Metzler Lexikon Philosophie: Shén
(Geist). In der ältesten chinesischen Mythologie ist der Glaube an Geister, Gespenster und an die Präsenz der Seelen der Verstorbenen verbreitet. Er hat sich im Ahnenkult und einem verbreiteten Aberglauben niedergeschlagen. Konfuzianische »Aufklärung« beginnt damit, dass festgestellt wird: »Der Meister spricht nicht über Gespenster (Guai), Kräfte (Li), Teufel (Luan, eigentlich: Verwirrungsstifter, vgl. Diabolos) und Geister (Shen)« (Kong Zi: Lun Yu, Gespräche). He Yan (-249 n.Chr.) erklärt dazu: »Shen nennt man eine dämonische Sache (Gui Shen Zhi Shi)«, insbesondere die Seele des Menschen nach dem Tode. Auch der Geistes-bzw. Bewusstseinszustand des Lebenden kann Shen heißen. Xun Zi (313–238) bemerkt: »Wenn alle (körperlichen) Organe funktionieren entsteht Shen« (Xun Zi: Tian Lun, Theorie des Himmels). Über »Geistesabwesenheit« bzw. Bewusstlosigkeit kann dann gesagt werden: »Wenn Auge und Ohr nicht fehlen, wieso kann einer dann (manchmal) nicht antworten? Weil sein Shen abwesend ist« (Huai Nan Zi, Yuan Dao Xun, Huai Nan-Klassiker-Werk, Gespräche über das ursprüngliche Dao). Naturphilosophisch wird Shen im Zusammenhang mit Yin und Yang diskutiert. Im Buch der Wandlung heißt es dazu: »Was im Yin und Yang(verhältnis) nicht auslotbar ist, das heißt Shen« (Yi Jing, Ji Ci). Hier herrscht insbesondere die Vorstellung, dass daraus zuerst ein Urstoff (Jing Qi, vgl. Qi), oft auch mit »geistige Materie« im Sinne des stoischen Pneuma übersetzt, entstehe, das in seinen Verwandlungen die Dinge erzeuge. Zheng Xuan (127–200) interpretiert diesen Urstoff selbst als Shen: »Was man Jing Qi nennt, ist Shen. Was man wandelbare Seele nennt, ist Gui (etwa: Dämonisches).« Gui Shen wird von Späteren dann materialistisch als Hin und Her bzw. Auf und Nieder der Luftbewegung gedeutet. z.B. sagt Zhang Zai (1020–1077): »Gui Shen ist eigentlich ein Vermögen der zwei Lüfte (gemeint ist hier Yin und Yang).« Und weiter: »Das Höchste heißt Shen, weil es nach oben aufsteigt. Das Unterste heißt Gui, weil es nach unten absteigt« (Zhang Zai: Zheng Meng, Klarstellung von Dunkelheiten, Über Urharmonie, und Über bewegte Dinge). Ebenso behauptet Zhu Xi (1030–1200): »Gui Shen ist nur Luft. Es ist Luft in ihrem Hin und Her, Auf und Nieder« (Zhu Xi: Yu Lei, Gespräche, Bd. 3). In Anwendung auf das Leib-Seele-Problem (vgl. Ren (Mensch)) führten derartige Spekulationen auch schon früh zu Theorien über die Vernichtung des Geistes beim Tode des menschlichen Körpers, wie etwa in Fan Zhens (ca. 450-ca.510) Abhandlung über die Vernichtung des Geistes (Shen Mie Lun). Sie richten sich gegen die buddhistische Theorie von der »Erhaltung des Geistes«, die wegen der Karma-Kausalität (Seelenwanderung) in aufeinander folgenden Lebensschicksalen postuliert wurde. Daraus entstand ein langer »Streit über die Vernichtung oder Nicht-Vernichtung des Geistes« (Shen Mie Shen Bu Mie Zhi Zheng) zwischen materialistischen und buddhistischen Denkern.
Literatur:
- L. Geldsetzer/H.-d. Hong: Chinesisch-deutsches Lexikon der chinesischen Philosophie. Aalen 1986. Art. Dämon und Gott (Guĭ Shén), Gottheit (Shén)
- Guan-zhi Ding: Art. Shenmie shenbumie zhi zheng. In: Große Chinesische Enzyklopädie. Philosophie II. Beijing 1987. S. 774–775.
LG/HDH
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