Direkt zum Inhalt

Metzler Lexikon Philosophie: Lernen

Der Begriff bezieht sich zum einen auf jede Form von Leistungssteigerung, die durch gezielte Anstrengung erreicht wurde. Die Psychologie dagegen fasst den Bedeutungsgehalt weiter, indem sie jede Verhaltensänderung, die sich auf Erfahrung, Übung oder Beobachtung zurückführen lässt, als »gelernt« interpretiert. Die Annahme des allerdings nie direkt beobachtbaren Lernprozesses impliziert darüber hinaus die Idee einer interaktionistischen Beziehung zwischen Organismus und Umwelt. Diese Verwiesenheit auf exogene Faktoren weist den Lernbegriff als Gegenbegriff zur »Reifung« aus, die als Resultat von endogenen Faktoren vorgestellt wird. Die Lerntheorien lassen sich grob in zwei Kategorien klassifizieren:

(1) Die sog. S-R-Theorien versuchen den Lernprozess als Produkt der vollständigen Umweltdeterminierung des Verhaltens darzustellen: Man unterscheidet dabei das »klassische« vom »operanten« Konditionierungslernen. Im ersten von Pawlow beobachteten Lerntyp wird ein neutraler Umweltreiz durch raum-zeitliche Nachbarschaft mit einem ungelernten Reiz zu einem konditionierten Stimulus, indem er die mit dem ungelernten Reiz gekoppelte Verhaltensweise auslöst. L. ist also die Erweiterung der die Realisierung eines reflexartigen Verhaltens auslösenden Umweltfaktoren. Die Vertreter des Modells des operanten Konditionierens (v. a. Skinner) gehen dagegen nicht von bereits bestehenden Reiz-Reaktions-Verbindungen aus, sondern versuchen, dieses bereits als Ergebnis eines Lernprozesses nachzuweisen. Demnach werden spontane (operante) Reaktionen des Organismus durch Umweltkonsequenzen positiv oder aversiv »verstärkt« und so hinsichtlich ihrer Auftretenshäufigkeit beeinflusst. Das gemeinsame Merkmal der Modelle des Konditionierungslernens ist der aus methodischen Gründen erfolgende Verzicht, Repräsentationsmechanismen als Erklärungsgrund für das Auftreten von Verhaltensänderungen zu postulieren. Der Mangel dieser Ansätze führte in den sechziger Jahren zur sog. »kognitiven Wende« in der Psychologie. A. Banduras Modell des Beobachtungslernens ist repräsentativ für diesen Sachverhalt, da der Lernprozess sich auf der Ebene der kognitiv gesteuerten Beobachtung des Verhaltens eines Modells vollzieht. Das Grundprinzip des operanten Konditionierens, die »Verstärkung« durch die Umwelt, ist nun lediglich für die Realisierung des intern repräsentierten Verhaltens und nicht mehr für den Lernprozess selbst konstitutiv.

(2) Kognitive Lerntheorien: Im Unterschied zu den o.g. Ansätzen gehen diese Konzeptionen von der irreduziblen Eigendynamik des Organismus bei der Verarbeitung von Umweltreizen aus. L. vollzieht sich für diese Theorien also nicht durch den Aufbau assoziativ generierter Verhaltensgewohnheiten, sondern durch den nur qualitativ erfassbaren Ausbau kognitiver Verarbeitungsstrategien, deren Resultat eine konstruktive Repräsentation der Wirklichkeit für den Organismus darstellt. Für Piaget besteht so der Lernprozess in der spontanen Aktualisierung von Verhaltensstrukturen, deren Ausbildung durch ein Ungleichgewicht in der interaktionistischen Beziehung zwischen dem Organismus und der Umwelt veranlasst wurde. Der feldtheoretische Ansatz K. Lewins dagegen geht nicht von einem kognitiven Ungleichgewicht aus, sondern definiert L. als kontinuierliche Ausdifferenzierung eines zunächst nur ungegliedert gegebenen »Lebensraumes«, d.h. der kognitiven Repräsentation der jeweiligen Umgebung des Organismus durch dessen konstruktive Interpretationsleistung. Darüber hinaus bezieht Lewin nicht nur kognitive Sachverhalte, z.B. Problemlösestrategien, in seine Lerntheorie ein, sondern berücksichtigt auch die motivationale Dimension des L.s, die er als »Veränderungen der Valenzen«, also der Wert- und Zielsetzungen der Person, auffasst. Ähnlich wie Lewin definieren auch die Vertreter der sog. »Gestalttheorie« ihren eigenen Ansatz in Abgrenzung von einem auf assoziationspsychologischer Grundlage beruhenden Behaviorismus: Das visuelle Feld des Organismus setzt sich nicht aus elementaren Erfahrungsbestandteilen zusammen, sondern wird durch die intuitive Erfassung von Gesamtkomplexen konstituiert, die sich nicht als Summe ihrer Teile auffassen lassen. Diese wahrnehmungspsychologische Ausrichtung beeinflusste auch die gestaltpsychologische Lerntheorie, indem diese die unmittelbare Erfassung bzw. Umstrukturierung einer Problemsituation als konstitutiv für den Lernprozess ansah. Auch das psychodynamische Modell Freuds lässt lerntheoretische Schlussfolgerungen, besonders im Bereich der Persönlichkeitsentwicklung, zu. So ist die Ablösung der Tendenz auf unmittelbare Spannungsreduktion (»Lustprinzip«) durch die indirekte und situationsorientierte Befriedigung von Triebansprüchen (»Realitätsprinzip«) als Resultat eines Lernprozesses interpretierbar.

Literatur:

  • B. R. Hergenhahn: An Introduction to Theories of Learning. New Jersey 1976
  • K. Lewin: Feldtheorie und Lernen. In: Ges. Werke Bd. 4. Stuttgart 1982. S. 157–187
  • H. M. Trautner: Lehrbuch der Entwicklungspsychologie. Bd. 1/2. Göttingen 1991.

CZ

  • Die Autoren
AA Andreas Arndt, Berlin
AB Andreas Bartels, Paderborn
AC Andreas Cremonini, Basel
AD Andreas Disselnkötter, Dortmund
AE Achim Engstler, Münster
AG Alexander Grau, Berlin
AK André Kieserling, Bielefeld
AM Arne Malmsheimer, Bochum
AN Armin Nassehi, München
AR Alexander Riebel, Würzburg
ARE Anne Reichold, Kaiserslautern
AS Annette Sell, Bochum
AT Axel Tschentscher, Würzburg
ATA Angela T. Augustin †
AW Astrid Wagner, Berlin
BA Bernd Amos, Erlangen
BBR Birger Brinkmeier, Münster
BCP Bernadette Collenberg-Plotnikov, Hagen
BD Bernhard Debatin, Berlin
BES Bettina Schmitz, Würzburg
BG Bernward Gesang, Kusterdingen
BI Bernhard Irrgang, Dresden
BK Bernd Kleimann, Tübingen
BKO Boris Kositzke, Tübingen
BL Burkhard Liebsch, Bochum
BR Boris Rähme, Berlin
BS Berthold Suchan, Gießen
BZ Bernhard Zimmermann, Freiburg
CA Claudia Albert, Berlin
CH Cornelia Haas, Würzburg
CHA Christoph Asmuth, Berlin
CHR Christa Runtenberg, Münster
CI Christian Iber, Berlin
CJ Christoph Jäger, Leipzig
CK Christian Kanzian, Innsbruck
CL Cornelia Liesenfeld, Augsburg
CLK Clemens Kauffmann, Lappersdorf
CM Claudius Müller, Nehren
CO Clemens Ottmers, Tübingen
CP Cristina de la Puente, Stuttgart
CS Christian Schröer, Augsburg
CSE Clemens Sedmak, Innsbruck
CT Christian Tewes, Jena
CZ Christian Zeuch, Münster
DG Dorothea Günther, Würzburg
DGR Dorit Grugel, Münster
DH Detlef Horster, Hannover
DHB Daniela Hoff-Bergmann, Bremen
DIK Dietmar Köveker, Frankfurt a.M.
DK Dominic Kaegi, Luzern
DKÖ Dietmar Köhler, Witten
DL Dorothea Lüddeckens, Zürich
DP Dominik Perler, Berlin
DR Dane Ratliff, Würzburg und Austin/Texas
EE Eva Elm, Berlin
EJ Eva Jelden, Berlin
EF Elisabeth Fink, Berlin
EM Ekkehard Martens, Hamburg
ER Eberhard Rüddenklau, Staufenberg
EWG Eckard Wolz-Gottwald, Davensberg
EWL Elisabeth Weisser-Lohmann, Bochum
FBS Franz-Bernhard Stammkötter, Bochum
FG Frank Grunert, Basel
FPB Franz-Peter Burkard, Würzburg
FW Fabian Wittreck, Münster
GK Georg Kneer, Leipzig
GKB Gudrun Kühne-Bertram, Ochtrup
GL Georg Lohmann, Magdeburg
GM Georg Mildenberger, Tübingen
GME Günther Mensching, Hannover
GMO Georg Mohr, Bremen
GN Guido Naschert, Tübingen
GOS Gottfried Schwitzgebel, Mainz
GS Georg Scherer, Oberhausen
GSO Gianfranco Soldati, Tübingen
HB Harald Berger, Graz
HD Horst Dreier, Würzburg
HDH Han-Ding Hong, Düsseldorf
HG Helmut Glück, Bamberg
HGR Horst Gronke, Berlin
HL Hilge Landweer, Berlin
HND Herta Nagl-Docekal, Wien
HPS Helke Pankin-Schappert, Mainz
HS Herbert Schnädelbach, Berlin
IR Ines Riemer, Hamburg
JA Johann S. Ach, Münster
JC Jürgen Court, Köln
JH Jörg Hardy, Münster
JHI Jens Hinkmann, Bad Tölz
JK Jörg Klawitter, Würzburg
JM Jörg F. Maas, Hannover
JOP Jeff Owen Prudhomme, Macon/Georgia
JP Jörg Pannier, Münster
JPB Jens Peter Brune
JQ Josef Quitterer, Innsbruck
JR Josef Rauscher, Mainz
JRO Johannes Rohbeck, Dresden
JS Joachim Söder, Bonn
JSC Jörg Schmidt, München
JV Jürgen Villers, Aachen
KDZ Klaus-Dieter Zacher, Berlin
KE Klaus Eck, Würzburg
KG Kerstin Gevatter, Bochum
KH Kai-Uwe Hellmann, Berlin
KHG Karl-Heinz Gerschmann, Münster
KHL Karl-Heinz Lembeck, Würzburg
KJG Klaus-Jürgen Grün, Frankfurt a.M.
KK Klaus Kahnert, Bochum
KRL Karl-Reinhard Lohmann, Witten
KS Kathrin Schulz, Würzburg
KSH Klaus Sachs-Hombach, Magdeburg
LG Lutz Geldsetzer, Düsseldorf
LR Leonhard Richter, Würzburg
MA Mauro Antonelli, Graz
MB Martin Beisler, Gerbrunn
MBI Marcus Birke, Münster
MBO Marco Bonato, Tübingen
MD Max Deeg, Cardiff
MDB Matthias Bloch, Bochum
ME Michael Esfeld, Münster
MFM Martin F. Meyer, Koblenz/Landau
MK Matthias Kunz, München
MKL Martin Kleinsorge, Aachen
MKO Mathias Koßler, Mainz
ML Mark Lekarew, Berlin
MLE Michael Leibold, Würzburg
MM Matthias Maring, Karlsruhe
MN Marcel Niquet, Frankfurt a.M.
MQ Michael Quante, Köln
MR Mathias Richter, Berlin
MRM Marie-Luise Raters-Mohr, Potsdam
MS Manfred Stöckler, Bremen
MSI Mark Siebel, Hamburg
MSP Michael Spang, Ellwangen
MSU Martin Suhr, Hamburg
MW Markus Willaschek, Münster
MWÖ Matthias Wörther, München
NM Norbert Meuter, Berlin
OB Oliver Baum, Bochum
OFS Orrin F. Summerell, Bochum
PE Peter Eisenhardt, Frankfurt a.M.
PCL Peter Ch. Lang, Frankfurt a.M.
PK Peter Kunzmann, Jena
PN Peter Nitschke, Vechta
PP Peter Prechtl †
RD Ruth Dommaschk, Würzburg
RDÜ Renate Dürr, Karlsruhe
RE Rolf Elberfeld, Hildesheim
REW Ruth Ewertowski, Stuttgart
RH Reiner Hedrich, Gießen
RHI Reinhard Hiltscher, Stegaurach
RK Reinhard Kottmann, Münster
RL Rudolf Lüthe, Koblenz
RLA Rolf-Jürgen Lachmann, Berlin
RM Reinhard Mehring, Berlin
RP Roland Popp, Bremen
RS Regina Srowig, Würzburg
RTH Robert Theis, Strassen
RW Raymund Weyers, Köln
SD Steffen Dietzsch, Berlin
SIK Simone Koch, Bochum
SP Stephan Pohl, Dresden
SZ Snjezana Zoric, Würzburg
TB Thomas Bausch, Berlin
TBL Thomas Blume, Dresden
TF Thomas Friedrich, Mannheim
TG Thomas Grundmann, Köln
TH Thomas Hammer, Frankfurt a.M.
TK Thomas Kisser, München
TM Thomas Mormann, Unterhaching
TN Thomas Noetzel, Marburg
TP Tony Pacyna, Jena
TW Thomas Welt, Bochum
UB Ulrich Baltzer, München
UT Udo Tietz, Berlin
UM Ulrich Metschl, München/Leonberg
VG Volker Gerhardt, Berlin
VM Verena Mayer, München
VP Veit Pittioni, Innsbruck
VR Virginie Riant, Vechta
WAM Walter Mesch, Heidelberg
WB Wilhelm Baumgartner, Würzburg
WH Wolfram Hinzen, Bern
WJ Werner Jung, Duisburg
WK Wulf Kellerwessel, Aachen
WL Winfried Löffler, Innsbruck
WM Wolfgang Meckel, Butzbach
WN Wolfgang Neuser, Kaiserslautern
WP Wolfgang Pleger, Cochem/Dohr
WS Werner Schüßler, Trier
WST Wolfgang Struck, Erfurt
WSU Wolfgang Schulz, Tübingen
WvH Wolfram von Heynitz, Weiburg

Herausgegeben von Peter Prechtl (†) und Franz-Peter Burkard.

Schreiben Sie uns!

Wenn Sie inhaltliche Anmerkungen zu diesem Artikel haben, können Sie die Redaktion per E-Mail informieren. Wir lesen Ihre Zuschrift, bitten jedoch um Verständnis, dass wir nicht jede beantworten können.

Partnerinhalte

Bitte erlauben Sie Javascript, um die volle Funktionalität von Spektrum.de zu erhalten.