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Metzler Lexikon Philosophie: Phänomenologie

(griech. phainomenon: das Erscheinende). »Phänomen« ist ein Grundbegriff der Erkenntnistheorie. Ursprünglich diente er zur Bezeichnung der Erscheinungen der Wirklichkeit, wie sie in Raum und Zeit, in ihrer Mannigfaltigkeit und Veränderlichkeit dem menschlichen Bewusstsein gegeben sind, in Abgrenzung zur eigentlichen Wirklichkeit, wie sie in den hinter diesen Erscheinungen waltenden Ideen, der eigentlichen und unveränderlichen Wesenheit, begründet liegt (Platon). Die Philosophie Kants bringt eine grundlegend veränderte Sichtweise des bewusstseinsmäßigen Bezugs zur Wirklichkeit: Die Wirklichkeit besteht in nichts anderem als der Erscheinung, dem Gegenstand der Erfahrung, wie er sich dem wahrnehmenden Bewusstsein zeigt. Aussagen über eine darüber hinaus bestehende eigentliche Wirklichkeit überschreitet demnach den Bereich des sinnvoll Aussagbaren. – Für das 20. Jh. verbindet sich der Begriff der Ph. mit der Philosophie E. Husserls. Ausgangspunkt seiner Philosophie ist die Annahme der Korrelation von Bewusstsein und Welt. Der grundlegende Begriff der Intentionalität des Bewusstseins zeigt an, dass Bewusstsein immer Bewusstsein von etwas ist. So ist alles raum-zeitliche Sein der Wirklichkeit nur insofern, als es auf ein erfahrendes, wahrnehmendes, denkendes, sich erinnerndes Bewusstsein bezogen ist. Die Welt ist das Korrelat von Bewusstseinsleistungen. Die Sinnstiftungen des Bewusstseins ermöglichen erst das Verstehen der Welt in Bedeutungsdimensionen und hinsichtlich ihres Geltungscharakters als etwas Existierendes. Die Ph. als Erkenntniskritik macht es sich zur Aufgabe, diese konstituierenden Leistungen des Bewusstseins in ihrer allgemeinen Struktur auszuweisen. Unsere als fraglos gültig angenommenen Vorstellungen der Welt, wie sie sich in der natürlichen Einstellung der Alltagswelt zeigen, werden eingeklammert (Epoché) und bleiben hinsichtlich ihrer Geltung zunächst dahingestellt, bis in der phänomenologischen Reflexion die dafür grundlegenden allgemeinen Sinnkonstitutionsleistungen des Bewusstseins aufgezeigt sind. Der Begriff der transzendentalen Subjektivität soll diese Grundlegungsfunktion des Bewusstseins zum Ausdruck bringen. Aufgabe der Ph. ist es, die allgemeinen Strukturen jener Bewusstseinsleistungen namhaft zu machen, die die Konstitution einer möglichen Welt begründen und mit der objektiven Sinngeltung zugleich deren intentionales Korrelat, die Welt als universalen intentionalen Verweisungszusammenhang vertrauter Sinngeltungen begründen. Als grundlegende Struktur weiß Husserl die Korrelation zwischen subjektiven Auffassungsmodi und ihren gedanklichen Gegenständen im intentionalen Bewusstseinserlebnis auszuweisen. Diese noetisch-noematische Korrelativität wird in ihren Wesenszusammenhängen gegliedert: Bei einer solchen Korrelation handelt es sich um einen immanenten Bezug zwischen zwei voneinander unterscheidbaren Bewusstseinsmomenten. Das Noema ist der Inbegriff eines intentionalen Sinngehalts, auf den das intentionale Erlebnis ausgeht, die Noesis ist das Moment des intentionalen Vollzugs, das den Empfindungskomplexionen einen gegenständlichen Sinn verleiht. In den weiteren Analysen zeigt sich, dass ein identischer noematischer Gehalt in einer Vielzahl konkreter noetischer Erlebnisse konstituiert sein kann und dass ein noematischer Gegenstand in verschiedenen noematischen Gehalten gegeben sein kann. Die Leistungen des transzendentalen Subjekts werden im Weiteren im Hinblick auf die Konstitution von Ding, Raum, Zeit, Intersubjektivität und objektive Welt thematisiert. – Husserl unterscheidet zwischen einer statischen und einer genetischen Ph.: Die statische folgt in ihren Analysen den regionalen Gliederungen der Welt, die genetische zeigt den zeitlichen Verlauf der Selbst- und Weltkonstitution der transzendentalen Subjektivität auf.

In Bezug auf die weitere Entwicklung der Ph. lassen sich unterschiedliche Tendenzen ausmachen, die sich zum Teil schon parallel zu Husserls Forschen etabliert hatten. Dazu zählen Pfänders »Phänomenologie des Wollens«, in dem es um die Beschreibung des eigenwesentlichen Gehalts der psychischen Phänomene geht. Reinach versteht die phänomenologische Einstellung als Wesensschau, in der die Wesenheiten unmittelbar erfasst werden. Scheler befasst sich mit den Wesenheiten und Wesenszusammenhängen, die in der durch die phänomenologische Reduktion gewonnenen Einstellung unmittelbar in einer hinnehmenden Anschauung zur Selbst-Gegebenheit kommen können. Bei Heidegger hat die Methode der phänomenologischen Deskription den Charakter der verstehenden Auslegung des Sinns des Seins von Dasein. Merleau-Ponty wendet sich gegen die intellektualistisch-kartesische Form der phänomenologischen Reduktion, in der die Welt als Korrelat transzendental-subjektiver Vollzüge betrachtet wird. Für ihn bedeutet die phänomenologische Reduktion, dass der Leib als Bedingung der Möglichkeit aller Wahrnehmung, als notwendige Grundlage unseres Zur-Welt-Seins bestimmt wird.

Literatur:

  • E. Husserl: Die Idee der Phänomenologie. Fünf Vorlesungen. Hua II
  • Ders.: Ideen zu einer reinen Phänomenologie und phänomenologischen Philosophie. Bd. I, Hua III/1. Den Haag 1976
  • Ders.: Logische Untersuchungen. 2. Band. Hua XIX. 1984
  • P. Janssen: Edmund Husserl. Einführung in seine Philosophie. Freiburg/München 1976
  • K.-H. Lembeck: Einführung in die phänomenologische Philosophie. Darmstadt 1994
  • W. Marx: Die Phänomenologie Edmund Husserls. München 1987
  • P. Prechtl: Husserl zur Einführung. Hamburg 1991
  • E. Ströker/P. Janssen: Phänomenologische Philosophie. Freiburg/München 1989
  • W. Strube: Phänomenologie. In: HWPh.
  • Die Autoren
AA Andreas Arndt, Berlin
AB Andreas Bartels, Paderborn
AC Andreas Cremonini, Basel
AD Andreas Disselnkötter, Dortmund
AE Achim Engstler, Münster
AG Alexander Grau, Berlin
AK André Kieserling, Bielefeld
AM Arne Malmsheimer, Bochum
AN Armin Nassehi, München
AR Alexander Riebel, Würzburg
ARE Anne Reichold, Kaiserslautern
AS Annette Sell, Bochum
AT Axel Tschentscher, Würzburg
ATA Angela T. Augustin †
AW Astrid Wagner, Berlin
BA Bernd Amos, Erlangen
BBR Birger Brinkmeier, Münster
BCP Bernadette Collenberg-Plotnikov, Hagen
BD Bernhard Debatin, Berlin
BES Bettina Schmitz, Würzburg
BG Bernward Gesang, Kusterdingen
BI Bernhard Irrgang, Dresden
BK Bernd Kleimann, Tübingen
BKO Boris Kositzke, Tübingen
BL Burkhard Liebsch, Bochum
BR Boris Rähme, Berlin
BS Berthold Suchan, Gießen
BZ Bernhard Zimmermann, Freiburg
CA Claudia Albert, Berlin
CH Cornelia Haas, Würzburg
CHA Christoph Asmuth, Berlin
CHR Christa Runtenberg, Münster
CI Christian Iber, Berlin
CJ Christoph Jäger, Leipzig
CK Christian Kanzian, Innsbruck
CL Cornelia Liesenfeld, Augsburg
CLK Clemens Kauffmann, Lappersdorf
CM Claudius Müller, Nehren
CO Clemens Ottmers, Tübingen
CP Cristina de la Puente, Stuttgart
CS Christian Schröer, Augsburg
CSE Clemens Sedmak, Innsbruck
CT Christian Tewes, Jena
CZ Christian Zeuch, Münster
DG Dorothea Günther, Würzburg
DGR Dorit Grugel, Münster
DH Detlef Horster, Hannover
DHB Daniela Hoff-Bergmann, Bremen
DIK Dietmar Köveker, Frankfurt a.M.
DK Dominic Kaegi, Luzern
DKÖ Dietmar Köhler, Witten
DL Dorothea Lüddeckens, Zürich
DP Dominik Perler, Berlin
DR Dane Ratliff, Würzburg und Austin/Texas
EE Eva Elm, Berlin
EJ Eva Jelden, Berlin
EF Elisabeth Fink, Berlin
EM Ekkehard Martens, Hamburg
ER Eberhard Rüddenklau, Staufenberg
EWG Eckard Wolz-Gottwald, Davensberg
EWL Elisabeth Weisser-Lohmann, Bochum
FBS Franz-Bernhard Stammkötter, Bochum
FG Frank Grunert, Basel
FPB Franz-Peter Burkard, Würzburg
FW Fabian Wittreck, Münster
GK Georg Kneer, Leipzig
GKB Gudrun Kühne-Bertram, Ochtrup
GL Georg Lohmann, Magdeburg
GM Georg Mildenberger, Tübingen
GME Günther Mensching, Hannover
GMO Georg Mohr, Bremen
GN Guido Naschert, Tübingen
GOS Gottfried Schwitzgebel, Mainz
GS Georg Scherer, Oberhausen
GSO Gianfranco Soldati, Tübingen
HB Harald Berger, Graz
HD Horst Dreier, Würzburg
HDH Han-Ding Hong, Düsseldorf
HG Helmut Glück, Bamberg
HGR Horst Gronke, Berlin
HL Hilge Landweer, Berlin
HND Herta Nagl-Docekal, Wien
HPS Helke Pankin-Schappert, Mainz
HS Herbert Schnädelbach, Berlin
IR Ines Riemer, Hamburg
JA Johann S. Ach, Münster
JC Jürgen Court, Köln
JH Jörg Hardy, Münster
JHI Jens Hinkmann, Bad Tölz
JK Jörg Klawitter, Würzburg
JM Jörg F. Maas, Hannover
JOP Jeff Owen Prudhomme, Macon/Georgia
JP Jörg Pannier, Münster
JPB Jens Peter Brune
JQ Josef Quitterer, Innsbruck
JR Josef Rauscher, Mainz
JRO Johannes Rohbeck, Dresden
JS Joachim Söder, Bonn
JSC Jörg Schmidt, München
JV Jürgen Villers, Aachen
KDZ Klaus-Dieter Zacher, Berlin
KE Klaus Eck, Würzburg
KG Kerstin Gevatter, Bochum
KH Kai-Uwe Hellmann, Berlin
KHG Karl-Heinz Gerschmann, Münster
KHL Karl-Heinz Lembeck, Würzburg
KJG Klaus-Jürgen Grün, Frankfurt a.M.
KK Klaus Kahnert, Bochum
KRL Karl-Reinhard Lohmann, Witten
KS Kathrin Schulz, Würzburg
KSH Klaus Sachs-Hombach, Magdeburg
LG Lutz Geldsetzer, Düsseldorf
LR Leonhard Richter, Würzburg
MA Mauro Antonelli, Graz
MB Martin Beisler, Gerbrunn
MBI Marcus Birke, Münster
MBO Marco Bonato, Tübingen
MD Max Deeg, Cardiff
MDB Matthias Bloch, Bochum
ME Michael Esfeld, Münster
MFM Martin F. Meyer, Koblenz/Landau
MK Matthias Kunz, München
MKL Martin Kleinsorge, Aachen
MKO Mathias Koßler, Mainz
ML Mark Lekarew, Berlin
MLE Michael Leibold, Würzburg
MM Matthias Maring, Karlsruhe
MN Marcel Niquet, Frankfurt a.M.
MQ Michael Quante, Köln
MR Mathias Richter, Berlin
MRM Marie-Luise Raters-Mohr, Potsdam
MS Manfred Stöckler, Bremen
MSI Mark Siebel, Hamburg
MSP Michael Spang, Ellwangen
MSU Martin Suhr, Hamburg
MW Markus Willaschek, Münster
MWÖ Matthias Wörther, München
NM Norbert Meuter, Berlin
OB Oliver Baum, Bochum
OFS Orrin F. Summerell, Bochum
PE Peter Eisenhardt, Frankfurt a.M.
PCL Peter Ch. Lang, Frankfurt a.M.
PK Peter Kunzmann, Jena
PN Peter Nitschke, Vechta
PP Peter Prechtl †
RD Ruth Dommaschk, Würzburg
RDÜ Renate Dürr, Karlsruhe
RE Rolf Elberfeld, Hildesheim
REW Ruth Ewertowski, Stuttgart
RH Reiner Hedrich, Gießen
RHI Reinhard Hiltscher, Stegaurach
RK Reinhard Kottmann, Münster
RL Rudolf Lüthe, Koblenz
RLA Rolf-Jürgen Lachmann, Berlin
RM Reinhard Mehring, Berlin
RP Roland Popp, Bremen
RS Regina Srowig, Würzburg
RTH Robert Theis, Strassen
RW Raymund Weyers, Köln
SD Steffen Dietzsch, Berlin
SIK Simone Koch, Bochum
SP Stephan Pohl, Dresden
SZ Snjezana Zoric, Würzburg
TB Thomas Bausch, Berlin
TBL Thomas Blume, Dresden
TF Thomas Friedrich, Mannheim
TG Thomas Grundmann, Köln
TH Thomas Hammer, Frankfurt a.M.
TK Thomas Kisser, München
TM Thomas Mormann, Unterhaching
TN Thomas Noetzel, Marburg
TP Tony Pacyna, Jena
TW Thomas Welt, Bochum
UB Ulrich Baltzer, München
UT Udo Tietz, Berlin
UM Ulrich Metschl, München/Leonberg
VG Volker Gerhardt, Berlin
VM Verena Mayer, München
VP Veit Pittioni, Innsbruck
VR Virginie Riant, Vechta
WAM Walter Mesch, Heidelberg
WB Wilhelm Baumgartner, Würzburg
WH Wolfram Hinzen, Bern
WJ Werner Jung, Duisburg
WK Wulf Kellerwessel, Aachen
WL Winfried Löffler, Innsbruck
WM Wolfgang Meckel, Butzbach
WN Wolfgang Neuser, Kaiserslautern
WP Wolfgang Pleger, Cochem/Dohr
WS Werner Schüßler, Trier
WST Wolfgang Struck, Erfurt
WSU Wolfgang Schulz, Tübingen
WvH Wolfram von Heynitz, Weiburg

Herausgegeben von Peter Prechtl (†) und Franz-Peter Burkard.

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