Metzler Lexikon Philosophie: Míng_1
(Schicksal, Notwendigkeit, Geschick, Zu-Fall). Die Grundbedeutung des chinesischen Terminus ist Befehl, Auftrag. Schon in den ältesten chinesischen Schriftdokumenten (Schildkrötenpanzer- und Bronzeinschriften) wird überliefert, dass die Herrscher der Vorzeit ein himmlisches Mandat (Tian Ming) für ihre Regierung erhalten hätten. In der klassischen Zeit wird es einerseits auf die ganzen Dynastien bezogen, so dass Tian Ming zu einer geschichtsphilosophischen Kategorie vom »geschichtlichen Auftrag« einer dynastischen Epoche werden konnte und die Rede vom »Wechsel des himmlischen Mandats« (Ge Ming) den Umschwung zu einer neuen Dynastie bezeichnet. Dieser Hintergrund ist auch im modernen chinesischen Revolutionsbegriff (Ge Ming) noch präsent. Anderseits wird Tian Ming auch auf jedes Individuum bezogen: als sein Geschick (das deutsche Wort Geschick bzw. Geschicklichkeit als »Veranlagung zu etwas« verdankt sich ähnlichen Vorstellungen) oder – lutherisch gesprochen – als seine Berufung (vgl. auch Heideggers »Ruf des Daseins«). Das Problem ist, ob und wie man es erkennen kann. Kong Zi (551–479) spricht von der »Furcht vor Tian Ming« und behauptet von sich: »Mit fünfzig Jahren erkannte ich Tian Ming«; »Tod und Leben beruht auf Ming, Reichtum und Rang sind abhängig vom Himmel«; »Wenn einer sein Ming nicht erkennt, kann er nicht Jun Zi (Herrscher, Edler, aber auch: tugendstarker Mensch) sein« (Kong Zi: Lun Yü, Gespräche). Auch Zhuang Zi (369–286) betont: »Sein unabwendbares Ming zu erkennen und sich darein zu ergeben, das heißt vollkommene Tugend erlangen« (Zhuang Zi: Ren Jian Shi, Die Welt des Menschen). Mo Zi (468–376) hält die Lehre des Kong Zi vom Tian Ming für »den größten Schaden für die Welt« und betont: »An Ming zu glauben ist unmenschlich« (Mo Zi: Fei Ming, Gegen das himmlische Mandat). Er selbst spricht zwar noch vom Himmelswillen (Tian Zhi), hält ihn aber nicht für erkennbar. Xun Zi (313–238) rettet die konfuzianische Tian Ming-Lehre, indem er sie des Anthropomorphismus entkleidet und Tian Ming mit der Naturgesetzlichkeit identifiziert: »Die Himmelsbewegung ist immerwährend, sie existiert nicht für (den guten Kaiser) Yao und hört auch nicht wegen (des schlechten Kaisers) Jie auf«. Soweit man sie erkennt, kann man sogar »Tian Ming kontrollieren und Gebrauch davon machen« (Zhi Tian Ming Er Yong Zhi; Xun Zi: Tian Lun, Über den Himmel bzw. die Natur). Darin sehen manche Interpreten den – abortiv gebliebenen – Ansatz zu einem naturwissenschaftlich begründeten Technikprogramm. Sofern man die Naturgesetzlichkeit nicht erkennt, obwohl sie doch wirkt, kann auch gesagt werden: »Das sogenannte zufällige Geschehen ist Ming« (Xun Zi: Zheng Ming, Berichtigung der Namen). – Ming lässt sich am ehesten dem stoischen Begriff des Fatums vergleichen, auf den die abendländischen Vorstellungen vom Schicksal und universaldeterministischer Notwendigkeit zurückgehen. Das mit darin liegende Moment der Teleologie (»Vorsehung«) entspricht dem ursprünglichen Sinn von Ming als Befehl; das »kausale« Moment i.e.S. Xun Zis Interpretation als Naturgesetz. Dagegen ist die Kritik in China niemals so grundsätzlich vom Freiheitsstandpunkt (Indeterminismus) aus entwickelt worden wie von den Epikureern.
Literatur:
- L. Geldsetzer/H.-d. Hong: Chinesisch-deutsches Lexikon der chinesischen Philosophie. Aalen 1986. Art.: Himmlisches Mandat (Tiān Mìng), Schicksal (Mìng).
LG/HDH
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