Metzler Lexikon Philosophie: Marxismus
Die Quellen, aus denen sich das Marx’sche Denken speist, sind in erster Linie die klassische deutsche Philosophie und hier insbesondere die Hegel’sche Dialektik wie der Feuerbach’sche Materialismus, daneben sind auf der einen Seite die englische Nationalökonomie und auf der anderen der utopische (frz. und engl.) Sozialismus bzw. Kommunismus zu nennen. Die Fortentwicklung des M. im Anschluss an die Marx’sche Theorie geschah spätestens seit der russischen Oktoberrevolution von 1917 vor dem Hintergrund einer konkurrierenden realen Systementwicklung von (westlichem) Kapitalismus und (östlichem) Kommunismus, so dass auch ihre Betrachtung und Bewertung unhintergehbar eine Frage der Perspektive ist. – So war aus der Sicht des »Realen Sozialismus« bereits die Begriffsbildung und -definition selbst Element des Klassenkampfes gegen den westlichen Kapitalismus und Imperialismus. »Der M.-Leninismus ist die theoretische Grundlage der praktischen Tätigkeit der revolutionären Partei der Arbeiterklasse und dient als Anleitung zum Handeln im Klassenkampf, in der sozialistischen Revolution und beim sozialistischen und kommunistischen Aufbau«, heißt es im Philosophischen Wörterbuch der DDR (Leipzig 1974, S. 738). Durchgängig ist hier die Rede von den »Klassikern« des M. (Marx, Engels, Lenin), dieser selbst gründet auf »objektiven Gesetzmäßigkeiten« des Geschichtsprozesses und »beweist« die »historische Notwendigkeit« des Überganges zum Kommunismus. Die »Theorie von der Diktatur des Proletariats« wird als »Kernstück des M.« bezeichnet (ebd. S. 741). Alle diejenigen Positionen des Gedankenstromes des M., die von dieser orthodoxen und dogmatischen Auffassung abweichen, insbesondere also alle westlichen Fortführungen des Marx’schen Gedankengutes, wurden als »bürgerlich« bzw. »revisionistisch« abqualifiziert. Umgekehrt wurde aus westlicher Sicht immer wieder kritisch vermerkt, dass im Anschluss an die russische Oktoberrevolution nach einigen anfänglichen Richtungskämpfen sich eine einseitige orthodoxe Richtung des M. durchsetzte und fortan zur Herrschaftslegitimation der »Partei neuen Typs« (Lenin) funktionalisiert wurde. Diese Indienstnahme des M. als »Integrationsideologie der Arbeiterbewegung« (Fetscher) bewirkte insbesondere in den 30er Jahren unter Stalin einen Rückfall auf ein mechanistisches Verständnis von ökonomischer Basis und diese widerspiegelndem politischen und kulturellen Überbau. Diese Traditionslinie, die ihre Wurzeln bereits im Vulgärmaterialismus des 18. Jh. hatte, wurde in den 1890er Jahren durch Plechanows (Zur Frage der Entwicklung der monistischen Geschichtsauffassung, 1895) mechanistische und schematisierende Objektivierung des Geschichtsprozesses geprägt und durch Bucharins Theorie des historischen Materialismus (1921) – dem ideologischen Standardwerk des sowjetischen M. – und einen evolutionistischen Positivismus ergänzt, dem es darum zu tun war, die historischen und politischen Tatsachen nach dem methodischen Vorbild der Naturwissenschaften zu beschreiben und zu klassifizieren. Den Höhepunkt dieser ebenso vulgärmaterialistischen wie dogmatischen Geschichtsauffassung bildete Stalins 1938 erschienene Schrift Über dialektischen und historischen Materialismus. So war es wenig verwunderlich, dass sich bereits ab den 20er Jahren eine Gegenbewegung herausbildete, der es – unbelastet durch jede Indienstnahme des Marx’schen Erbes für ideologische Belange – um eine kritische und undogmatische Aneignung und Fortentwicklung des M. zu tun war und die aus heutiger Perspektive als Neomarxismus anzusprechen wäre.
Literatur:
- I. Fetscher: Der Marxismus. München 1983.
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