Metzler Lexikon Philosophie: Triebtheorie
Die im Hinblick auf ihre Systematik und ihren Einfluss wichtigste Theorie der menschlichen Triebe stammt von Freud. Die Analyse des Sexualtriebes hat Freud zu der Unterscheidung von Quelle, Ziel und Objekt eines Triebs geführt. Sie stellen die drei konstitutiven Momente dar, die später (1915) um das des Dranges ergänzt werden. – (1) Die Triebquelle bezeichnet das somatische Moment am Trieb. Freud geht davon aus, dass jedem Trieb eine für ihn spezifische (Erregungs-)Quelle (z.B. ein Organ oder eine erogene Zone) zugeordnet werden kann. – (2) Das Ziel eines Triebs besteht in einer Aktivität, die zur Lösung des an der Triebquelle herrschenden Spannungszustandes (= Befriedigung) führt. Die Bestimmung eines Triebs z.B. als Sexual- oder als Selbsterhaltungstrieb (Hunger) ist durch seine Quelle und das ihr korrespondierende Ziel vollständig definiert: »Was die Triebe voneinander unterscheidet und mit spezifischen Eigenschaften ausstattet, ist deren Beziehung zu ihren somatischen Quellen und ihren Zielen« (Ges. Werke V, S. 67). – (3) Das Objekt kann als das Mittel verstanden werden, durch das das jeweilige Triebziel erreicht werden soll. Es kann sich hierbei um reale oder phantasierte Objekte handeln. Im Gegensatz zu Quelle und Ziel ist das Objekt kein biologisch determiniertes Merkmal des Triebs. »Es ist das Variabelste am Trieb, nicht ursprünglich mit ihm verknüpft, sondern ihm nur infolge seiner Eignung zur Ermöglichung der Befriedigung zugeordnet« (Ges. Werke X, S. 215). – (4) Den Drang, mit dem ein Trieb erlebt wird, versteht Freud ökonomisch als »eine Arbeitsanforderung, die dem Seelischen infolge seines Zusammenhanges mit dem Körperlichen auferlegt ist« (Ges. Werke X, S. 214).
Der Trieb ist bei Freud ein Grenzbegriff zwischen dem Somatischen und dem Psychischen. Da seine seelische Repräsentanz auf der Vorstellungs- und Affektebene weitgehend von lebensgeschichtlichen Faktoren abhängig ist, kann gesagt werden, dass der Ursprung eines Triebs somatischer, sein »Schicksal« hingegen psychischer Natur ist. Das menschliche Triebleben ist nach Freud durch polare Kräfte gekennzeichnet, die sich seiner ersten T. zufolge in dem Antagonismus von Sexual- und Selbsterhaltungs-, bzw. Ich-Trieb manifestieren. Die durch das Lustprinzip regierten Ansprüche der Sexualtriebe stehen im Widerstreit zu den vom Realitätsprinzip bestimmten Zielen des Ich (Selbsterhaltung durch Nahrungsbeschaffung etc). Der drängenden Energie der Sexualtriebe wirkt die verdrängende Potenz der Selbsterhaltungstriebe entgegen, was zum psychischen Konflikt führen kann. Der erste Dualismus wird nach einer monistischen Übergangsphase in der späteren T. abgelöst vom Antagonismus zwischen Lebens- und Todestrieb (ab 1920). Bei diesen handelt es sich weniger um Triebe im oben definierten Sinn als vielmehr um zwei polare Grundprinzipien, die, je nach Mischungsverhältnis, für den Aufbau oder den Verfall lebendiger Strukturen entscheidend sind. Freud sieht den ursprünglich postulierten Antagonismus zwischen Sexual- und Selbsterhaltungstrieb in den Lebenstrieben aufgehoben, insofern diese nach der Bewahrung alter und der Schaffung neuer, komplexerer Bindungen streben (Eros). Ihnen entgegen wirken die Todestriebe (Thanatos), deren Ziel die Auflösung lebendiger Einheiten und die Rückkehr zum anorganischen Ursprung ist. Die ursprünglich nach innen gerichtete Kraft des Todestriebs (Selbstdestruktion) kann sekundär in Form von Aggression nach außen gerichtet werden.
Literatur:
- S. Freud: Drei Abhandlungen zur Sexualtheorie (Ges. Werke V); Triebe und Triebschicksale (Ges. Werke X); Jenseits des Lustprinzips (Ges. Werke XII)
- J. Laplanche/J.-B. Pontalis: Das Vokabular der Psychoanalyse. Frankfurt 1972.
SP
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