Metzler Lexikon Philosophie: Kommunikatives Handeln, Theorie des k. H.s
Die von Habermas entwickelte Th. k. H.s behandelt den traditionellen philosophischen Begriff der Vernunft aus einer anderen Perspektive. Mit der Tradition teilt sie den philosophischen Standpunkt, dass Vernunft dem Erkennen, Sprechen und Handeln entspringt. Die neue Perspektive drückt eine Distanz zu jenen philosophischen Positionen aus, die das Ganze der Welt, der Natur, der Geschichte im Sinne eines totalisierenden Wissens zu begreifen versuchten. Sein Standpunkt ist andererseits auch nicht gleichzusetzen mit den in Teilen der gegenwärtigen Philosophie, z.B. in der Wissenschaftstheorie, der analytischen Sprachphilosophie, der Ethik und Handlungstheorie, vorherrschenden Tendenzen, die philosophische Fragestellung auf die formalen Bedingungen der Rationalität des Erkennens, der sprachlichen Verständigung und des Handelns zu beschränken. In seinem Bemühen, einen unverkürzten Begriff von Rationalität für eine Theorie der Gesellschaft fruchtbar zu machen, weiß sich Habermas den Intentionen der Kritischen Theorie verpflichtet.
Die Th. k.n H.s geht von zwei Annahmen aus: (1) Die Verständigung stellt die grundlegende Form der Interaktion dar. Verständigung ist als ein Prozess der Einigung unter sprach- und handlungsfähigen Subjekten zu verstehen. Einigung bedeutet nicht Gleichgestimmtheit, sondern meint ein rational begründetes Einverständnis. Verständigung wird dabei nicht in Gestalt eines idealistischen Postulats eingeführt, sondern als ein der menschlichen Sprache innewohnendes Telos ausgewiesen. (2) Rationalität ist als Disposition sprach- und handlungsfähiger Subjekte anzusehen. Sprachfähigkeit und Rationalität stehen dabei in einem systematischen Zusammenhang. Die Sprache ist für die Th. k.n H.s nach drei Gesichtspunkten grundlegend: (1) In den Sprechhandlungen werden Realitätsbezüge hergestellt (a) zur äußeren Welt als der Gesamtheit aller Entitäten, über die wahre Aussagen möglich sind, (b) zur sozialen Welt als der Gesamtheit aller legitim geregelten interpersonalen Beziehungen und (c) zur subjektiven Welt als der Gesamtheit nur subjektiv zugänglicher Erlebnisse und Intentionen des Sprechers. Diese Weltbezüge stellen den gemeinsamen Interpretationsrahmen dar, innerhalb dessen Verständigung gesucht und erzielt wird. (2) Die in den Sprechhandlungen vollzogenen Weltbezüge sind mit Geltungsansprüchen versehen, die akzeptiert oder bestritten werden können. Geltungsanspruch bedeutet, dass mit einer Aussage implizit immer auch die unausgesprochene Behauptung verknüpft ist, dass die Bedingungen für die Gültigkeit der betreffenden Aussage erfüllt sind. Von Habermas werden vier universale Geltungsansprüche namhaft gemacht, die jeder kommunikativ Handelnde im Vollzug einer beliebigen Sprechhandlung erheben (und ihre Einlösbarkeit unterstellen) muss, damit eine Verständigung gelingen kann: (a) Der Sprecher muss einen verständlichen Ausdruck wählen, damit Sprecher und Hörer einander verstehen können – Geltungsanspruch der Verständlichkeit; (b) er muss die Absicht haben, eine wahre Aussage zu machen (d.h. einen wahren propositionalen Gehalt mitzuteilen), damit der Hörer das Wissen des Sprechers teilen kann – Geltungsanspruch der Wahrheit; (c) er muss seine Intentionen wahrhaftig äußern wollen, damit der Hörer begründet davon ausgehen kann, dass er als Sprecher an ihn als Hörer tatsächlich eine Äußerung richten will und damit er ihm vertrauen kann – Geltungsanspruch der Wahrhaftigkeit; (d) er muss sein Verhalten auf einen als legitim anerkannten normativen Kontext abstellen – Geltungsanspruch der normativen Richtigkeit. – Der Handelnde muss diese Geltungsansprüche im Bedarfsfalle einlösen, indem er Gründe für ihre Geltung anführt. Der Sinn der Begründung richtet sich nach dem jeweiligen Geltüngsanspruch: Die Begründung der Wahrheit deskriptiver Aussagen bedeutet den Nachweis der Existenz von empirischen Sachverhalten, die Begründung der normativen Richtigkeit erfordert den Nachweis der Akzeptabilität von Handlungen bzw. Handlungsnormen in Bezug auf die gemeinsam anerkannten Normen. Die Wahrhaftigkeit kann nicht begründet werden, sie kann sich nur in der Konsistenz zwischen Aussage und weiterem Verhalten des Sprechers zeigen. Der Anspruch der Verständlichkeit wird durch den Nachweis, dass die sprachlichen Ausdrücke regelrecht erzeugt worden sind, eingelöst. Durch die Tperformative Form der Aussagen, die sich in der Formulierung »ich behaupte dir gegenüber, dass…« zeigt, bleibt den Sprechern ein Bewusstsein von der Revidierbarkeit ihrer Aussagen erhalten. (3) Der Begriff des k.n H.s setzt Sprache als Medium von Verständigungsprozessen auf der Grundlage von Geltungsansprüchen voraus.
Auf der Grundlage dieser Sprechaktanalysen unternimmt es die Habermas’sche Theorie, den Begriff des k.n H.s zu explizieren und als grundlegend auszuweisen. Der Begriff des k.n H.s bezieht sich auf die Interaktion von mindestens zwei sprach- und handlungsfähigen Subjekten, die eine interpersonale Beziehung eingehen. Die Akteure suchen eine Verständigung über die Handlungssituation, um ihre Handlungspläne und ihre Handlungen einvernehmlich zu gestalten. Diese Form der Koordination ist insofern grundlegend für Erfahrung, als nicht von einer ontologischen Voraussetzung einer vorgegebenen Welt ausgegangen werden kann. Objektivität gewinnt die Welt erst dadurch, dass sie für eine Gemeinschaft sprach- und handlungsfähiger Subjekte in einem einstimmigen Sinne gilt. In der kommunikativen Praxis vergewissern sie sich ihres gemeinsamen Lebenszusammenhanges, der intersubjektiv geteilten Lebenswelt. Diese wird durch die Gesamtheit der Interpretationen begrenzt, die von ihnen als gemeinsames Hintergrundwissen vorausgesetzt wird. Für diesen lebensweltlichen Hintergrund stellt jeder Dissens eine Herausforderung dar. Jeder Verständigungsprozess findet vor dem Hintergrund eines kulturell eingespielten Vorverständnisses statt. Im Falle eines Dissenses wird das Hintergrundwissen nicht als Ganzes thematisiert, sondern jeweils nur der Teil des Wissensvorrates, der problematisch geworden ist. Im Rahmen solcher Verständigungen steht jeweils ein thematischer Ausschnitt der gemeinsamen Lebenswelt zur Disposition. Da jeder der Beteiligten sich (aufgrund der performativen Einstellung) der Relativität der eigenen Auffassung bewusst ist, kann keiner dogmatisch den Anspruch auf Wahrheit oder Richtigkeit erheben. In dieser Situation kommt der Koordinationseffekt der Geltungsansprüche zum Tragen. Ein Sprecher kann einen Hörer zur Annahme seiner Meinung rational motivieren, weil er aufgrund des internen Zusammenhangs zwischen Gültigkeit, Geltungsanspruch und Einlösung des Geltungsanspruchs die Gewähr dafür übernimmt, erforderlichenfalls überzeugende Gründe anzugeben, die einer Kritik des Hörers an den Geltungsansprüchen standhalten. Dieses implizite Angebot stellt einerseits die Grundlage für die Kooperation bzw. die gemeinsame Konsenssuche dar, andererseits zeigt sich in ihm die Rationalität des k.n H.s. Als rational wird deijenige bezeichnet, der sein Handeln an intersubjektiv anerkannten Geltungsansprüchen orientiert. Da sich ein kommunikativ erzieltes Einverständnis auf Gründe stützen muss, bemisst sich die Rationalität der Einzelnen daran, ob sie ihre Äußerungen unter geeigneten Umständen begründen könnten. Diese Rationalität verweist damit auf die Argumentationspraxis als Berufungsinstanz, die es ermöglicht, k. H. mit anderen Mitteln fortzusetzen.
Der Begriff der kommunikativen Rationalität wird von Habermas durch eine Theorie der Argumentation expliziert. Als Argumentation wird ein Typus von Rede bezeichnet, in dem die Teilnehmer strittige Geltungsansprüche mit Argumenten einlösen oder kritisieren. Der theoretische Diskurs stellt die Form der Argumentation dar, in der kontroverse Wahrheitsansprüche zum Thema gemacht werden, der praktische Diskurs eine Form, in der Ansprüche auf normative Richtigkeit zum Thema gemacht werden. Verständigung funktioniert als handlungskoordinierender Mechanismus in der Weise, dass sich die Interaktionsteilnehmer über die beanspruchte Gültigkeit ihrer Äußerungen einigen und dass die Geltungsansprüche intersubjektive Anerkennung finden. Nur auf dem Weg der Argumentation kann ein rational motiviertes Einverständnis erreicht werden. Wenn nur mit Gründen geprüft werden soll und einzig der Zwang des besseren Arguments gelten soll, erfordert das eine »ideale Sprechsituation«. Habermas bezeichnet mit dem Terminus »ideale Sprechsituation« die Bedingungen, unter denen ein vernünftiger Konsens möglich ist. Sie ist dadurch gekennzeichnet, dass eine unbegrenzte Diskussion sichergestellt ist, die frei ist von verzerrenden Einflüssen, die auf offene Herrschaft, auf strategisches Handeln oder subtilere Kommunikationshindernisse zurückzuführen sind. Die Freiheit von inneren und äußeren Zwängen wird durch die Forderung unterstützt, dass für alle Beteiligten an einem praktischen Diskurs gleiche Chancen bei der Wahl und der Ausführung von Sprechakten gegeben sein müssen. Die ideale Sprechsituation stellt ein Ideal dar, dem man sich in der Wirklichkeit annähern kann und das als Orientierung für die Institutionalisierung von Diskursen und als kritischer Maßstab dienen kann, an dem sich jeder faktisch erreichte Konsens messen lässt.
Literatur:
- J. Habermas: Theorie des kommunikativen Handelns. Frankfurt 1981.
PP
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