Metzler Lexikon Philosophie: Objektivismus
hat im Wesentlichen zwei Bedeutungen: (1) dem Universalismus verwandte Auffassung, dass die Gültigkeit von Bewusstseinsinhalten, Gedanken, Sätzen, Theorien usw. nicht auf faktische Denkvorgänge zurückgeführt werden kann. Zwischen Genese (Entstehung) von Gedanken und deren Geltung sei strikt zu unterscheiden. Im Gegensatz hierzu stehen Subjektivismus, Psychologismus, Relativismus und Kontextualismus. Bolzano, Frege und Meinong, vor allem aber Husserls Psychologismuskritik in den Logischen Untersuchungen (1900/01) haben dem geltungslogischen O. zum Durchbruch verholfen. Seit der hermeneutischen und pragmatisch-linguistischen Wende in der Philosophie, die von Heideggers Aufweis der Geschichtlichkeit der Vernunft und Wittgensteins Sprachspielpragmatik angestoßen wurde, herrscht jedoch wieder eine skeptisch-relativistische Vernunftauffassung vor. Dieser Tendenz in der Gegenwartsphilosophie sind u. a. Putnam, Habermas und Apel entgegengetreten. Sie verweisen darauf, dass in die pragmatische Dimension der Sprache, in ihre Verwendung in realen Redesituationen, idealisierende Voraussetzungen, insbesondere die regulative Idee des objektive Wahrheit verbürgenden idealen argumentativen Konsenses, eingebaut sind. Relativistische Konzeptionen, die die Möglichkeit objektiver Wahrheit bestreiten, seien daher pragmatisch selbstwidersprüchlich.
(2) die neuzeitliche Wissenschaft kennzeichnende Auffassung, dass objektive Wahrheit nur durch Ausschalten subjektiver Einflüsse (Emotionen, Interessen, Perspektiven) zugänglich werde. Der O. ist besonders für die Bewusstseinsphilosophie charakteristisch, in der unter Absehung ihrer sozialen Dimension Erfahrungserkenntnis lediglich solipsistisch, als Relation zwischen einem einsamen Subjekt (solus ipse) und einem dinglichen, an sich selbst bedeutungslosen Objekt, verstanden wird. Descartes’ ontologischer O., der die Subjekt-Objekt-Relation der Erkenntnis als Verhältnis zweier Wesenheiten (res cogitans und res extensa) deutet, findet ihre Entsprechung im naturalistischen Empirismus Humes, der die subjektiven Willenshandlungen zu Objekten der Kausalerfahrung erklärt. Kants transzendentaler Subjektivismus bereitet den methodologischen O. (Positivismus, Behaviorismus, Logischer Empirismus, Kritischer Rationalismus) vor, indem er den naturwissenschaftlichen Objektbegriff und den kausalistischen Erfahrungsbegriff generalisiert. Gegen die einheitswissenschaftliche Orientierung von Philosophie und Wissenschaft hat Husserl in seiner Spätphilosophie geltend gemacht, dass wissenschaftliche Konzepte ihren Sinn aus der anschaulichen, vortheoretischen Lebenswelt erhalten und ihre Objektivierungen bzw. Idealisierungen daher nicht verabsolutiert werden dürfen. Diese Kritik hat in der hermeneutischen (Heidegger, Gadamer) und sprachspielpragmatischen Philosophie (Wittgenstein, Ryle) eine relativistisch-skeptische, in der universal- und transzendentalpragmatischen Philosophie (Habermas, Apel) eine universalistische Form angenommen. Hierbei wird der Aspekt der kommunikativen und sozialen Dimension der Erfahrung in den Vordergrund gerückt.
Literatur:
- Th. W. Adorno u. a. (Hg.): Der Positivismusstreit in der deutschen Soziologie. Neuwied und Berlin 1969
- K.-O. Apel: Transformation der Philosophie. Frankfurt 1973
- D. Böhler: Rekonstruktive Pragmatik. Frankfurt 1985
- J. Habermas: Erkenntnis und Interesse. Frankfurt 1968
- E. Husserl: Die Krisis der europäischen Wissenschaften und die transzendentale Phänomenologie. Hua VI. Den Haag 1954
- K. R. Popper: Objektive Erkenntnis. Hamburg 1973
- H. Skjervheim: Der moderne Objektivismus und die Wissenschaft vom Menschen. In: D. Böhler u.a. (Hg.): Die pragmatische Wende. Frankfurt 1986. S. 9–35.
HGR
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