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Metzler Lexikon Philosophie: Prozess

die Aufeinanderfolge verschiedener Zustände und Handlungen, wobei ein Zustand kausal aus dem anderen hervorgeht. Der P.-Begriff hat heute vor allem juristische, naturphilosophische und erkenntistheoretische Bedeutung. (1) In der Jurisprudenz setzte sich der P.-Begriff erst seit der Neuzeit für ein systematisch nach Grundsätzen durchgeführtes Gerichtsverfahren durch. Bei Pufendorf etwa finden sich noch keine Ausführungen zum Verfahrensrecht. Erst die Durchsetzung des positiven Rechts begünstigt eine nähere Bestimmung des juristischen P. (2) In der Naturphilosophie geht der P.-Begriff vor allem auf den Deutschen Idealismus und die Romantik zurück, die ihn aus der Terminologie der zeitgenössischen Chemie und der Alchemie übernimmt. Es ist vor allem Schelling, der von einem grundlegenden, biologistisch zu verstehenden Prinzip ausgeht, welches auch das nichtbiologische Universum durchdringt und in einem unendlichen Produktionsprozess hält (Organizismus). Bei Hegel wird der P.-Begriff seines naturphilosophischen Gehaltes entkleidet und gewinnt vor allem geistund geschichtsphilosophisch an Gewicht (Dialektik). Im 20. Jh. hat Whitehead den P.-Begriff im Rahmen seiner Kosmologie wieder als Fundamentalkategorie eingeführt. Für ihn ist das Universum als fortwährend sich entwickelndes P.-Ganzes zu verstehen, der P. ist die gesamte Wirklichkeit. (3) In der Erkenntnistheorie betont der P.-Begriff vor allem den dynamischen Charakter von Erkenntnis. Im Anschluss an Kant wird deutlich, dass Erkenntnis einen infiniten P. darstellt. Jeder vermeintliche Abschluss eines Erkenntnisprozesses scheitert an der Verfasstheit menschlichen Erkenntisvermögens. In diesem Sinne ist der P.-Charakter der Erkenntnis vor allem durch Poppers Begriff der Falsifikation in diesem Jh. erneut unterstrichen worden.

Literatur:

  • K. Popper: Logik der Forschung. Wien 1935
  • F. W. J. Schelling: Von der Weltseele. In: Sämtl. Werke II. S. 347–583
  • K. Röttgers: Der Ursprung der Prozess-Idee aus dem Geiste der Chemie. In: Archiv für Begriffsgeschichte 27 (1983). S. 93–157
  • A. N. Whitehead: Prozess und Realität. Frankfurt 21984.

AG

Prozessphilosophie, Bezeichnung für die ontologische Position, dass »Sein« kein passives und gleichbleibendes Beharren, sondern prozessual verfasst ist. Der Begriff der P. ist engstens mit dem Werk Whiteheads und der von ihm initiierten philosophischen Orientierung verbunden. Nach Whitehead ist alles Seiende als Prozess oder als Bestandteil von Prozessen aufzufassen. Diese Position richtet sich gegen die Annahme eines substantiellen Seins im Sinne der cartesischen Definition, dass Substanz ein in sich selbst bestehendes Sein sei und für ihr Sein nur sich selbst benötige. Nach dieser Annahme sind die Relationen einer Substanz zu anderem für sie »äußerlich« und ontologisch unwesentlich. Demgegenüber behauptet Whitehead, dass Sein wesentlich relational ist. Jedes Seiende ist das, was es ist, wesentlich aufgrund seiner Relationen zu anderem Seienden. Jedes Seiende ist essentiell durch seine Umgebung konditioniert und gewinnt seine Realität aufgrund der Verarbeitung dieser Relationen. Das relational konstituierte Sein ist nicht zeitlos vorzustellen. Sein ist Ergebnis eines Verarbeitungsprozesses, ist Ergebnis je neuer Prozesse der Seinswerdung. Das prozessuale Geschehen ist aber kein formloses Werden, sondern hat die Gestalt von Prozesseinheiten, die Whitehead »aktuale Entitäten« (actual entities) nennt. Aktuale Entitäten sind die letzten realen Dinge, aus denen die Wirklichkeit besteht. Diese Behauptung drückt das »ontologische Prinzip« aus. In Bezug auf die aktualen Entitäten lautet das »Prozessprinzip«, dass ihr Sein durch ihr Werden konstituiert wird. Aktuale Entitäten haben folgende allgemeine Struktur: (1) Sie entstehen ausgehend von den Ergebnissen anderer ihnen vorausgehender und sie verursachender aktualer Entitäten. Das anfängliche Erfassen kausal wirksamer Faktoren nennt Whitehead »Prähension« (prehension). Die Anfangsphase ist wesentlich eine Reproduktion der rezipierten aktualen Entitäten. Die rezipierten Entitäten werden aber bereits hinsichtlich ihrer Vereinbarkeit zu einem einheitlichen Muster bewertet und daher selektiv rezipiert. Aufgrund der leitenden Orientierung auf ein die Daten vereinheitlichendes Muster haben aktuale Entitäten eine teleologische Natur. (2) Die Anfangsphase geht in einen Vorgang des Zusammenwachsens, der »Konkreszenz« (concrescence) über. Hier wird der Modifikations- und Integrationsvorgang der angeeigneten Daten weitergeführt. Die Konkreszenz ist zwar durch die prähendierten Daten konditioniert, nicht aber vollständig determiniert. Es können völlig neue Integrationen stattfinden, die nicht aus den prähendierten Daten stammen und somit eine »Neuheit« (novelty) einführen. Daher ist Kreativität eine der ultimativen Charakterisierungen von Wirklichkeit. Die Konkreszenz verläuft nach Maßgabe des Ziels, solche Integrationen zu gewinnen, die sich durch eine hohe »Intensität« auszeichnen. (3) Mit der Bildung eines einheitlichen die Daten verbindenden Musters kommt die Konkreszenz an ihr Ende. Whitehead spricht von diesem Abschluss als einer »Befriedigung« (satisfaction). Das abschließende einheitliche Muster wird diffundiert. Mit seinem Realwerden zerfallen die aktualen Entitäten. Sie werden nun wirklich im Sinne von wirkungsmächtig und werden zum Ausgangspunkt neuer daran anschließender Realisierungsgeschehen. Jede aktuale Entität ist daher ein Übergang von der Öffentlichkeit der Welt hin zur Privatheit des Werdens, das mit ihrer Expression wiederum in die Öffentlichkeit der Wirkungen führt. Die Anfangsphase der aktualen Entitäten zeichnet sich durch eine hohe Unbestimmtheit aus, weil die rezipierten Daten auf viele verschiedene Weisen miteinander integriert werden können. Die aktualen Entitäten enden mit dem Gewinn einer vollständigen Bestimmtheit ihrer Elemente zueinander und zur vorausgegangenen Welt. Aufgrund dieser Position gibt es kein sich selbst identisch bleibendes Sein. Dinge, die uns als identisch erscheinen, sind lediglich die permanente Reproduktion der Muster der vorausgegangenen Prozesse. Aktuale Entitäten können in besonderen Vererbungszusammenhängen stehen und »Gesellschaften« (societies) bilden. Andererseits können sie sich intern ausdifferenzieren und in ihrer Konkreszenz »höhere Phasen« der Erfahrung ausbilden. Aktuale Entitäten sind Organismen. Aufgrund der schöpferischen Natur der aktualen Entitäten spricht Whitehead von einem »kreativen Fortschreiten der Natur«.

Ausgehend von dieser systematischen Formulierung der P. kann man dem Begriff eine weitere Bedeutung geben, indem man auf die philosophische Entwicklung zentraler prozessphilosophischer Positionen zurückgreift. Die erste Formulierung der P. findet sich bei Heraklit. Nach ihm ist alles Seiende permanent »im Fluss« und in unaufhörlicher Veränderung. Der Seinsgrund der Dinge wird nicht als gleichbleibende Substanz, sondern als ein »ewig lebendiges« und sich permanent änderndes »Feuer« verstanden. Alle Dinge sind das Ergebnis seines Wirkens. Wenn man den Gedanken der »internen Relationen« als die zentrale prozessphilosophische Position ansieht, so besteht in Hegels Philosophie eine wichtige Vorbereitung. Weitere Antizipationen der P. Whiteheads sind die verschiedenen Formen der Kritik an einem substantiellen Denken, so wie sie von W. James (in seiner Kritik an einem substantiellen Verständnis des Bewusstseins) oder Bergson (in seiner Kritik an einem verräumlichenden, statischen Denken, das Zeit und Werden nicht angemessen denken könne) formuliert wurden.

Literatur:

  • K. Popper: Logik der Forschung. Wien 1935
  • F. W. J. Schelling: Von der Weltseele. In: Sämtl. Werke II. S. 347–583
  • K. Röttgers: Der Ursprung der Prozess-Idee aus dem Geiste der Chemie. In: Archiv für Begriffsgeschichte 27 (1983). S. 93–157
  • A. N. Whitehead: Prozess und Realität. Frankfurt 21984.
  • Die Autoren
AA Andreas Arndt, Berlin
AB Andreas Bartels, Paderborn
AC Andreas Cremonini, Basel
AD Andreas Disselnkötter, Dortmund
AE Achim Engstler, Münster
AG Alexander Grau, Berlin
AK André Kieserling, Bielefeld
AM Arne Malmsheimer, Bochum
AN Armin Nassehi, München
AR Alexander Riebel, Würzburg
ARE Anne Reichold, Kaiserslautern
AS Annette Sell, Bochum
AT Axel Tschentscher, Würzburg
ATA Angela T. Augustin †
AW Astrid Wagner, Berlin
BA Bernd Amos, Erlangen
BBR Birger Brinkmeier, Münster
BCP Bernadette Collenberg-Plotnikov, Hagen
BD Bernhard Debatin, Berlin
BES Bettina Schmitz, Würzburg
BG Bernward Gesang, Kusterdingen
BI Bernhard Irrgang, Dresden
BK Bernd Kleimann, Tübingen
BKO Boris Kositzke, Tübingen
BL Burkhard Liebsch, Bochum
BR Boris Rähme, Berlin
BS Berthold Suchan, Gießen
BZ Bernhard Zimmermann, Freiburg
CA Claudia Albert, Berlin
CH Cornelia Haas, Würzburg
CHA Christoph Asmuth, Berlin
CHR Christa Runtenberg, Münster
CI Christian Iber, Berlin
CJ Christoph Jäger, Leipzig
CK Christian Kanzian, Innsbruck
CL Cornelia Liesenfeld, Augsburg
CLK Clemens Kauffmann, Lappersdorf
CM Claudius Müller, Nehren
CO Clemens Ottmers, Tübingen
CP Cristina de la Puente, Stuttgart
CS Christian Schröer, Augsburg
CSE Clemens Sedmak, Innsbruck
CT Christian Tewes, Jena
CZ Christian Zeuch, Münster
DG Dorothea Günther, Würzburg
DGR Dorit Grugel, Münster
DH Detlef Horster, Hannover
DHB Daniela Hoff-Bergmann, Bremen
DIK Dietmar Köveker, Frankfurt a.M.
DK Dominic Kaegi, Luzern
DKÖ Dietmar Köhler, Witten
DL Dorothea Lüddeckens, Zürich
DP Dominik Perler, Berlin
DR Dane Ratliff, Würzburg und Austin/Texas
EE Eva Elm, Berlin
EJ Eva Jelden, Berlin
EF Elisabeth Fink, Berlin
EM Ekkehard Martens, Hamburg
ER Eberhard Rüddenklau, Staufenberg
EWG Eckard Wolz-Gottwald, Davensberg
EWL Elisabeth Weisser-Lohmann, Bochum
FBS Franz-Bernhard Stammkötter, Bochum
FG Frank Grunert, Basel
FPB Franz-Peter Burkard, Würzburg
FW Fabian Wittreck, Münster
GK Georg Kneer, Leipzig
GKB Gudrun Kühne-Bertram, Ochtrup
GL Georg Lohmann, Magdeburg
GM Georg Mildenberger, Tübingen
GME Günther Mensching, Hannover
GMO Georg Mohr, Bremen
GN Guido Naschert, Tübingen
GOS Gottfried Schwitzgebel, Mainz
GS Georg Scherer, Oberhausen
GSO Gianfranco Soldati, Tübingen
HB Harald Berger, Graz
HD Horst Dreier, Würzburg
HDH Han-Ding Hong, Düsseldorf
HG Helmut Glück, Bamberg
HGR Horst Gronke, Berlin
HL Hilge Landweer, Berlin
HND Herta Nagl-Docekal, Wien
HPS Helke Pankin-Schappert, Mainz
HS Herbert Schnädelbach, Berlin
IR Ines Riemer, Hamburg
JA Johann S. Ach, Münster
JC Jürgen Court, Köln
JH Jörg Hardy, Münster
JHI Jens Hinkmann, Bad Tölz
JK Jörg Klawitter, Würzburg
JM Jörg F. Maas, Hannover
JOP Jeff Owen Prudhomme, Macon/Georgia
JP Jörg Pannier, Münster
JPB Jens Peter Brune
JQ Josef Quitterer, Innsbruck
JR Josef Rauscher, Mainz
JRO Johannes Rohbeck, Dresden
JS Joachim Söder, Bonn
JSC Jörg Schmidt, München
JV Jürgen Villers, Aachen
KDZ Klaus-Dieter Zacher, Berlin
KE Klaus Eck, Würzburg
KG Kerstin Gevatter, Bochum
KH Kai-Uwe Hellmann, Berlin
KHG Karl-Heinz Gerschmann, Münster
KHL Karl-Heinz Lembeck, Würzburg
KJG Klaus-Jürgen Grün, Frankfurt a.M.
KK Klaus Kahnert, Bochum
KRL Karl-Reinhard Lohmann, Witten
KS Kathrin Schulz, Würzburg
KSH Klaus Sachs-Hombach, Magdeburg
LG Lutz Geldsetzer, Düsseldorf
LR Leonhard Richter, Würzburg
MA Mauro Antonelli, Graz
MB Martin Beisler, Gerbrunn
MBI Marcus Birke, Münster
MBO Marco Bonato, Tübingen
MD Max Deeg, Cardiff
MDB Matthias Bloch, Bochum
ME Michael Esfeld, Münster
MFM Martin F. Meyer, Koblenz/Landau
MK Matthias Kunz, München
MKL Martin Kleinsorge, Aachen
MKO Mathias Koßler, Mainz
ML Mark Lekarew, Berlin
MLE Michael Leibold, Würzburg
MM Matthias Maring, Karlsruhe
MN Marcel Niquet, Frankfurt a.M.
MQ Michael Quante, Köln
MR Mathias Richter, Berlin
MRM Marie-Luise Raters-Mohr, Potsdam
MS Manfred Stöckler, Bremen
MSI Mark Siebel, Hamburg
MSP Michael Spang, Ellwangen
MSU Martin Suhr, Hamburg
MW Markus Willaschek, Münster
MWÖ Matthias Wörther, München
NM Norbert Meuter, Berlin
OB Oliver Baum, Bochum
OFS Orrin F. Summerell, Bochum
PE Peter Eisenhardt, Frankfurt a.M.
PCL Peter Ch. Lang, Frankfurt a.M.
PK Peter Kunzmann, Jena
PN Peter Nitschke, Vechta
PP Peter Prechtl †
RD Ruth Dommaschk, Würzburg
RDÜ Renate Dürr, Karlsruhe
RE Rolf Elberfeld, Hildesheim
REW Ruth Ewertowski, Stuttgart
RH Reiner Hedrich, Gießen
RHI Reinhard Hiltscher, Stegaurach
RK Reinhard Kottmann, Münster
RL Rudolf Lüthe, Koblenz
RLA Rolf-Jürgen Lachmann, Berlin
RM Reinhard Mehring, Berlin
RP Roland Popp, Bremen
RS Regina Srowig, Würzburg
RTH Robert Theis, Strassen
RW Raymund Weyers, Köln
SD Steffen Dietzsch, Berlin
SIK Simone Koch, Bochum
SP Stephan Pohl, Dresden
SZ Snjezana Zoric, Würzburg
TB Thomas Bausch, Berlin
TBL Thomas Blume, Dresden
TF Thomas Friedrich, Mannheim
TG Thomas Grundmann, Köln
TH Thomas Hammer, Frankfurt a.M.
TK Thomas Kisser, München
TM Thomas Mormann, Unterhaching
TN Thomas Noetzel, Marburg
TP Tony Pacyna, Jena
TW Thomas Welt, Bochum
UB Ulrich Baltzer, München
UT Udo Tietz, Berlin
UM Ulrich Metschl, München/Leonberg
VG Volker Gerhardt, Berlin
VM Verena Mayer, München
VP Veit Pittioni, Innsbruck
VR Virginie Riant, Vechta
WAM Walter Mesch, Heidelberg
WB Wilhelm Baumgartner, Würzburg
WH Wolfram Hinzen, Bern
WJ Werner Jung, Duisburg
WK Wulf Kellerwessel, Aachen
WL Winfried Löffler, Innsbruck
WM Wolfgang Meckel, Butzbach
WN Wolfgang Neuser, Kaiserslautern
WP Wolfgang Pleger, Cochem/Dohr
WS Werner Schüßler, Trier
WST Wolfgang Struck, Erfurt
WSU Wolfgang Schulz, Tübingen
WvH Wolfram von Heynitz, Weiburg

Herausgegeben von Peter Prechtl (†) und Franz-Peter Burkard.

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