Direkt zum Inhalt

Metzler Lexikon Philosophie: Philosophie, indische

Da Indien drei Hochreligionen hervorgebracht hat, ist die i.Ph. zunächst nach diesem Gesichtspunkt zu gliedern: Hinduismus, Buddhismus und Jainismus, wobei man den orthodoxen hinduistischen Denkschulen (Brahmanismus, Systeme, indische) Buddhismus, Jainismus (und Materialisten, Lokāyata) gegenüberstellt, die im Gegensatz zu jenen den Veda (Veden) nicht als Autorität anerkennen. Neben Logik, Epistomologie, Ontologie, Kosmologie u. a., hat die i.Ph. ein existentielles Interesse an religiösen Fragestellungen, deren wichtigste die nach der Erlösung (Mokṣa) ist. Voraussetzung für Erlösung ist, dass alle indischen religiösen und philosophischen Systeme – außer den Materialisten (Lokāyata) – eine Wiedergeburt lehren, ohne dabei unbedingt darin übereinzustimmen, was denn wiedergeboren wird: Während die meisten Systeme eine den Tod überdauernde, individuelle Substanz, eine Seele (Jīva, Ātman) lehren, lehnt der Buddhismus, auch wenn er in bestimmten Ausprägungen der Vorstellung einer Seele sehr nahe kommt (Pudgalavāda Mahāyāna), die Existenz einer Seele, die den dauerhaften Kern der individuellen Persönlichkeit ausmacht, strikt ab (anātman-Lehre). Die Verbindung zwischen Wiedergeburt und Erlösungsstreben schafft wiederum die Vorstellung, dass dieser eigentlich ewige Geburtenkreislauf (Saṃsāra) qual- und leidvoll sei, und dass es darauf ankommt, einen Weg finden, der es ermöglicht, aus diesem auszuscheiden. Was ursprünglich eine sehr konkrete Angelegenheit war, nämlich das Verlangen nach materiellem Wohlstand und Heil im Diesseits durch entsprechend wirksame Opferwerke (Karma), wird in Verbindung mit der Wiedergeburtslehre moralisch-kausalistisch umgedeutet in das Prinzip, dass das Verhalten und die Taten (Karma) in diesem (oder in vorangegangenen) Leben bestimmend sind dafür, in welcher Existenz man in der folgenden Existenz geboren wird oder wie schnell man zur Erlösung kommen kann. Von einer reinen Werkgerechtigkeit unterscheidet sich die Karma-Theorie jedoch dadurch, dass Erlösung nicht dadurch erreicht wird, dass man gutes Karma anhäuft, sondern dadurch, dass das alte Karma aufgezehrt und kein neues mehr produziert wird. Dies kann erreicht werden entweder durch die Hingabe an eine bestimmte Gottheit (Bhakti), wobei diese dann aktiv in den Erlösungsprozess eingreift; die andere Möglichkeit besteht jedoch in der Erkenntnis der grundlegenden religiösen oder philosophischen Wahrheit, die häufig nicht auf rational-logischem Weg gewonnen werden kann, sondern durch Intuition; durch diese wird die die Erlösung hindernde und an den Samsāra fesselnde Unwissenheit (Avidyā) aufgehoben. Der Weg zu dieser intuitiven Erkenntnis führt dann meist über meditative (Meditation) und asketische (Tapas) Praktiken. In fast allen philosophischen Systemen kommt zusätzlich der Erkenntnis eines Unterschied zwischen empirischer Erfahrung und transzendenter Wirklichkeit (Ātman-Brahman-Konzeption, Advaita, Puruṣa-Prakṛti, Sūnyatā Mādhyamika) eine wesentliche Bedeutung auf dem Weg zur Erlösung zu, die mittels Meditation erreicht werden kann. In den meisten Denkschulen nimmt das Verhältnis des Geistes als Seelenmonade oder Urgrund und letzte Wirklichkeit zur Materie hierbei eine wichtige Stellung ein; lediglich für den Materialismus und den Buddhismus, der ja sowohl eine individuelle wie auch eine kosmische geistige und ewige Entität leugnet, ist diese Frage sekundär. Der Buddhismus legte besonderen Wert darauf zu erklären, nach welchen Kausalitäten die Welt funktioniert und wie man sich diese Kausalitäten auf dem Weg zur Erlösung zunutze machen kann. Dabei werden sowohl die Objekte der Außenwelt als auch subjektive Persönlichkeit selbst, die ja nach buddhistischer Auffassung kein Ganzes ist und keinen Wesenskern hat, analysiert und kategorisiert. Diesen Hang zum Zerlegen der materiellen und geistigen Welt in einzelne Bestandteile und Kategorien und dem Feststellen von deren Zusammenhang und Zusammenwirken findet man auch im Jainismus und in einigen indischen Systemen (Nyāya, Sāṃkhya, Vaiṣesika). Historische Entwicklung: Die ältesten philosophischen Fragmente findet man in den jüngeren Partien des Rgveda (Veden) (X. Maṇḍala) im Bereich der Kosmogonie, indem z.B. hinterfragt wird, was denn eigentlich vor dem Seienden und dem Nichtseienden gewesen sei (X, 129). Philosophisches Denken erwächst in Indien also auf dem Boden des vedischen Brahmanismus, dem Vorläufer des Hinduismus. Zur Zeit der Brāhmaṇas, einer Masse ritual-exegetischer Texte, entstehen zahlreiche Spekulationen über die mikrokosmisch-makrokosmischen Zusammenhänge und Identifikationen von Opfer und Kosmos. Aus ihnen heraus entwickeln sich die philosophischen Ansätze der Upaniṣaden, in denen die Vorstufen des Idealismus des späteren Vedānta sichtbar werden. Die Mitte des 1. Jahrtausends v.Chr. war eine sehr fruchtbare Zeit für die Entwicklung der indischen Philosophie; mit dem Entstehen von städtischer Kultur und den ersten Großreichen kommt es in Nordindien – u.a. aus den Kreisen des Kriegerstandes (kṣatriya) – zur Herausbildung neuer religiöser, sozialer und philosophischer Ideen, die mit der brahmanischen Tradition in mehr oder weniger starkem Maße brechen: Nichtanerkennung des Veda als letzte religiöse und philosophische Autorität und des Kastensystems als soziale Gegebenheit (Jainismus), sowie das Leugnen einer Seele (Buddhismus) oder einer sittlichen Weltordnung wie der Karma-Lehre bei den Materialisten (Lokāyata). Eine weitere Blüte erlebt die i. Ph. im ersten Jahrtausend n.Chr., in dem die religiösen Bhakti-Bewegungen hervortreten, die buddhistischen Schulen ihre Blütezeit hatten (Mahāyāna, Mādhyamika) und sich darauf die brahmanische Gegenreformation (Vedānta, Advaita) herausbildete. Mit der Eroberung Nordindiens durch den Islam (1206) verschwindet der Buddhismus in Indien fast völlig von der Bildfläche und die traditionelle Philosophie war weitgehend auf die hinduistischen Reiche des Südens beschränkt. Vorherrschend waren bis zum Einbruch abendländischer, v.a. naturwissenschaftlicher und politisch-ideologischer Gedanken durch die britische Kolonialisierung (ab 18. Jh.) die Schulen der śivaitischen oder viṣṇuitischen Sekten oder des Vedānta.

Literatur:

  • S. Dasgupta: A History of Indian Philosophy. 5 Bde. Oxford 1922 (Nachdr. Delhi)
  • P. Deussen: Allgemeine Geschichte der Philosophie. Leipzig 1920 ff
  • E. Frauwallner: Geschichte der indischen Philosophie. 2 Bde. Salzburg 1953–56
  • H. v. Glasenapp: Die Philosopie der Inder. Stuttgart 31974
  • W. Halbfaß: Einführung in die Indologie. Darmstadt 21993. S. 138 ff
  • Ders.: Tradition and Reflection: Explorations in Indian Thought. Albany 1991
  • B. Heimann: Studien zur Eigenart indischen Denkens. Tübingen 1930
  • M. Hiriyanna: Vom Wesen der indischen Philosophie. München 1990
  • H. Nakamura: Religions and Philosophies of India: A Survey with Bibliographical Notes. Tokyo 1974
  • K. H. Potter (Hg.): The Encyclopedia of Indian Philosophies. 5 Bde. Delhi 1974 ff. (Band 1: Bibliographie, 21983)
  • Ders.: Presuppositions of India’s Philosophies. Delhi 1991
  • S. Radhakrishnan: Indische Philosophie. Baden-Baden 1955
  • P. Ruben: Geschichte der indischen Philosophie. Berlin 1954
  • O. Strauß: Indische Philosophie. München 1925
  • H. Zimmer: Philosophie und Religion Indiens. Frankfurt 1973
  • Textanthologien: H. v. Glasenapp: Indische Geisteswelt. Bd. 1. Hanau 1986
  • J. Mehlig: Weisheit des alten Indien. 2 Bde. München 1987.

MD

  • Die Autoren
AA Andreas Arndt, Berlin
AB Andreas Bartels, Paderborn
AC Andreas Cremonini, Basel
AD Andreas Disselnkötter, Dortmund
AE Achim Engstler, Münster
AG Alexander Grau, Berlin
AK André Kieserling, Bielefeld
AM Arne Malmsheimer, Bochum
AN Armin Nassehi, München
AR Alexander Riebel, Würzburg
ARE Anne Reichold, Kaiserslautern
AS Annette Sell, Bochum
AT Axel Tschentscher, Würzburg
ATA Angela T. Augustin †
AW Astrid Wagner, Berlin
BA Bernd Amos, Erlangen
BBR Birger Brinkmeier, Münster
BCP Bernadette Collenberg-Plotnikov, Hagen
BD Bernhard Debatin, Berlin
BES Bettina Schmitz, Würzburg
BG Bernward Gesang, Kusterdingen
BI Bernhard Irrgang, Dresden
BK Bernd Kleimann, Tübingen
BKO Boris Kositzke, Tübingen
BL Burkhard Liebsch, Bochum
BR Boris Rähme, Berlin
BS Berthold Suchan, Gießen
BZ Bernhard Zimmermann, Freiburg
CA Claudia Albert, Berlin
CH Cornelia Haas, Würzburg
CHA Christoph Asmuth, Berlin
CHR Christa Runtenberg, Münster
CI Christian Iber, Berlin
CJ Christoph Jäger, Leipzig
CK Christian Kanzian, Innsbruck
CL Cornelia Liesenfeld, Augsburg
CLK Clemens Kauffmann, Lappersdorf
CM Claudius Müller, Nehren
CO Clemens Ottmers, Tübingen
CP Cristina de la Puente, Stuttgart
CS Christian Schröer, Augsburg
CSE Clemens Sedmak, Innsbruck
CT Christian Tewes, Jena
CZ Christian Zeuch, Münster
DG Dorothea Günther, Würzburg
DGR Dorit Grugel, Münster
DH Detlef Horster, Hannover
DHB Daniela Hoff-Bergmann, Bremen
DIK Dietmar Köveker, Frankfurt a.M.
DK Dominic Kaegi, Luzern
DKÖ Dietmar Köhler, Witten
DL Dorothea Lüddeckens, Zürich
DP Dominik Perler, Berlin
DR Dane Ratliff, Würzburg und Austin/Texas
EE Eva Elm, Berlin
EJ Eva Jelden, Berlin
EF Elisabeth Fink, Berlin
EM Ekkehard Martens, Hamburg
ER Eberhard Rüddenklau, Staufenberg
EWG Eckard Wolz-Gottwald, Davensberg
EWL Elisabeth Weisser-Lohmann, Bochum
FBS Franz-Bernhard Stammkötter, Bochum
FG Frank Grunert, Basel
FPB Franz-Peter Burkard, Würzburg
FW Fabian Wittreck, Münster
GK Georg Kneer, Leipzig
GKB Gudrun Kühne-Bertram, Ochtrup
GL Georg Lohmann, Magdeburg
GM Georg Mildenberger, Tübingen
GME Günther Mensching, Hannover
GMO Georg Mohr, Bremen
GN Guido Naschert, Tübingen
GOS Gottfried Schwitzgebel, Mainz
GS Georg Scherer, Oberhausen
GSO Gianfranco Soldati, Tübingen
HB Harald Berger, Graz
HD Horst Dreier, Würzburg
HDH Han-Ding Hong, Düsseldorf
HG Helmut Glück, Bamberg
HGR Horst Gronke, Berlin
HL Hilge Landweer, Berlin
HND Herta Nagl-Docekal, Wien
HPS Helke Pankin-Schappert, Mainz
HS Herbert Schnädelbach, Berlin
IR Ines Riemer, Hamburg
JA Johann S. Ach, Münster
JC Jürgen Court, Köln
JH Jörg Hardy, Münster
JHI Jens Hinkmann, Bad Tölz
JK Jörg Klawitter, Würzburg
JM Jörg F. Maas, Hannover
JOP Jeff Owen Prudhomme, Macon/Georgia
JP Jörg Pannier, Münster
JPB Jens Peter Brune
JQ Josef Quitterer, Innsbruck
JR Josef Rauscher, Mainz
JRO Johannes Rohbeck, Dresden
JS Joachim Söder, Bonn
JSC Jörg Schmidt, München
JV Jürgen Villers, Aachen
KDZ Klaus-Dieter Zacher, Berlin
KE Klaus Eck, Würzburg
KG Kerstin Gevatter, Bochum
KH Kai-Uwe Hellmann, Berlin
KHG Karl-Heinz Gerschmann, Münster
KHL Karl-Heinz Lembeck, Würzburg
KJG Klaus-Jürgen Grün, Frankfurt a.M.
KK Klaus Kahnert, Bochum
KRL Karl-Reinhard Lohmann, Witten
KS Kathrin Schulz, Würzburg
KSH Klaus Sachs-Hombach, Magdeburg
LG Lutz Geldsetzer, Düsseldorf
LR Leonhard Richter, Würzburg
MA Mauro Antonelli, Graz
MB Martin Beisler, Gerbrunn
MBI Marcus Birke, Münster
MBO Marco Bonato, Tübingen
MD Max Deeg, Cardiff
MDB Matthias Bloch, Bochum
ME Michael Esfeld, Münster
MFM Martin F. Meyer, Koblenz/Landau
MK Matthias Kunz, München
MKL Martin Kleinsorge, Aachen
MKO Mathias Koßler, Mainz
ML Mark Lekarew, Berlin
MLE Michael Leibold, Würzburg
MM Matthias Maring, Karlsruhe
MN Marcel Niquet, Frankfurt a.M.
MQ Michael Quante, Köln
MR Mathias Richter, Berlin
MRM Marie-Luise Raters-Mohr, Potsdam
MS Manfred Stöckler, Bremen
MSI Mark Siebel, Hamburg
MSP Michael Spang, Ellwangen
MSU Martin Suhr, Hamburg
MW Markus Willaschek, Münster
MWÖ Matthias Wörther, München
NM Norbert Meuter, Berlin
OB Oliver Baum, Bochum
OFS Orrin F. Summerell, Bochum
PE Peter Eisenhardt, Frankfurt a.M.
PCL Peter Ch. Lang, Frankfurt a.M.
PK Peter Kunzmann, Jena
PN Peter Nitschke, Vechta
PP Peter Prechtl †
RD Ruth Dommaschk, Würzburg
RDÜ Renate Dürr, Karlsruhe
RE Rolf Elberfeld, Hildesheim
REW Ruth Ewertowski, Stuttgart
RH Reiner Hedrich, Gießen
RHI Reinhard Hiltscher, Stegaurach
RK Reinhard Kottmann, Münster
RL Rudolf Lüthe, Koblenz
RLA Rolf-Jürgen Lachmann, Berlin
RM Reinhard Mehring, Berlin
RP Roland Popp, Bremen
RS Regina Srowig, Würzburg
RTH Robert Theis, Strassen
RW Raymund Weyers, Köln
SD Steffen Dietzsch, Berlin
SIK Simone Koch, Bochum
SP Stephan Pohl, Dresden
SZ Snjezana Zoric, Würzburg
TB Thomas Bausch, Berlin
TBL Thomas Blume, Dresden
TF Thomas Friedrich, Mannheim
TG Thomas Grundmann, Köln
TH Thomas Hammer, Frankfurt a.M.
TK Thomas Kisser, München
TM Thomas Mormann, Unterhaching
TN Thomas Noetzel, Marburg
TP Tony Pacyna, Jena
TW Thomas Welt, Bochum
UB Ulrich Baltzer, München
UT Udo Tietz, Berlin
UM Ulrich Metschl, München/Leonberg
VG Volker Gerhardt, Berlin
VM Verena Mayer, München
VP Veit Pittioni, Innsbruck
VR Virginie Riant, Vechta
WAM Walter Mesch, Heidelberg
WB Wilhelm Baumgartner, Würzburg
WH Wolfram Hinzen, Bern
WJ Werner Jung, Duisburg
WK Wulf Kellerwessel, Aachen
WL Winfried Löffler, Innsbruck
WM Wolfgang Meckel, Butzbach
WN Wolfgang Neuser, Kaiserslautern
WP Wolfgang Pleger, Cochem/Dohr
WS Werner Schüßler, Trier
WST Wolfgang Struck, Erfurt
WSU Wolfgang Schulz, Tübingen
WvH Wolfram von Heynitz, Weiburg

Herausgegeben von Peter Prechtl (†) und Franz-Peter Burkard.

Schreiben Sie uns!

Wenn Sie inhaltliche Anmerkungen zu diesem Artikel haben, können Sie die Redaktion per E-Mail informieren. Wir lesen Ihre Zuschrift, bitten jedoch um Verständnis, dass wir nicht jede beantworten können.

Partnerinhalte

Bitte erlauben Sie Javascript, um die volle Funktionalität von Spektrum.de zu erhalten.