Metzler Lexikon Philosophie: Übersetzungsunbestimmtheit
(engl. indeterminacy of translation). Zentrale These von Quines Philosophie, die zum einen eine Kritik an Carnaps Versuch einer empirischen Bestimmung von Bedeutung, Synonymie und Analyzitität (Analyzititätspostulat) darstellt, zum anderen die Begründung der Stimulusbedeutung als objektiven empirischen Bedeutungsbegriff beinhaltet. Quine bedient sich bei seiner Argumentation eines Modells, bei dem ein Ethnologe die Sprache eines (Urwald-)Eingeborenen untersucht (Dieses Modell wäre für ihn vergleichbar der Situation, wie ein Kind seine Muttersprache lernt, indem es nämlich die Bedeutung von »stehenden Sätzen« (Satz) nur dadurch lernt, dass es lernt, Sätze in Wörter zu zerlegen und mit den alten Wörtern neue Sätze zu bilden). Quine lässt den Forscher die »Gelegenheitssätze« von den »stehenden Sätzen« unterscheiden: Für die »Gelegenheitssätze« erhält er nur dann die Zustimmung des eingeborenen Sprechers, wenn er die Frage zeitlich direkt nach der verursachenden Stimulierung stellt, während die »stehenden Sätze« unabhängig von einer gleichzeitigen Stimulierung die Zustimmung (oder Ablehnung) des Eingeborenen erhalten können. Wenn der Urwald-Linguist von der Übersetzung von »Gelegenheitssätzen« zur Übersetzung von »stehenden Sätzen« fortschreiten will, beginnt er zunächst damit, Sätze zu segmentieren: Er zerlegt die gehörten Äußerungen in ausreichend kurze, wiederkehrende Teile und erstellt so eine Liste der »Wörter« der Eingeborenen. Dann stellt er Hypothesen hinsichtlich der Korrelation von diesen Wörtern mit Wörtern oder Ausdrücken der eigenen Sprache auf. Diese Hypothesen bezeichnet Quine als die »analytischen Hypothesen« des Linguisten, die dieser benötigt, wenn er herausfinden will, ob der Eingeborene unter dem Wort »Gavagai« z.B. ein Kaninchen versteht oder nur einen Teil des Kaninchens oder einen Kaninchenzustand oder so etwas wie Kaninchentum (das Wesen des Kaninchens) benennt, d.h. wenn er herausfinden will, welche Äußerungen der Eingeborenensprache als Termini aufzufassen sind. Zudem muss der Linguist noch Ausdrücke der Eingeborenen erlernt haben, die den deutschen Ausdrücken »ist dasselbe wie« und »ist verschieden von« entsprechen. Der Linguist befindet sich nun in der Situation, dass er auf der Grundlage rivalisierender analytischer Hypothesen und der Beobachtung des entsprechenden Verhaltens denselben Satz des Eingeborenen mit verschiedenen deutschen Sätzen in Korrelation bringen kann. Diese Situation kennzeichnet für Quine den Fall einer indeterminierten Übersetzung bzw. Ü. Quine glaubt mit diesem Fallbeispiel gegen Carnap gezeigt zu haben, dass der Gebrauch eines Wortes als Gelegenheitssatz die Extension dieses Wortes als Terminus nicht festlegt. Die verschiedenen Übersetzungsvarianten von »Gavagai« lassen erkennen, dass die Unbestimmtheit nicht nur die Bedeutung, sondern auch den Gegenstandsbezug, die Referenz, betrifft. Carnap würde also unzulässigerweise bei seinem empirischen Verfahren die Bestimmtheit von Termen und Prädikaten voraussetzen. Einer verhaltensbeobachtenden (d.i. behavioralen) Vorgehensweise stehen als Erstes nur »Gelegenheitssätze«, nicht aber Terme zur Verfügung. Die These der Ü. bildet die Grundlage für die These der Unerforschlichkeit der Referenz und für die These der Relativität der Ontologie. Referenz, Ontologisches Kriterium, Wahrheit.
Literatur:
- P. Gochet: Quine zur Diskussion. Frankfurt/Berlin/Wien 1984. S. 79 ff
- D. Koppelberg: Die Aufhebung der analytischen Philosophie. Frankfurt 1987. S. 237 ff
- W.V.O. Quine: Wort und Gegenstand. Stuttgart 1980. S. 129 ff.
PP
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