Metzler Lexikon Philosophie: Individuum, Individualität
Die Bedeutung des Begriffs lässt sich nach vier möglichen Gebrauchskontexten bestimmen: (1) in Bezug auf ontologische Bestimmung, (2) in Bezug auf die Logik, (3) in Bezug auf die Definitionslehre und die Klassifikation, (4) in Bezug auf die konkrete Person und ihr Verständnis von sich selbst. In der formalen Logik stellt das I. ein Objekt der Grundstufe dar, das entweder durch eine Individuenkonstante oder Individuenvariable ausgedrückt wird. Bei Klassifikationen oder in Definitionen bedeutet I. das Einzelexemplar einer Gattung. In ontologischer Hinsicht wird I. dadurch bestimmt, dass es ein unteilbares Ganzes darstellt. Aus der aristotelischen Bestimmung des I.s als einer ersten Substanz bzw. eines einzelnen als eines Ganzen (durch Form und Materie gebildet), entwickeln sich im Verlauf der weiteren Diskussion zwei grundlegende Komponenten des I.- Begriffs: (a) das I. als sinnlich-anschaulich Unmittelbares und (b) die rein begrifflich bestimmte unterste Art (i.S. des Individualbegriffs) oder das ontologisch Fundamentale. Leibniz nimmt diesen Gedanken von Aristoteles auf und versucht zu zeigen, dass wir durch zahlreiche Spezifikationen von Allgemeinbegriffen (z.B. von Lebewesen zu Mensch zu Frau zu Philosophin usw.) schließlich zu einem I. gelangen. Kant wendet gegen ein solches Verfahren ein, dass wir dazu sämtliche Eigenschaften kennen müssten, die einem möglichen Gegenstand in jeder möglichen Welt in allen möglichen Relationen zukommen. In Bezug auf die konkrete Person bezeichnet der Begriff in subjektiver Hinsicht ein Bewusstsein von seiner Eigenheit oder Einmaligkeit, sich als I. wissen, in objektiver Hinsicht die erkennbare Besonderheit, d.h. etwas als I. (in Abgrenzung zu anderen) zu erkennen. – In der Tradition der Philosophie lassen sich verschiedene Positionen ausmachen, die die It. in besonderer Weise betonen. Schleiermacher betrachtet das I. im Hinblick auf die individuelle Gestaltung eines Allgemeinen. Das Allgemeine (wie z.B. die Sprache) ist der Grund für jede It. Humboldt betont in Bezug auf das I. das Moment der Eigentümlichkeit, die Voraussetzung ist für die Mannigfaltigkeit der Weisen, wie sich die Menschheit in den verschiedenen It.en spiegelt. Jedes I. bringt eine neue eigentümliche Gestalt hervor, durch die es den Begriff der Menschheit bereichert. Die emphatische Stellungnahme Nietzsches für das I. führt ihn zu der Forderung, das I. solle die Bande, die es mit einem Allgemeinen verbindet, abschütteln.
Literatur:
- Aristoteles: Kategorien
- T. Borsche: Individuum, Individualität. In: HWPh
- W. v. Humboldt: Über die Verschiedenheit des menschlichen Sprachbaues und ihren Einfluss auf die geistige Entwicklung des Menschengeschlechts. In: Schriften zur Sprachphilosophie. Werke Bd. III. Darmstadt 61988
- F. Nietzsche: Der Wille zur Macht. München 1926. Haecceitas, Identifizierung.
PP
Wenn Sie inhaltliche Anmerkungen zu diesem Artikel haben, können Sie die Redaktion per E-Mail informieren. Wir lesen Ihre Zuschrift, bitten jedoch um Verständnis, dass wir nicht jede beantworten können.