: Während man im Bereich der sinnlichen Wahrnehmungen, der Abbilder, höchstens zu wahrer Meinung gelangen kann, gibt es im Bereich der Ideen, die hierarchisch, mit der Idee des Guten an der Spitze geordnet sind, sicheres, allgemeingültiges Wissen. Da die Vorstellung zweier strikt voneinander getrennter Seinsbereiche dadurch, wenn nicht impliziert, dann doch zumindest nahegelegt wird (Chorismos), musste sich Platon mit zwei systematischen Problemen auseinandersetzen: (1) Um die Möglichkeit einer Verbindung der sinnlichen Welt mit den als raum- und zeitunabhängig gesetzten Ideen erklären zu können, führte er die Lehre der Teilhabe (Methexis) an: Zwar kommt (im Gegensatz zu den Einzelgegenständen) nur den Ideen wahre Realität zu, und sie sind auch nicht in den Einzelgegenständen, aber diese haben als Abbilder der Ideen doch eine Art von Teilhabe am wahren Sein der Ideen. (2) Um die Möglichkeit einer Erkenntnis der raum- und zeitunabhängigen Ideen zu erklären, postuliert Platon die Unsterblichkeit der Seele: Der Mensch kann die Ideen erkennen, weil seine unsterbliche Seele vor ihrer Verkörperung unbehindert durch einen materiellen Körper die Ideen selbst »schauen« konnte; durch die Einkörperung hat sie dieses Wissen zwar verloren, aber sie kann sich wiedererinnern. Zu dieser Wiedererinnerung (Anamnesis) soll die eigens dafür von Platon entwickelte Methode der Dialektik anleiten, einer geregelten Form der dialogischen Gesprächsführung in Frage und Antwort, die den Gesprächspartner durch Begriffsklärungen von den Erscheinungen der Sinnenwelt zur Wahrheit der Ideen führen soll. Den letzten Schritt der Ideen-Erkenntnis scheint sich Platon allerdings zeichen-unvermittelt vorgestellt zu haben als eine argumentativ nicht einholbare und daher »plötzlich« einsetzende Ideenschau. – Schon in der antiken Rezeption wurde der hypothetische Charakter der Theorie meistens vernachlässigt und die Existenz transzendenter Gegenstände als gesichert vorausgesetzt. So interpretierte bereits der Mittelplatonismus anknüpfend an den Timaios, in dem ein göttlicher Demiurg die Gegenstände der Welt nach dem Vorbild der ewigen und vollkommenen Ideen bildet, diese als die Gedanken Gottes, wodurch die I. in die christliche Theologie integrierbar wurde (Augustinus). Die Deutung von Begriffen als transzendente Ideen führte im mittelalterlichen Universalienstreit zu einer heftigen Kontroverse über die Referenz von Prädikatoren.
JV
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