Metzler Lexikon Philosophie: Neokonfuzianismus
Schule des chinesischen Konfuzianismus, 11. Jh.–16. Jh. Sie wird in zwei Richtungen eingeteilt: die Schule des Prinzips (Li Xue), deren wichtigster Vertreter Zhu Xi (1130–1200) ist, und die Schule des Bewusstseins (Xin Xue), deren wichtigster Vertreter Wang Yangming (1472–1529) ist. Gemeinsam ist beiden ein expliziter Antibuddhismus und Antidaoismus sowie der Anspruch, unmittelbar an die Lehre von Konfuzius, an dessen Schüler und v.a. an Mencius, anzuknüpfen. Die Neokonfuzianer bezeichneten sich daher selbst als die Vertreter der »wahren Lehre der rechten Tradition« (Dao Xue). Die inhaltliche Erneuerung durch den N. verdankt der Konfuzianismus einer intensiven Rezeption des Buddhismus und Daoismus. Zhu Xis Synthese der Lehren der sog. »fünf frühen Neokonfuzianer« (Zhou Dunyi, Zhang Zai, Shao Yong, Chen Hao, Chen Yi) des 11. Jh. ist die umfassendste philosophische Systematik Chinas. Zentrale These ist, dass Prinzipien (Li, Logos) den Dingen und dem veranlagten menschlichen Wesen zugrundeliegen und im Bewusstsein angelegt sind. In einem Wechselspiel der Erforschung der Prinzipien der Dinge und des eigenen moralischen Wesens gelangt der Mensch zur vollkommenen Erkenntnis und der Realisation der Harmonie. Die ursprüngliche Harmonie des absoluten Prinzips (Tai Ji) ist in der notwendigen Differenzierung des kosmogenetischen Prozesses im Wechselspiel zwischen Prinzipien (Li) und der dynamischen Materie (Qi) verschattet worden. Erkenntnisgewinn dient der Rückgewinnung der ursprünglichen Ausgeglichenheit als Harmonie. Individueller Erkenntnisgewinn und moralische Vervollkommnung werden systematisch in ein kosmogenetisches Modell eingebunden und zur Voraussetzung eines geordneten Sozialwesens. Hierdurch erfolgte eine ontologische Fundierung der konfuzianischen Sozialethik und Morallehre. Der von Zhu Xi geschaffene Kanon von Schriften und seine Auslegung erhalten ab 1313 den Status der staatlich sanktionierten Orthodoxie. Bis 1905 bilden sie die Grundlage der Ausbildung zum Staatsbeamten. In der Ming-Zeit wendet sich Wang Yangming gegen Zhu Xis erkenntnistheoretischen Ansatz. Er negiert die Trennung von Bewusstsein (Xin) und Prinzip. Prinzipien können demzufolge nur in der erkenntnissuchenden Aktivität des Bewusstseins auftreten. Die Kultivierung des eigenen ursprünglich guten Wesens und Wissens (Liang Zhi), die ethische Läuterung, bestimmt daher die Qualität der Dinge und der Welt. Neben diesen beiden Hauptrichtungen des Neokonfuzianismus vertraten eine Reihe von Repräsentanten der Dao Xue-Bewegung divergente Lehrmeinungen, darunter Zhang Zai (1020–1077), der der dynamischen Materie (Qi) das Primat vor dem Prinzip einräumte. Die volksrepublikanische Philosophiegeschichtsschreibung hat dieser dritten Richtung, die sie als »materialistisch« einstuft, große Beachtung geschenkt. Weitere Vertreter dieser Richtung sind Ye Shi (1132–1224), Chen Liang (1143–1567) und Wang Tingxiang (1474–1544). In Japan, Korea und Vietnam wurde der N. intensiv rezipiert, und es haben sich eigene neokonfuzianische Schulen gebildet.
Literatur:
- Wingtsit Chan: A Source Book in Chinese Philosophy. Princeton 1963
- A. Forke: Geschichte der neuen chinesischen Philosophie. Hamburg 21964
- Fung Yulan (D. Bodde, übers.): A History of Chinese Philosophy. Bd. 2. Princeton 1953
- K. Shimada: Die Neo-Konfuzianische Philosophie. Die Schulrichtungen Chu Hsis und Wang Yangmings. Berlin 1987.
MLE
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