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Metzler Lexikon Philosophie: Kritischer Rationalismus

von K. Popper entwickelt. Weitere Vertreter sind z.B. H. Albert, G. Andersson und A. Musgrave. Popper konzipierte den K. R. als eine Forschungsmethode, die er insbesondere für die Naturwissenschaften empfehlen wollte. Schon bald wurde der Ansatz auf viele andere Wissenschaften, auf die Politik, auf diverse Ideologien und Religionen angewendet. Es stellte sich somit heraus, dass der K. R. als Grundeinstellung gegenüber allen Disziplinen und Institutionen verstanden werden muss, die mit Wissenserwerb und Wahrheitsansprüchen in Zusammenhang stehen. Diese Grundeinstellung könnte man als Kernstück einer liberalen Weltanschauung auffassen. Als Forschungsmethode besagt der K. R., dass wissenschaftliche Theorien durch Widerlegungsversuche getestet, statt durch Belegexperimente abgesichert werden sollten (methodischer Falsifikationismus). Diese These lässt sich aus Poppers Lösung des Induktionsproblems herleiten. Dieses von Hume aufgeworfene Problem besteht in folgendem: Theorien machen in »Allsätzen« Behauptungen über alle Ereignisse einer Art. Es gibt z.B. kein Naturgesetz, demzufolge einige Äpfel unter gleichen Umständen anders fallen als andere. Wenn man empirische Theorien nun auf ihre Wahrheit hin prüfen will, bereiten diese Allsätze ein Problem. Zur Prüfung empirischer Theorien stehen nämlich immer nur einzelne Beobachtungen, d.h. singuläre Beobachtungssätze zur Verfügung. Aus Aussagen über Einzelfälle kann man aber aus logischen Gründen keine Allaussagen ableiten. Die Beobachtung liefert endlich viele Belege (viele singuläre Sätze). Ein Allsatz behauptet jedoch etwas über alle Ereignisse (auch die zukünftigen). D. h., es gibt eine Differenz der von der Beobachtung berücksichtigten und der von der Theorie behaupteten Ereignisse. In dieser Differenz können beliebig viele der Theorie widersprechende Gegenbeispiele angesiedelt sein, wobei ein Gegenbeispiel ausreicht, um einen Allsatz zu widerlegen. Daraus folgt, dass empirische Theorien durch Beobachtung nicht zu beweisen sind, denn die Existenz eines Gegenbeispiels kann nie ausgeschlossen werden (Induktionsproblem). Allerdings zeigt dieser Befund auch, dass man Theorien sehr wohl durch Beobachtungen widerlegen kann, denn ein einziges Gegenbeispiel reicht dazu aus. Diesen Sachverhalt nennt Popper die »logische Asymmetrie« von Verifikation und Falsifikation. Keine empirische Theorie ist induktiv beweisbar, weshalb alles empirische Wissen nur »Vermutungswissen« ist (Fallibilismus). Allerdings sind empirische Theorien widerlegbar, und auf diese Eigenschaft kann man eine neue »kritische« Forschungsmethode aufbauen. Diese Methode ist bemüht, Theorien zu falsifizieren, um so zwei Ziele zu erreichen: (1) Mit jeder gelungenen Widerlegung kommt man der Wahrheit näher, denn aus den Fehlern einer Theorie kann man etwas über die wahren Verhältnisse lernen. (2) Jede misslungene Widerlegung zeigt, dass die getestete Theorie bewährt, also vielleicht wahr ist. Über Widerlegungsversuche erhält man Erkenntnisse über die »Wahrheitsnähe« der bewährten Theorien. Der den K. R. ausmachende Versuch, Bestehendes zu widerlegen, macht ihn zu einem »natürlichen Gegner« aller totalitären oder dogmatischen Ideologien. So wurde der K. R. zu einer umfassenden Religionskritik ausgebaut. Popper hat sowohl die »absoluten Systeme« des Deutschen Idealismus wie auch deren Fortentwicklung durch den Marxismus kritisiert. Diese Modelle arbeiten mit absoluten Wissensansprüchen, z.B. was den Verlauf der Geschichte angeht. Derartige Ansprüche sind jedoch nicht mit der These verträglich, dass alles Wissen Vermutungswissen ist. Popper hat die auf totalitären Ideologien basierenden Staatssysteme als »geschlossene Gesellschaften« bezeichnet. Demgegenüber fordert er »offene Gesellschaften«, die sich der kritischen Selbstanalyse öffnen. Nach Popper gibt es ein notwendiges, aus dem Falsifikationismus herleitbares Kriterium einer »offenen« Gesellschaftsordnung: Immer wenn die Machthabenden eines Staates durch das Volk absetzbar sind, ist eine elementare Bedingung einer offenen Gesellschaft erfüllt. Der K. R. ist als Forschungsmethode von Kuhn, Lakatos u. a. kritisiert worden. Letztlich geht es dabei um die Frage, ob es sinnvoll ist, der oft unkritisch vorgehenden Wissenschaft eine kritische Methode als Norm vorzuschreiben. Dass die Wissenschaft oft dogmatischen Gesetzen folgt, hat T. Kuhn überzeugend dargelegt. Ist eine normative Wissenschaftstheorie nicht ein unstatthafter Idealismus? Wenn man jedoch die Parallele zur praktischen Philosophie bedenkt, lautet die umgeformte Frage: Ist das Ziel, totalitäre Systeme zu offenen Gesellschaften umzubauen, nicht eine idealistische, unzulässige Fiktion? Die Tatsache, dass man der zweiten Frage wohl kaum zustimmen wird, sollte eine Zustimmung zur ersten Frage jedenfalls als bedenklich erscheinen lassen.

Literatur:

  • H. Albert: Traktat über kritische Vernunft. Tübingen 1980
  • K.R. Popper: Objektive Erkenntnis. Hamburg 1984.

BG

  • Die Autoren
AA Andreas Arndt, Berlin
AB Andreas Bartels, Paderborn
AC Andreas Cremonini, Basel
AD Andreas Disselnkötter, Dortmund
AE Achim Engstler, Münster
AG Alexander Grau, Berlin
AK André Kieserling, Bielefeld
AM Arne Malmsheimer, Bochum
AN Armin Nassehi, München
AR Alexander Riebel, Würzburg
ARE Anne Reichold, Kaiserslautern
AS Annette Sell, Bochum
AT Axel Tschentscher, Würzburg
ATA Angela T. Augustin †
AW Astrid Wagner, Berlin
BA Bernd Amos, Erlangen
BBR Birger Brinkmeier, Münster
BCP Bernadette Collenberg-Plotnikov, Hagen
BD Bernhard Debatin, Berlin
BES Bettina Schmitz, Würzburg
BG Bernward Gesang, Kusterdingen
BI Bernhard Irrgang, Dresden
BK Bernd Kleimann, Tübingen
BKO Boris Kositzke, Tübingen
BL Burkhard Liebsch, Bochum
BR Boris Rähme, Berlin
BS Berthold Suchan, Gießen
BZ Bernhard Zimmermann, Freiburg
CA Claudia Albert, Berlin
CH Cornelia Haas, Würzburg
CHA Christoph Asmuth, Berlin
CHR Christa Runtenberg, Münster
CI Christian Iber, Berlin
CJ Christoph Jäger, Leipzig
CK Christian Kanzian, Innsbruck
CL Cornelia Liesenfeld, Augsburg
CLK Clemens Kauffmann, Lappersdorf
CM Claudius Müller, Nehren
CO Clemens Ottmers, Tübingen
CP Cristina de la Puente, Stuttgart
CS Christian Schröer, Augsburg
CSE Clemens Sedmak, Innsbruck
CT Christian Tewes, Jena
CZ Christian Zeuch, Münster
DG Dorothea Günther, Würzburg
DGR Dorit Grugel, Münster
DH Detlef Horster, Hannover
DHB Daniela Hoff-Bergmann, Bremen
DIK Dietmar Köveker, Frankfurt a.M.
DK Dominic Kaegi, Luzern
DKÖ Dietmar Köhler, Witten
DL Dorothea Lüddeckens, Zürich
DP Dominik Perler, Berlin
DR Dane Ratliff, Würzburg und Austin/Texas
EE Eva Elm, Berlin
EJ Eva Jelden, Berlin
EF Elisabeth Fink, Berlin
EM Ekkehard Martens, Hamburg
ER Eberhard Rüddenklau, Staufenberg
EWG Eckard Wolz-Gottwald, Davensberg
EWL Elisabeth Weisser-Lohmann, Bochum
FBS Franz-Bernhard Stammkötter, Bochum
FG Frank Grunert, Basel
FPB Franz-Peter Burkard, Würzburg
FW Fabian Wittreck, Münster
GK Georg Kneer, Leipzig
GKB Gudrun Kühne-Bertram, Ochtrup
GL Georg Lohmann, Magdeburg
GM Georg Mildenberger, Tübingen
GME Günther Mensching, Hannover
GMO Georg Mohr, Bremen
GN Guido Naschert, Tübingen
GOS Gottfried Schwitzgebel, Mainz
GS Georg Scherer, Oberhausen
GSO Gianfranco Soldati, Tübingen
HB Harald Berger, Graz
HD Horst Dreier, Würzburg
HDH Han-Ding Hong, Düsseldorf
HG Helmut Glück, Bamberg
HGR Horst Gronke, Berlin
HL Hilge Landweer, Berlin
HND Herta Nagl-Docekal, Wien
HPS Helke Pankin-Schappert, Mainz
HS Herbert Schnädelbach, Berlin
IR Ines Riemer, Hamburg
JA Johann S. Ach, Münster
JC Jürgen Court, Köln
JH Jörg Hardy, Münster
JHI Jens Hinkmann, Bad Tölz
JK Jörg Klawitter, Würzburg
JM Jörg F. Maas, Hannover
JOP Jeff Owen Prudhomme, Macon/Georgia
JP Jörg Pannier, Münster
JPB Jens Peter Brune
JQ Josef Quitterer, Innsbruck
JR Josef Rauscher, Mainz
JRO Johannes Rohbeck, Dresden
JS Joachim Söder, Bonn
JSC Jörg Schmidt, München
JV Jürgen Villers, Aachen
KDZ Klaus-Dieter Zacher, Berlin
KE Klaus Eck, Würzburg
KG Kerstin Gevatter, Bochum
KH Kai-Uwe Hellmann, Berlin
KHG Karl-Heinz Gerschmann, Münster
KHL Karl-Heinz Lembeck, Würzburg
KJG Klaus-Jürgen Grün, Frankfurt a.M.
KK Klaus Kahnert, Bochum
KRL Karl-Reinhard Lohmann, Witten
KS Kathrin Schulz, Würzburg
KSH Klaus Sachs-Hombach, Magdeburg
LG Lutz Geldsetzer, Düsseldorf
LR Leonhard Richter, Würzburg
MA Mauro Antonelli, Graz
MB Martin Beisler, Gerbrunn
MBI Marcus Birke, Münster
MBO Marco Bonato, Tübingen
MD Max Deeg, Cardiff
MDB Matthias Bloch, Bochum
ME Michael Esfeld, Münster
MFM Martin F. Meyer, Koblenz/Landau
MK Matthias Kunz, München
MKL Martin Kleinsorge, Aachen
MKO Mathias Koßler, Mainz
ML Mark Lekarew, Berlin
MLE Michael Leibold, Würzburg
MM Matthias Maring, Karlsruhe
MN Marcel Niquet, Frankfurt a.M.
MQ Michael Quante, Köln
MR Mathias Richter, Berlin
MRM Marie-Luise Raters-Mohr, Potsdam
MS Manfred Stöckler, Bremen
MSI Mark Siebel, Hamburg
MSP Michael Spang, Ellwangen
MSU Martin Suhr, Hamburg
MW Markus Willaschek, Münster
MWÖ Matthias Wörther, München
NM Norbert Meuter, Berlin
OB Oliver Baum, Bochum
OFS Orrin F. Summerell, Bochum
PE Peter Eisenhardt, Frankfurt a.M.
PCL Peter Ch. Lang, Frankfurt a.M.
PK Peter Kunzmann, Jena
PN Peter Nitschke, Vechta
PP Peter Prechtl †
RD Ruth Dommaschk, Würzburg
RDÜ Renate Dürr, Karlsruhe
RE Rolf Elberfeld, Hildesheim
REW Ruth Ewertowski, Stuttgart
RH Reiner Hedrich, Gießen
RHI Reinhard Hiltscher, Stegaurach
RK Reinhard Kottmann, Münster
RL Rudolf Lüthe, Koblenz
RLA Rolf-Jürgen Lachmann, Berlin
RM Reinhard Mehring, Berlin
RP Roland Popp, Bremen
RS Regina Srowig, Würzburg
RTH Robert Theis, Strassen
RW Raymund Weyers, Köln
SD Steffen Dietzsch, Berlin
SIK Simone Koch, Bochum
SP Stephan Pohl, Dresden
SZ Snjezana Zoric, Würzburg
TB Thomas Bausch, Berlin
TBL Thomas Blume, Dresden
TF Thomas Friedrich, Mannheim
TG Thomas Grundmann, Köln
TH Thomas Hammer, Frankfurt a.M.
TK Thomas Kisser, München
TM Thomas Mormann, Unterhaching
TN Thomas Noetzel, Marburg
TP Tony Pacyna, Jena
TW Thomas Welt, Bochum
UB Ulrich Baltzer, München
UT Udo Tietz, Berlin
UM Ulrich Metschl, München/Leonberg
VG Volker Gerhardt, Berlin
VM Verena Mayer, München
VP Veit Pittioni, Innsbruck
VR Virginie Riant, Vechta
WAM Walter Mesch, Heidelberg
WB Wilhelm Baumgartner, Würzburg
WH Wolfram Hinzen, Bern
WJ Werner Jung, Duisburg
WK Wulf Kellerwessel, Aachen
WL Winfried Löffler, Innsbruck
WM Wolfgang Meckel, Butzbach
WN Wolfgang Neuser, Kaiserslautern
WP Wolfgang Pleger, Cochem/Dohr
WS Werner Schüßler, Trier
WST Wolfgang Struck, Erfurt
WSU Wolfgang Schulz, Tübingen
WvH Wolfram von Heynitz, Weiburg

Herausgegeben von Peter Prechtl (†) und Franz-Peter Burkard.

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