Metzler Lexikon Philosophie: Nichts
hat in der Geschichte der Philosophie zwei verschiedene Stellenwerte gehabt: (1) N. als absolutes N.; (2) N. als Privation, Änderung, Mangel. Die erste Bedeutung wird durch Parmenides (VS 28 B6, 2) definiert: »Das N. ist nicht«, das N. kann weder gedacht noch aufgezeigt werden. Diese sogenannte eleatische Lehre setzt das N. als das Undenkbare und Unnennbare und allein das Sein ohne Vielfalt und Werden als denkbar und aussagbar fest. Dieser These zufolge kam die Sophistik zu der Position, dass das N. nicht ist, trotzdem führt der prädikative Gebrauch des Wortes »ist« in dem Satz »das Nichtssein ist Nichtssein« zu eine Relativierung des Seins. N. als absolutes N. findet man erneut bei Plotin. Laut Plotin ist die Materie N., weil potentiell Alles und deswegen ohne Gestalt. Weiter wird dieser Begriff in der Creatio ex nihilo und in der negativen Theologie (Mystik) gebraucht. Für Scotus Eriugena ist Gott N., weil er jedes Seiende überragend höher steht. Für Descartes ist das N. eine negative Idee: Das N. ist, was unendlich entfernt von der Vollkommenheit ist. Dergleichen definiert Kant das N. als leeren Begriff ohne Objekt. Für Hegel ist es besonders wichtig herauszustellen, wie das N. in das Kategoriensystem einzuordnen ist. Hegel zufolge ist das N. der Ausgangspunkt der Logik bzw. der Wissenschaft der Logik, weil es das reine Sein ist, an dem es N. anzuschauen, N. zu denken gibt. Das N. ist das Unmittelbare, Unbestimmte. Das N. ist andererseits in unserem Anschauen und Denken (Logik, Ges. Werke 11, S. 44 ff.). Der vereinende Bezugspunkt dieser zwei entgegengesetzten Momente, das Sein und das N., ist das Werden. Insofern ist der Satz der Metaphysik ex nihilo nihil fit (aus N. wird N.) eine leere Tautologie. Wenn aber das Werden wirkliche Bedeutung haben soll, dann nur, weil das N. nicht N. bleibt, sondern in sein Anderes, in das Sein übergeht (Dialektik). Von diesem Standpunkt her lässt sich die Negation vom N. ableiten und nicht umgekehrt. Gleichen hervorragenden Stellenwert findet das N. in der ersten Bedeutung im Denken Heideggers. N. ist etwas ohne weitere Bestimmung, d.h. das transzendentale Objekt des ontologischen Horizonts der Transzendenz. Das Wort »das N. nichtet« (Was ist Metaphysik?) bedeutet, dass das Seiende seine Gegenwärtigkeit aus dem N. gewinnt, dass nur im Horizont des N. das Seiende von der Selbstverständlichkeit sich ablöst und zur Frage wird. – Die zweite Bedeutung des N. als Änderung oder Negation ist von Platon (Sophistes) begründet worden. Das N. ›ist‹ und wird folglich als Andersheit das Seiende positiv mitkonstituieren. Das N. ist nicht mehr absolut, sondern relational, unterscheidend. Durch das N. wird die Verflechtung der Ideen, die Vielfalt, die Teilbarkeit, die Relation der Seienden untereinander erklärbar und v.a. ausdrückbar. – Von seiten der Logiker wird das N. radikal verneint: N. bedeutet bloß »nicht-etwas«; aber auch phänomenologisch wird das N. als spekulative Illusion auf praktisches Erfahren beschränkt und deshalb als Ersetzbarkeit bzw. Privation aufgefasst (z.B. H. Bergson: L'évolution créatrice. Paris 1911. S. 298–323). Leere
Literatur:
- L. Lütkehaus: Nichts. Zürich 1999
- K. Riesenhuber: Nichts. In: Hdb. philosophischer Grundbegriffe. Hg. v. H. Krings u. a. Bd. 2. München 1973. S. 991–1008
- B. Welte: Über die verschiedenen Bedeutungen des Nichts. In: A. Schwan (Hg.): Denken im Schatten des Nihilismus. Darmstadt 1975. S. 26–33.
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