Metzler Lexikon Philosophie: Rechtsethik
fragt danach, welches Recht gerechtfertigt ist. Sie nimmt damit eine Zwitterstellung zwischen der Philosophie und der Rechtswissenschaft ein. Zum einen ist sie als Bereich der angewandten Ethik Teil der Ethik und damit der Philosophie. Zum anderen kann sie als der normative Kern der Rechtsphilosophie angesehen werden, die als ein Grundlagenfach der Rechtswissenschaft daneben noch die Rechtstheorie und die deskriptiv-historische Rechtsphilosophie umfasst. Erkenntnisziel der R. ist dabei nicht die Beschreibung des Rechts oder eine kausale Erklärung seiner Entstehung, sondern die normative Rechtfertigung oder Kritik bestehenden oder künftigen Rechts. Thematisiert wird damit das umstrittene Verhältnis zwischen Recht und Moral. Die Extrempole dieser Debatte sind auf der einen Seite universalistisch orientierte Theorien, die die Übereinstimmung von Recht und Moral postulieren (Habermas, Rawls), während auf der anderen Seite der Rechtspositivismus (Kelsen, Hart, Luhmann) einen notwendigen Zusammenhang von moralischen und rechtlichen Normen bestreitet. In diesem Spannungsfeld ist ein breites Bündel von materialen Theorien der R. angesiedelt. Naturrechtlich inspirierte Theorien suchen das Recht in überzeitlichen Gegebenheiten wie z.B. göttlichen Geboten, dem Sein oder der Vernunft zu fundieren. Vertrags- und Konsenstheorien stellen auf das aufgeklärte Eigeninteresse der Individuen ab und diskutieren die rationalen Bedingungen der gerechtfertigten Konsensbildung in einer Gesellschaft. Wertorientierte Theorien postulieren höchste Werte wie z.B. Gerechtigkeit oder Rechtssicherheit, an denen sich das Recht zu orientieren habe. Der Utilitarismus beurteilt das Recht anhand des Kriteriums des höchstmöglichen Glücks der größtmöglichen Anzahl von Menschen. Vom Recht unterscheidet sich die R. somit dadurch, als sie zumeist die rechtspositivistische Position bestreitet, die die Verbindlichkeit verbürgende Instanz in der Sanktionsgewalt des Staates sucht. Stattdessen fragt die R. nach einem gerechtfertigten Verständnis einer solchen Verbindlichkeit. Von anderen Bereichen angewandter Ethik unterscheidet sich die R. in zwei Aspekten: Zum einen treffen hier ethische und moralische Normen nicht auf einen stärker naturgesetzlich strukturierten Wirklichkeitsausschnitt, sondern auf das Recht als einer Normenordnung, die die Wirklichkeit in ähnlicher Weise gestaltet wie Moral und Ethik. Zum anderen ist die Grundfrage der R., diejenige nach der Rechtfertigung des Rechts, anders als manche Fragen in anderen Bereichen der angewandten Ethik – etwa der Umweltethik oder der Genethik – nicht neu, sondern beschäftigt die Menschen schon, seit es Recht und Philosophie gibt.
Literatur:
- J. Habermas: Faktizität und Geltung. Frankfurt 1992
- H. L. A. Hart: Der Begriff des Rechts. Frankfurt 1973
- H. Kelsen: Reine Rechtslehre. Wien 1960
- D. v.d. Pfordten: Rechtsethik. München 2001
- J. Rawls: Eine Theorie der Gerechtigkeit. Frankfurt 1979.
JHI
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