Metzler Lexikon Philosophie: Philosophia perennis
Der Ausdruck geht zurück auf den italienischen Humanisten und Theologen Augustinus Steuchos (1497–1548; auch: Steuchus Eugubinus, Agostino Steuco), der eine grundlegende Übereinstimmung der christlichen Glaubenslehre mit der Weisheit der nichtchristlichen Völker postulierte (De philosophia perenni libri X, Lyon 1540). Steuchos’ Hintergrund ist ein christlich gedeuteter, von Marsilio Ficino und Pico della Mirandola geprägter Platonismus, aufgrund dessen es nur ein oberstes Prinzip aller Dinge und nur ein zeitlich und örtlich gleiches Wissen darüber bei den Völkern gibt. In der Folgezeit verschiedentlich zur Interpretation der Philosophiegeschichte benützt, schwankt das Verständnis von Ph.p. zwischen einem mehr inhaltlichen/ergebnisorientierten und einem mehr formalen/problemorientierten: zwischen Ph.p. als einem festen Bestand von Hauptthesen bzw. Grundwahrheiten, die von allen großen Philosophen zu allen Zeiten vertreten wurden, und Ph.p. als einem Grundbestand wichtiger weltanschaulicher Probleme, die sich – wenn nicht terminologisch, so zumindest ihrer formalen Struktur nach – in jeder Epoche und Kultur in gleicher Weise stellen und nach einer neuen, im jeweiligen Kontext verstehbaren Antwort verlangen (etwa: die Fragen nach dem sittlich Guten, nach Seele und Bewusstsein, der Analyse von Werden und Veränderung, der Existenz eines letzten Grundes aller Dinge, etc.). Eine Mittelstellung nimmt die Auffassung Leibniz’, Trendelenburgs u. a. von Ph.p. als einer (trotz Rückschlägen und Irrtümern) im ganzen doch fortschreitenden Wahrheitserkenntnis der Philosophie ein; der Sache nach ähnlich (wenngleich nicht terminologisch) ist Hegels Deutung der Philosophiegeschichte als Fortgang auf ihren Zielpunkt, die in seinem Werk gegebene Philosophie des absoluten Geistes. Im 19. und frühen 20. Jh. übernahmen manche Vertreter des Neuthomismus und der sonstigen Neuscholastik den Terminus Ph.p. zur Kennzeichnung und Legitimation der im Werk Platons und Aristoteles’ grundgelegten, durch Thomas v. Aquin systematisch vollendeten und seither nicht mehr entscheidend überbietbaren Philosophie. Aufgabe zeitgenössischer philosophischer Arbeit wird aus dieser Sicht hauptsächlich die Bereinigung kleinerer Lücken und Unstimmigkeiten sowie Anwendung und Ausbau im Hinblick auf neue Entwicklungen in Philosophie und Wissenschaft sein. Eine kritische Einschätzung der Berechtigung verschiedener Auffassungen von Ph.p. wird u. a. folgende Fakten berücksichtigen: (1) die offenkundige terminologische und inhaltliche Vielfalt der in der Philosophiegeschichte vertretenen Thesen, insbesondere unter Berücksichtigung der nicht-abendländischen Traditionen; dabei aber (2) die ebenso offenkundige Beeinflussung des Philosophierens durch vorhandene Traditionen; (3) die Perspektivität philosophiegeschichtlicher Arbeit, d.h. hier die nicht nur psychologisch, sondern auch sachlich nicht völlig vermeidbare Neigung, die Philosophiegeschichte im Lichte der eigenen Auffassungen und Denkkategorien zu interpretieren.
Literatur:
- J. Barion: Philosophia perennis als Problem und als Aufgabe. München 1936 (Lit.)
- N. Hartmann: Der philosophische Gedanke und seine Geschichte (Abhandl. d. Preuß. Akad. d. Wiss., Phil. Hist. Klasse 5). Berlin 1936
- L. E. Loemker: Perennial Philosophy. In: Dictionary of the History of Ideas, Bd. 3. New York 1973. S. 457–463
- J. Mittelstraß: Philosophia perennis. In: Enzyklopädie Philosophie und Wissenschaftstheorie, Bd. 3. Stuttgart 1995. S. 130
- C. B. Schmitt: Studies in Renaissance Philosophy and Science. London 1981
- H. Schneider: Philosophie, immerwährende. In: HWPh Bd.7, 898–900.
WL
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