Metzler Lexikon Philosophie: Propädeutik
gewöhnlich mit »Vorübung«, »Vorbereitung«, »Vorschule«, »Vorerziehung« (griech. pro: vor- und paideuein: erziehen, unterrichten) übersetzt. P. (propaideutike episteme) ist zwar kein Wort des Altgriech., denn es taucht erst zu Beginn des 17. Jh. (J. Jungius: De propaedia Philosophica sive Propaedeutico Mathematum usu. Rostock 1626) auf, aber sein Vorbild dürfte zweifellos die Platonische propaideia (Staat 536d) sein. Allgemein versteht man unter P. den ersten vorbereitenden oder einführenden Unterricht in einer Wissenschaft. Da zum Studium einer Reihe von Einzelwissenschaften auch Kenntnisse erfordert werden, die außerhalb ihres Fachgebietes liegen, z.B. Physik, Chemie für die Medizin oder alte Sprachen für die Theologie, so gehören die Hilfswissenschaften zur speziellen P. einer Einzelwissenschaft. – Aber von besonderer Bedeutung und im Gegensatz zu den Einzelwissenschaften ist die P. für die Philosophie. Im Zuge der Bildungsreform zu Beginn des 19. Jh. (Neuhumanisten wie Niethammer und Humboldt) ging die Philosophie an den höheren Schulen zunächst leer aus. Hegel forderte daher, dass sogenannte »Vorbereitungswissenschaften« der Philosophie auf dem Gymnasium zu lehren seien, damit die Universität an Vorkenntnisse anknüpfen könne, und setzte sich damit in Preußen auch durch. Aber anstatt man dieses vorbereitende Unterrichtsfach nun »Philosophie« nannte, führte man 1825 die Bezeichung »philosophische P.« ein, was eine sonderbare Bedeutungsverschiebung nach sich zog. Denn aus der Funktionsbezeichung P. wurde unterderhand ein zwitterhafter Auftrag, dessen umstrittener Lehrstoff weder philosophisch noch fachfremd sein sollte, weil man teils meinte, Philosophie nicht wie eines der übrigen Fächer schulmäßig lehren zu können, teils überhaupt darüber uneins war, ob ein nichtphilosophisches Fach – wie z.B. Mathematik, wofür einige plädierten – die P. der Philosophie sein müsse. Österreich, Frankreich und die Schweiz folgten dem preußischen Vorbild und richteten gleichfalls ein Schulfach »philosophische P.« ein. Während es sich aber in diesen Ländern unangefochten halten konnte, war es in Deutschland einer wechselhaften Geschichte ausgesetzt. Die wiederholte Abschaffung und Wiedereinführung des Schulfaches spiegelt den bis heute noch nicht ausgestandenen Streit um Aufgabe und Inhalt einer sinnvollen Vorbereitung auf die Philosophie wider. Es kommt darin nicht nur eine seit Kant anhaltende Krise der Philosophien zum Ausdruck, sondern ein Grundproblem der Philosophie selbst: ob nämlich die P. außerhalb als »Vorhof« oder innerhalb der Philosophie selbst anzusiedeln sei. Kant nannte seine Kritik der reinen Vernunft P. Nimmt man aber diese Gleichsetzung von »Kritik« und »P.« ernst, indem man der P. die Grundlegungsfrage der Kritik zumutet, so kann die P. der Philosophie nicht der Vorhof oder die Vorschule sein, ohne den notwendigen Anfang in der Philosophie zu verfehlen.
LR
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