Metzler Lexikon Philosophie: Theorie/raxis
Das Begriffspaar Th./P. wird sowohl unter dem Gesichtspunkt des Verhältnisses zwischen theoretischer, wissenschaftlicher Reflexion, das auf methodischer Abstraktion beruht, und jeweils konkretem Handeln, als auch im Hinblick auf die Erklärung des Handelns, d.h. in Form einer Th. der P. thematisiert. Das Verhältnis von Th. und P. wird bereits in der Antike erörtert; allerdings stehen Th. und P. dabei noch nicht in einem so starken Spannungsverhältnis, wie es für die Moderne charakteristisch ist. Für Platon kommt es darauf an, die theoretische Erkenntnis mit dem politischen Handeln zu verknüpfen, das stets von Einsicht geleitet sein muss (Politeia, 7. Buch). Auf Aristoteles geht die Unterscheidung zwischen theoretischer und praktischer Philosophie zurück. In der praktischen Philosophie geht es um das moralisch richtige Handeln. Als P. versteht Aristoteles das richtige Handeln, das um seiner selbst willen geschieht und in letzter Instanz auf die Glückseligkeit zielt. Davon unterscheidet er die Poiesis; das Hervorbringen, das nicht um seiner selbst willen, sondern um eines bestimmten Zweckes willen erfolgt. Th. und P. entsprechen ihm zufolge zwei geistige Dispositionen, nämlich das theoretische Wissen resp. die praktische Klugheit. Die Analyse des Handelns und zugleich die Orientierung des Handelns am richtigen Ziel bilden für Aristoteles den Gegenstand einer Th. der P., deren Konzeption für die Geschichte der praktischen Philosophie richtungsweisend bleiben sollte. – Einen speziellen Begriff von P. prägt dann Kant. Er unterscheidet strikt zwischen »praktisch« im Sinne von moralisch-praktischen Regeln und »technisch« im Sinne einer jeweils konkreten Anwendung von Regeln, die sich auf den Gebrauch von »Wissenschaft zu Geschäften« beziehen. Als P. begreift er in einem engeren Sinne das moralische Handeln, das dem freien Willen als einer »Kausalität aus Freiheit« entspringt: »Praktisch ist alles, was durch Freiheit möglich ist« (KrV B 828). Ein wesentlichen Anstoß zur Diskussion des Verhältnisses von Th. und P. gibt Hegel, der die philosophische Reflexion von der unmittelbaren Bezogenheit auf P. unterschieden wissen will: Wie sich die zeitliche, empirische Gegenwart aus ihrem Zwiespalt herausfinde, wie sie sich gestalte, ist ihr zu überlassen und ist nicht die unmittelbare praktische Sache der Philosophie. Marx vertritt einen emphatischen Begriff von P. und wirft der traditionellen Philosophie vor, die praktischen, d.h. ökonomischen materiellen Bedingungen der Bewusstseins- und ebenso der wissenschaftlichen Theoriebildung kaum berücksichtigt zu haben. In den Thesen über Feuerbach sieht er den Hauptmangel alles bisherigen Materialismus’ darin, dass der Gegenstand, die Wirklichkeit, nur unter der Form des Objekts oder der Anschauung gefasst wird; nicht aber als menschliche sinnliche Tätigkeit, P. Die »tätige Seite« sei nun zwar im Idealismus thematisiert worden, aber nur auf abstrakte Weise, nämlich ohne sie als praktischmenschliche Tätigkeit und das heißt als gesellschaftliche P. aufgefasst zu haben: »Die Frage, ob dem menschlichen Denken gegenständliche Wahrheit zukomme, ist keine Frage der Theorie, sondern eine praktische Frage« (M/E-Stud.ausg. I, 142). Im Anschluss an die Kritische Theorie und an Max Weber unternimmt Habermas eine moderne Vermittlung von Th. und P. in seiner Theorie des kommunikativen Handelns.
Literatur:
- Th. W. Adorno: Marginalien zu Theorie und Praxis. In: Ders.: Stichworte. Kritische Modelle 2. Frankfurt 1969
- Aristoteles: Eth. Nik
- G. Bien: Das Theorie-Praxis-Problem und die politische Philosophie bei Platon und Aristoteles. In: Philos. Jb. 76 (1968/69)
- J. Habermas: Theorie und Praxis. Frankfurt 1971
- Ders.: Theorie des kommunikativen Handelns. Frankfurt 1981
- O. Höffe: Ethik und Politik: Grundmodelle und Probleme der praktischen Philosophie. Frankfurt 1981
- K. Marx/F. Engels: Studienausgabe in 4 Bänden. Hg von I. Fetscher. Frankfurt 1966
- O. Schwemmer: Philosophie der Praxis. Versuch zur Grundlegung einer Lehre vom moralischen Argumentieren in Verbindung mit einer Interpretation der praktischen Philosophie Kants. Frankfurt 1971.
JH
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