Metzler Lexikon Philosophie: Rechtsphilosophie
Im Unterschied zur systemimmanent argumentierenden Rechtswissenschaft transzendiert die R. den Rahmen des geltenden Rechts. Als Wissenschaft von der Grundlegung und den Grundlagen des Rechts ist es Aufgabe der R., die in der rechtswissenschaftlichen Arbeit immer stillschweigend und unreflektiert getroffenen Voraussetzungen zu explizieren und zu begründen. Die relativ kurze Begriffsgeschichte der R. beginnt Ende des 18. Jh. In der Ersetzung der Lehre vom sog. Naturrecht durch die R. drückt sich das gewachsene Interesse an dem historisch entstandenen positiven Recht aus. Die darüber hinausgehenden Bestrebungen, entsprechend der wissenschaftstheoretischen Wende in der Philosophie, die R. traditioneller Art durch eine sich primär als Methodologie der Rechtswissenschaft verstehende Rechtstheorie zu ersetzen, konnten sich bislang nicht durchsetzen.
Mit Engisch lassen sich drei klassische Dimensionen der R. unterscheiden: Die methodisch-logische Dimension hat sich weitgehend in der »Juristischen Methodenlehre« disziplinär verselbständigt. Als methodisches Grundproblem verbleibt innerhalb der R. das Verhältnis von Sein und Sollen. Für die Vertreter des Methodenmonismus umschließt das Sein auch die Ebene der Werte und des Sollens. Dagegen verbietet sich den Vertretern des Methodendualismus mit ihrem Verständnis des Seins als bloßer Faktizität jeder Schluss vom Sein auf ein Sollen. – Das methodische Problem der R. ist eng mit der ontologischen Dimension verknüpft, der Frage nach dem Wesen des Rechts. Die verschiedenartigen Versuche, das Recht allgemein und überzeitlich zu definieren, lassen vier Elemente des Rechtsbegriffs hervortreten: Positivität, Normativität, Allgemeinheit und Sozialität. Die klassische Bestimmung des Rechtsbegriffs aus der Gegenüberstellung von Zwang und Freiheit weist zugleich auf den traditionellen Basiskonflikt der R. zwischen Naturrechtslehre und Rechtspositivismus. Wer im Zwang das Wesensmerkmal des Rechts sieht, ist nicht imstande, das Recht von bloßer Gewalt durch materiale Merkmale zu unterscheiden; Gesetz und Recht werden gleichgesetzt. Naturrechtslehren gehen demgegenüber von der Annahme absoluter und überzeitlicher Rechtsinhalte aus. Soweit ein Gesetz diesen materialen (Moral-)Normen widerspricht, ist es nicht nur »Gesetzliches Unrecht«, sondern entbehrt überhaupt des Rechtscharakters. – Ungeachtet der rechtspositivistischen Trennung von Recht und Moral bildet die axiologische Dimension, die Rechtsethik, das zentrale Thema der R. Die spezifischen Rechtswerte Rechtssicherheit und Gerechtigkeit sind formaler Natur: Rechtssicherheit bedeutet in erster Linie die Sicherheit des Rechts selbst, seine Erkennbarkeit, Praktikabilität und Durchsetzbarkeit, während sich die Idee der Gerechtigkeit adäquat durch die Begriffe »Gleichheit«, »Proportionalität« und »Äquivalenz« ausdrücken lässt. Diese formalen Prinzipien bedürfen der Konkretisierung, sie müssen durch materiale Wertgesichtspunkte erfüllt werden. Dabei ist für die R. neben dem Rekurs auf die Menschenrechte und auf die Rechtsanthropologie die Formulierung allgemeiner Rechtsprinzipien – wie das Fairnessprinzip (Rawls) oder das Toleranzprinzip (Kaufmann) – von besonderer Bedeutung.
Literatur:
- R. Dreier: Recht-Moral-Ideologie. Frankfurt 1981
- K. Engisch: Auf der Suche nach der Gerechtigkeit. München 1971
- H. L. A. Hart: Der Begriff des Rechts. Frankfurt 1973
- A. Kaufmann: Grundprobleme der Rechtsphilosophie. München 1994
- G. Radbruch: Rechtsphilosophie. Stuttgart 91983
- J. Rawls: Eine Theorie der Gerechtigkeit. Frankfurt 1975.
CM
Wenn Sie inhaltliche Anmerkungen zu diesem Artikel haben, können Sie die Redaktion per E-Mail informieren. Wir lesen Ihre Zuschrift, bitten jedoch um Verständnis, dass wir nicht jede beantworten können.