Metzler Lexikon Philosophie: Panta rhei
(griech. alles fließt), seit der Antike Heraklit zugeschriebene Formel, mit der seine sog. Flussfragmente (VS 22B91, 22B12; 22B49a gilt als unecht) zusammengefasst werden. In diesen zeigt Heraklit den Kontrast zwischen Identität und Wandel: »Denen, die in dieselben Flüsse hineinsteigen, strömen andere und wieder andere Wasserfluten zu« (VS 22B12). Nicht nur durch unsere Benennungen werden Sachen festgestellt, die in Wirklichkeit bewegte sind; Diogenes Laertius gibt den Schlüssel zum Denken Heraklits, wenn er über dessen Lehre sogar schreibt: »Alles (panta) entsteht nach Art der Gegensätze, und das Ganze fließt (rhein) wie ein Fluß (potamos) [Frg. 12, 91]. Das All (to pan) ist vollendet (peraino), und es ist nur eine Weltordnung (kosmos)« (VS 22A1). Platon beschreibt in seinem, dem Herakliteer Kratylos gewidmeten Dialog (Kratylos 402a) unter Rückgriff auf den Meister (vgl. VS 22B91), »daß alles davongeht und nichts bleibt«, indem Heraklit »alles Seiende einem strömenden Fluß vergleicht.« Aristoteles nutzt das Heraklit zugeschriebene Diktum sowohl im Kontext der Aussagbarkeit von Wahrheit des veränderlich Seienden (Kritik an Protagoras Met. Γ5, 1010a10–15 und vorher. Vgl. dazu VS 22B91), als auch im Rahmen seiner Kritik an der platonischen Ideenlehre: »Die Ideenlehre ergab sich für ihre Anhänger deshalb, weil sie von der Wahrheit durch die Worte Heraklits überzeugt waren, daß alle Sinnesdinge in stetem Flusse seien: sollte es also eine Wissenschaft und eine Einsicht von etwas geben, so müßte es neben den sinnlich erfaßbaren Naturen noch von diesen verschiedene, bleibende geben; denn vom Fließenden existiert keine Wissenschaft« (Met. M4, 1078b12–17). – Es war Hegel, der in seinen Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie ohne direkten Quellenvermerk Heraklit das p.r. im Wortlaut unterstellt: »Heraklit sagt nämlich: Alles fließt (p.r.), nichts besteht, noch bleibt es je dasselbe« (S. 324). Heraklit ist für Hegel der erste, bei dem die Dialektik, wie Hegel selbst sie fasste, in Grundzügen erschien. Und Heraklit war es, dem der Übergang vom Sein zum Werden in der (antiken) Prinzipiendiskussion gelang, dem selbst die Identität von Sein und Nichtsein mit seinem p.r. als bloße Abstraktion ohne Wahrheit erschien, obwohl sie – als Entgegengesetzte – an demselben fassbar sind. – K. Held schließlich gelang es, der griffigen Formel des p.r. ihre angemessene Stellung in der Heraklit-Auslegung zuzuweisen. Die »Selbstunterscheidung« des Denkens (der »Einsicht«) vom Nichtdenken (den »Ansichten« als Erkenntnisarten vorphilosophischen Denkens) bei Heraklit führt den Leser als Ariadnefaden zum Verständnis von Formen des »Umschlagens« (vgl. VS 22 B88) und der »Identität«: Die Periodizität selbst ist Gesetzmäßigkeit, das Maß (vgl. VS 22 A1).
Literatur:
- Diogenes Laertius: Leben und Meinungen berühmter Philosophen. Buch I-X. Hamburg 31998
- G. W. F. Hegel: Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie I (Werke Bd. 18). Frankfurt 1986
- K. Held: Heraklit, Parmenides und der Anfang von Philosophie und Wissenschaft. Eine phänomenologische Besinnung. Berlin/New York 1980.
CL
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