Metzler Lexikon Philosophie: Ousia
(griech.), oft als Substanz oder Wesen übersetzt. Allerdings stellen diese Begriffe eine Verengung dar, weshalb man »Ou.« besser unübersetzt verwendet. Die Frage nach der Ou. ist von Platon explizit in die Philosophie eingeführt worden. Sie ist als das gegenüber anderem Seienden primär Seiende aufzufassen, weil von ihr alles übrige Seiende in seinem Sein abhängt und weil von ihr aus alles Sein zu erklären ist. Platon hat die Ideen in seiner Ideenlehre auf verschiedene Art und Weise als »ousiai« bestimmt. – Die Definition der Ou. im Buch Z der aristotelischen Metaphysik ist sehr differenziert. Aristoteles stellt in Met. D und in Z zwei »Kataloge« von Anforderungen an eine Ou. auf: (1) Sie muss primärer Seinsgrund (= erste Ursache) der Dinge sein, und zwar sowohl aller Dinge wie auch der Einzeldinge, denen sie inhäriert. (2) Sie muss etwas Unbedingtes in der Reihe des Bedingten sein. d.h. sie muss zugrundeliegen, sie kann nicht als Prädikat irgendeines Subjekts ausgesagt werden. Sie ist nicht Eigenschaft eines anderen, sondern alle relevanten Eigenschaften beziehen sich auf sie. (3) Die Ou. ist das Wesen einer Entität, d.i. dasjenige, welches ein Etwas zu diesem Etwas, zu einem »Dies von der Art« macht. D. i. der »Teil« der besagten Entität, ohne den diese nicht mehr sie selbst wäre. D.h. die Ou. wäre der Aspekt, mit dessen Aufhebung das Ganze aufgehoben wird (hier sieht man, dass eine alleinige Bestimmung der Ou. als Wesen sie auf (3) reduziert).
(4) Die Ou. muss ein »Dies von der Art«, d.h. etwas Individuelles sein. (5) Sie muss in einer bestimmten Hinsicht abtrennbar (= eigenständig) sein. Damit will Aristoteles nicht den Platonismus verteidigen, sondern die Ou. »in begrifflicher Hinsicht« als »abtrennbar« bezeichnen. Zur Definition der Ou. muss auf kein anderes Sein, sondern nur auf die potentielle Materie rekurriert werden. In diesem Sinne ist die Ou. abtrennbar. (6) Sie ist eine unteilbare Einheit. Das, was diesen Vorgaben genügt, kann als Ou. bezeichnet werden, die der Definition, der Erkenntnis (logisch) und der Zeit (kausal) nach gegenüber anderem Seienden primär ist. In Met. Z vertritt Aristoteles die Auffassung, dass die den Dingen inhärierende individuelle Form die Ou. sei (d.i. bei Lebewesen die Seele). In seiner Kategorienschrift geht Aristoteles jedoch davon aus, dass die Ou. (als sekundäre Substanz) auch etwas Allgemeines sein könne. Das hat einen langen Streit darüber verursacht, ob die Ou. individuell ist oder nicht. Platon hat mindestens die Punkte »Inhärenz«, »Individualität« und »Abtrennbarkeit« des obigen Katalogs anders gefasst. Diese Aspekte bilden den Hauptstreitpunkt zwischen Platon und Aristoteles. Da für beide Philosophen die Frage nach der Ou. das Zentrum ihrer Philosophie ausmacht, bildet die Kontroverse um die benannten Punkte auch das Zentrum der gesamten antiken Philosophie.
Literatur:
- M. Frede/G. Patzig: Aristoteles Metaphysik Z‹. München 1988.
BG
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