Metzler Lexikon Philosophie: Lebenswelt
Husserl zeigt in seiner Krisis-Schrift auf, dass die wissenschaftlichen Fragestellungen bereits in den gegenständlichen Erfahrungskorrelaten des alltäglichen pragmatischen Kontextes begründet sind. Es gehört zur Wesensstruktur der L., dass sie als physisch naturale Umgebung um ein leiblich-kinästhetisches Ich zentriert ist. Dieses Ich ist wahrnehmenderfahrend auf seine dingliche Umwelt gerichtet. Aufgrund der intentionalen Struktur des Bewusstseins (Intentionalität) ist diese Umwelt als ein offen-endloser Horizont (Horizontbewusstsein) von Erfahrungen und deren kontinuierliche Weiterbestimmung zu begreifen. Die Welt lässt sich aus dieser Perspektive nicht als eine Ansammlung fertiger Gegenstände auffassen, vielmehr ist sie das Korrelat eines Gesamthorizonts sinnstiftender Subjekte. Sie ist in allen ihren Inhaltsbeständen relativ zu einem einstimmigen-offenen Erfahrungszusammenhangs der Personen. Die L. hat nach Husserl einen geschichtlichen Charakter. Sie ist eine von Menschen gestaltete, praktische Umwelt. – In der Theorie des kommunikativen Handelns von Habermas wird der Begriff der L. als Korrelat zum Prozess der Verständigung eingeführt. Die L. stellt dabei die gemeinsamen Hintergrundüberzeugungen dafür dar, was als gemeinsame Welt objektiver Tatsachen anzusehen ist und was an normativ geregelten interpersonalen Beziehungen und Handlungsregeln fraglos gültig ist. Erst wo dieses kulturell tradierte Einverständnis partiell von den Individuen in Frage gestellt wird, ergibt sich die Notwendigkeit einer Verständigung darüber, was als existierender Sachverhalt und welche normativen Regelungen Geltung beanspruchen können. Das neu zu gewinnende Einverständnis kann nicht durch den Verweis auf die Tradition eingeholt werden, sondern nur über eine kommunikativ erzielte Verständigung bezüglich der Geltungsfragen. In dem rational motivierten Einverständnis tritt an die Stelle der fraglosen Gültigkeit ein explizites Wissen um die Gründe, weshalb bestimmte Aussagen oder normative Regelungen anerkennungswürdig sind. Jeder Verständigungsvorgang findet vor dem Hintergrund eines kulturell eingespielten Vorverständnisses statt. Das Hintergrundwissen wird nicht als ganzes zum Problem, sondern nur der Teil des Wissensvorrates, den die Interaktionsteilnehmer für ihre Feststellungen jeweils benützen und thematisieren, wird problematisiert. In dem Maße, wie die Situationsdefinitionen von den Teilnehmern einer Kommunikation selber ausgehandelt werden, steht mit der Verhandlung jeder neuen Situationsdefinition auch dieser thematische Ausschnitt aus der Lebenswelt zur Diskussion (und zur Disposition).
Literatur:
- J. Habermas: Theorie des kommunikativen Handelns. Frankfurt 1981. Bd.1. S. 107 ff., S. 149f
- E. Husserl: Die Krisis der europäischen Wissenschaften und die transzendentale Phänomenologie. Hua VI.
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