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Metzler Lexikon Philosophie: Universalpragmatik

In der von Habermas entwickelten Theorie der U. wird das Regelsystem benannt und beschrieben, das einer jeden Sprechhandlung notwendig zugrundeliegt. Zur Feststellung der allgemeinen Bedingungen für eine jede Sprechhandlung bedient sich Habermas der rekonstruktiven Methode, die von zwei Annahmen ausgeht: (1) Die Sprechhandlungen bzw. Äußerungen stellen die grundlegenden Bestandteile einer verständigungsorientierten Kommunikation dar (Sprechakttheorie). (2) Das handelnde Subjekt stützt sich in den kommunikativen Akten auf implizite Fähigkeiten und Kenntnisse, ohne explizit angeben zu können, welchen Regeln es folgt oder welche Operationen es beim Sprechen vollzieht. Das methodische Verfahren der rekonstruktiven Analyse hat zum Ziel, die allgemeinen Voraussetzungen (d.i. die fundamentalen Regeln) von konsensuellem Handeln auszuweisen, die als Hintergrundkonsens immer schon unterstellt bzw. anerkannt sein müssen, wenn solche Sprechhandlungen gelingen sollen. Das Verfahren hat seine Vorbilder in Chomsky’s linguistischer Analyse der Sprachkompetenz und in Piaget’s Rekonstruktion der Entwicklungsstufen kognitiver Schemata. Der empirische Charakter dieses Verfahrens zeigt sich durch seinen Bezug auf das intuitive (d.i. noch vortheoretische) Wissen des kompetenten (erwachsenen) Sprechers. Trotz des empirischen Bezugs entspricht dieses Verfahren nicht einer Beschreibung beobachtbarer Daten, sondern stellt eine methodische Befragung der Sprecher mittels systematisch angeordneter Beispiele dar, mit deren Hilfe das intuitive Verständnis von Korrektheit der Sprechhandlungen in ein explizites Wissen von Regeln übersetzt wird. Diese Regeln stellen die universalen Bedingungen für jede Sprechhandlung und deren Beherrschung die Grundlage der kommunikativen Kompetenz dar.

Die U. geht von folgender Doppelstruktur der Kommunikation aus: Jede Verständigung zwischen einem Sprecher und einem Hörer impliziert eine Ebene der interpersonalen Beziehung und eine Ebene der Erfahrung, über die kommuniziert wird. Diese Doppelstruktur entnimmt Habermas den Analysen zur Sprechakttheorie von Austin und Searle und deren Unterscheidung zwischen illokutionärer Rolle und propositionalem Gehalt. D.h. jeder Sprecher äußert einen Aussageinhalt (d.i. den propositionalen Gehalt) mit einer bestimmten Absicht (bspw. zu behaupten, zu fragen, zu versprechen), die durch die illokutionäre Rolle zum Ausdruck kommt. Durch diese Rolle zeigt der Sprecher an, dass er zum einen eine personale Beziehung zu einem anderen aufnehmen möchte und zum anderen, dass er diese Beziehungsaufnahme mit einem thematisch hervorgehobenen Geltungsanspruch verbindet, durch den er dem anderen gegenüber eine bestimmte Art der Verbindlichkeit eingeht. Habermas benennt dazu grundlegende Formen solcher Sprechakte, die zugehörigen Geltungsansprüche und Möglichkeiten ihrer Einlösung: (1) Die konstativen Sprechakte, mit denen wir eine Aussage über die Realität machen, sind mit dem Geltungsanspruch verbunden, wahr zu sein. Die mit diesem Wahrheitsanspruch eingegangene Begründungsverpflichtung wird dadurch eingelöst, dass der Sprecher bei Rückfragen auf die entsprechenden Erfahrungsquellen verweist. Diese Sprechakte werden durch die Ausdrücke »behaupten«, »berichten«, »erklären«, »voraussagen«, »bestreiten« usw. angezeigt. (2) Die regulativen Sprechakte, mit denen wir auf normative Gehalte Bezug nehmen oder ein Sollen zum Ausdruck bringen, sind mit dem Geltungsanspruch verbunden, richtig zu sein. Die mit diesem Richtigkeitsanspruch eingegangene Verpflichtung wird durch Verweis auf den gemeinsamen normativen Kontext eingelöst. Sie werden repräsentiert in Ausdrücken wie »befehlen«, »warnen«, »entschuldigen«. (3) Mit den repräsentativen Sprechakten drückt der Sprecher eine bestimmte intentionale Einstellung bezüglich der Beziehungsaufnahme aus, die als Anspruch auf Wahrhaftigkeit zu verstehen ist und durch die er eine Bewährungsverpflichtung übernimmt. Seinem Anspruch genügt er damit, dass er sich entsprechend seiner Äußerung verhält, bspw. eine Versprechen tatsächlich auch einlöst oder eine Behauptung auch begründet. Die genannten Geltungsansprüche sind konstitutiv für jede Sprechhandlung, so dass jede Person im Vollzug eines solchen Sprechakts sie als allgemeine Voraussetzung für das Gelingen der Kommunikation akzeptiert haben muss: Er muss einen verständlichen Ausdruck zu wählen, er muss die Absicht haben, einen wahren propositionalen Gehalt mitzuteilen, damit der Hörer das Wissen teilen kann, er muss seine Intentionen wahrhaftig äußern wollen, damit der Hörer ihm vertrauen kann, er muss eine im Hinblick auf soziale Erwartungshaltungen und Werte oder auf bestehende Normen richtige Äußerung wählen, damit der Hörer die Äußerung akzeptieren kann bzw. damit beide auf der Basis eines gemeinsamen normativen Hintergrunds miteinander übereinstimmen können. Sprecher und Hörer können sich auf dieser Grundlage gegenseitig zur Anerkennung von den kognitiv überprüfbaren Geltunsansprüchen bewegen. Die illokutionäre Kraft des Sprechakts erzeugt zwischen den Beteiligten eine interpersonale Beziehung, da der Sprecher mit dem Sprechakt bereit ist, eine bestimmte Bindung und Verbindlichkeit einzugehen und in der Konsequenz seiner Äußerung die sprechhandlungstypisch geforderten Kontextbedingungen zu erfüllen. Soweit der Sprechakt eine Handlung ist, aktualisiert er ein bereits etabliertes Beziehungsmuster, das den soziokulturell eingewöhnten Lebensformen zugrundeliegt.

Literatur:

  • J. Habermas: Was heißt Universalpragmatik. In: Vorstudien und Ergänzungen zur Theorie des kommunikativen Handelns. Frankfurt 1984. S. 353 ff
  • Th. McCarthy: Kritik der Verständigungsverhältnisse. Frankfurt 1980.
  • Die Autoren
AA Andreas Arndt, Berlin
AB Andreas Bartels, Paderborn
AC Andreas Cremonini, Basel
AD Andreas Disselnkötter, Dortmund
AE Achim Engstler, Münster
AG Alexander Grau, Berlin
AK André Kieserling, Bielefeld
AM Arne Malmsheimer, Bochum
AN Armin Nassehi, München
AR Alexander Riebel, Würzburg
ARE Anne Reichold, Kaiserslautern
AS Annette Sell, Bochum
AT Axel Tschentscher, Würzburg
ATA Angela T. Augustin †
AW Astrid Wagner, Berlin
BA Bernd Amos, Erlangen
BBR Birger Brinkmeier, Münster
BCP Bernadette Collenberg-Plotnikov, Hagen
BD Bernhard Debatin, Berlin
BES Bettina Schmitz, Würzburg
BG Bernward Gesang, Kusterdingen
BI Bernhard Irrgang, Dresden
BK Bernd Kleimann, Tübingen
BKO Boris Kositzke, Tübingen
BL Burkhard Liebsch, Bochum
BR Boris Rähme, Berlin
BS Berthold Suchan, Gießen
BZ Bernhard Zimmermann, Freiburg
CA Claudia Albert, Berlin
CH Cornelia Haas, Würzburg
CHA Christoph Asmuth, Berlin
CHR Christa Runtenberg, Münster
CI Christian Iber, Berlin
CJ Christoph Jäger, Leipzig
CK Christian Kanzian, Innsbruck
CL Cornelia Liesenfeld, Augsburg
CLK Clemens Kauffmann, Lappersdorf
CM Claudius Müller, Nehren
CO Clemens Ottmers, Tübingen
CP Cristina de la Puente, Stuttgart
CS Christian Schröer, Augsburg
CSE Clemens Sedmak, Innsbruck
CT Christian Tewes, Jena
CZ Christian Zeuch, Münster
DG Dorothea Günther, Würzburg
DGR Dorit Grugel, Münster
DH Detlef Horster, Hannover
DHB Daniela Hoff-Bergmann, Bremen
DIK Dietmar Köveker, Frankfurt a.M.
DK Dominic Kaegi, Luzern
DKÖ Dietmar Köhler, Witten
DL Dorothea Lüddeckens, Zürich
DP Dominik Perler, Berlin
DR Dane Ratliff, Würzburg und Austin/Texas
EE Eva Elm, Berlin
EJ Eva Jelden, Berlin
EF Elisabeth Fink, Berlin
EM Ekkehard Martens, Hamburg
ER Eberhard Rüddenklau, Staufenberg
EWG Eckard Wolz-Gottwald, Davensberg
EWL Elisabeth Weisser-Lohmann, Bochum
FBS Franz-Bernhard Stammkötter, Bochum
FG Frank Grunert, Basel
FPB Franz-Peter Burkard, Würzburg
FW Fabian Wittreck, Münster
GK Georg Kneer, Leipzig
GKB Gudrun Kühne-Bertram, Ochtrup
GL Georg Lohmann, Magdeburg
GM Georg Mildenberger, Tübingen
GME Günther Mensching, Hannover
GMO Georg Mohr, Bremen
GN Guido Naschert, Tübingen
GOS Gottfried Schwitzgebel, Mainz
GS Georg Scherer, Oberhausen
GSO Gianfranco Soldati, Tübingen
HB Harald Berger, Graz
HD Horst Dreier, Würzburg
HDH Han-Ding Hong, Düsseldorf
HG Helmut Glück, Bamberg
HGR Horst Gronke, Berlin
HL Hilge Landweer, Berlin
HND Herta Nagl-Docekal, Wien
HPS Helke Pankin-Schappert, Mainz
HS Herbert Schnädelbach, Berlin
IR Ines Riemer, Hamburg
JA Johann S. Ach, Münster
JC Jürgen Court, Köln
JH Jörg Hardy, Münster
JHI Jens Hinkmann, Bad Tölz
JK Jörg Klawitter, Würzburg
JM Jörg F. Maas, Hannover
JOP Jeff Owen Prudhomme, Macon/Georgia
JP Jörg Pannier, Münster
JPB Jens Peter Brune
JQ Josef Quitterer, Innsbruck
JR Josef Rauscher, Mainz
JRO Johannes Rohbeck, Dresden
JS Joachim Söder, Bonn
JSC Jörg Schmidt, München
JV Jürgen Villers, Aachen
KDZ Klaus-Dieter Zacher, Berlin
KE Klaus Eck, Würzburg
KG Kerstin Gevatter, Bochum
KH Kai-Uwe Hellmann, Berlin
KHG Karl-Heinz Gerschmann, Münster
KHL Karl-Heinz Lembeck, Würzburg
KJG Klaus-Jürgen Grün, Frankfurt a.M.
KK Klaus Kahnert, Bochum
KRL Karl-Reinhard Lohmann, Witten
KS Kathrin Schulz, Würzburg
KSH Klaus Sachs-Hombach, Magdeburg
LG Lutz Geldsetzer, Düsseldorf
LR Leonhard Richter, Würzburg
MA Mauro Antonelli, Graz
MB Martin Beisler, Gerbrunn
MBI Marcus Birke, Münster
MBO Marco Bonato, Tübingen
MD Max Deeg, Cardiff
MDB Matthias Bloch, Bochum
ME Michael Esfeld, Münster
MFM Martin F. Meyer, Koblenz/Landau
MK Matthias Kunz, München
MKL Martin Kleinsorge, Aachen
MKO Mathias Koßler, Mainz
ML Mark Lekarew, Berlin
MLE Michael Leibold, Würzburg
MM Matthias Maring, Karlsruhe
MN Marcel Niquet, Frankfurt a.M.
MQ Michael Quante, Köln
MR Mathias Richter, Berlin
MRM Marie-Luise Raters-Mohr, Potsdam
MS Manfred Stöckler, Bremen
MSI Mark Siebel, Hamburg
MSP Michael Spang, Ellwangen
MSU Martin Suhr, Hamburg
MW Markus Willaschek, Münster
MWÖ Matthias Wörther, München
NM Norbert Meuter, Berlin
OB Oliver Baum, Bochum
OFS Orrin F. Summerell, Bochum
PE Peter Eisenhardt, Frankfurt a.M.
PCL Peter Ch. Lang, Frankfurt a.M.
PK Peter Kunzmann, Jena
PN Peter Nitschke, Vechta
PP Peter Prechtl †
RD Ruth Dommaschk, Würzburg
RDÜ Renate Dürr, Karlsruhe
RE Rolf Elberfeld, Hildesheim
REW Ruth Ewertowski, Stuttgart
RH Reiner Hedrich, Gießen
RHI Reinhard Hiltscher, Stegaurach
RK Reinhard Kottmann, Münster
RL Rudolf Lüthe, Koblenz
RLA Rolf-Jürgen Lachmann, Berlin
RM Reinhard Mehring, Berlin
RP Roland Popp, Bremen
RS Regina Srowig, Würzburg
RTH Robert Theis, Strassen
RW Raymund Weyers, Köln
SD Steffen Dietzsch, Berlin
SIK Simone Koch, Bochum
SP Stephan Pohl, Dresden
SZ Snjezana Zoric, Würzburg
TB Thomas Bausch, Berlin
TBL Thomas Blume, Dresden
TF Thomas Friedrich, Mannheim
TG Thomas Grundmann, Köln
TH Thomas Hammer, Frankfurt a.M.
TK Thomas Kisser, München
TM Thomas Mormann, Unterhaching
TN Thomas Noetzel, Marburg
TP Tony Pacyna, Jena
TW Thomas Welt, Bochum
UB Ulrich Baltzer, München
UT Udo Tietz, Berlin
UM Ulrich Metschl, München/Leonberg
VG Volker Gerhardt, Berlin
VM Verena Mayer, München
VP Veit Pittioni, Innsbruck
VR Virginie Riant, Vechta
WAM Walter Mesch, Heidelberg
WB Wilhelm Baumgartner, Würzburg
WH Wolfram Hinzen, Bern
WJ Werner Jung, Duisburg
WK Wulf Kellerwessel, Aachen
WL Winfried Löffler, Innsbruck
WM Wolfgang Meckel, Butzbach
WN Wolfgang Neuser, Kaiserslautern
WP Wolfgang Pleger, Cochem/Dohr
WS Werner Schüßler, Trier
WST Wolfgang Struck, Erfurt
WSU Wolfgang Schulz, Tübingen
WvH Wolfram von Heynitz, Weiburg

Herausgegeben von Peter Prechtl (†) und Franz-Peter Burkard.

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