Metzler Lexikon Philosophie: Zeichen
In der formalen Logik wird unterschieden zwischen Grundzeichen, die in einem System S nicht definiert sind, und abgeleiteten Z., die in dem System S mittels anderer Zeichen des Systems S definiert sind. In den sprachphilosophischen Positionen wird der Begriff des Z.s unterschiedlich bestimmt. Traditionell wird von einer zweistelligen Relation zwischen dem Wort als dem Bezeichnendem und einem Gegenstand als dem Bezeichneten ausgegangen. Eine solche Deutung der Funktion des sprachlichen Zeichens gilt überwiegend für jene Positionen, die sich an Locke anlehnen, u. a. auch für Vertreter der sprachanalytischen Philosophie wie Russell. Locke führt den Ursprung der Begriffe und Bedeutungen auf Ideen zurück, die entweder aus sinnlichen Eindrücken von Gegenständen außerhalb unseres Bewusstseins oder aus der inneren Tätigkeit des Bewusstseins entspringen. Im Wort kommt immer nur die subjektive Art, in der der menschliche Geist bei der Zusammenfassung der einfachen Ideen verfährt, zum Ausdruck. Nach Lockes Auffassung sind Wörter Z. für Vorstellungen im Bewusstsein, die Vorstellungen wiederum Z. für Gegenstände außerhalb unseres Bewusstseins, die mit diesen Wörtern bezeichnet werden. – Dieses einfache Beziehungsmodell hat in mehrfacher Hinsicht eine Modifikation erfahren. Die strukturalistische Sprachtheorie von Saussure behält zwar in Gestalt des Begriffspaares »Signifikant-Signifikat« die Zweistelligkeit bei, verändert aber das Zuordnungsmodell von Wort und Gegenstand, indem es die spezifische Struktur des Z.s anders darstellt: Die Sprache bildet ein System von Z., in dem einzig die Verbindung von Sinn und Lautzeichen wesentlich ist und in dem beide Seiten des Z.s gleichermaßen psychisch sind. Diesem (semiologischen) Ansatz zufolge entspringt jenes Verständnis, das von Wörtern ausgeht, die dann erst auf eine Gegenständlichkeit appliziert werden, um diese als Dinge zu benennen, einer falschen Methode. Sprache wird dadurch auf eine Nomenklatur zur Etikettierung für bereits sprachunabhängig existierende Vorstellungen reduziert. Saussure stellt dieser Konzeption die These gegenüber: Es gibt keine von vornherein feststehenden Vorstellungen, Denken ist nur möglich, sofern es in eine sprachliche Form gefasst ist. Der materiale Laut kann erst als Bedeutungsträger zu einem sprachlichen Laut werden, das Denken kann erst in der Fassung eines sprachlichen Lautes zu einer Vorstellung werden. Einem Z. ist die Doppelstruktur Lautbild-Bedeutungsgehalt eigen und aufgrund dieser Struktureigenheit wird von Saussure geltend gemacht, Sprache als Form und nicht als Substanz (i.S. von feststehenden Lautgebilden und feststehenden Bedeutungen) zu betrachten. Sprache ist vielmehr als ein System von Gegensätzen aufzufassen, als ein Gewebe von Werten, die sich aus abgrenzenden Bezügen zu anderen Werten erst konstituieren. Ein Z. besteht nur, indem es in einer spezifischen Bedeutung in Abgrenzung zu anderen interpretiert und indem sein Lautbild von anderen Lautbildern unterschieden wird, d.h. sowohl nach seiner materialen (d.i. lautlichen) wie nach seiner bedeutungshaften Seite durch Abgrenzungen zu anderen Wörtern, d.h. durch seine Stellung zu Gegensatzpaaren, seine Bestimmtheit erfährt.
Die Sprachtheorie Bühlers hebt die Begrenzung der Sprache auf ihre benennende Funktion auf und erweitert diese Darstellungsfunktion um die Ausdrucksund die Appellfunktion. Der Sprecher bringt eine Überzeugung zum Ausdruck, indem er eine Aussage über einen Gegenstand oder Sachverhalt macht (darstellende Funktion) und sich an einen Adressaten richtet (appellative Funktion; Organonmodell). – Mit Bezug auf Saussure und Bühler erörtert Jakobson sechs Funktionen des sprachlichen Z.s: die referentielle, die emotive, die konative, die phatische, die metasprachliche und die poetische Funktion. – Einer grundlegenden Veränderung wird das Modell Bezeichnendes-Bezeichnetes in der Semiotik von Peirce und Morris unterzogen. Sie postulieren eine Dreistelligkeit eines jeden Z.s, da neben dem Zeichenträger (d.i. der materialen Zeichengestalt) und dem Designat (d.i. dem Objektbezug) als drittes Moment des Z.s der Interpretant in Rechnung zu stellen ist. Durch dieses dritte Moment wird die Besonderheit des Bedeutungsgehalts des Z.s charakterisiert: Das Z. repräsentiert nicht einfachhin ein Objekt, sondern ruft beim Zeichenbenutzer eine bestimmte Handlungsdisposition oder einen Denkprozess hervor. Damit ein Z. als Z. fungieren kann, muss es eine Reaktion hervorbringen können, was nur möglich ist, wenn es von einem dritten Element (Interpretant) vermittelt wird. Es ist dasjenige Element, welches das Z. zu einem Phänomen der Konvention, der Auslegung, der Gesellschaftlichkeit macht. Peirce und Morris differenzieren zudem zwischen dem ikonischen, dem indexikalischen und dem symbolischen Z., bzw. da jedem Z. diese drei Momente in unterschiedlicher Stärke eigen sind, zwischen diesen drei Merkmalen: Für das ikonische Z. ist es charakteristisch, dass es eine unmittelbar wahrnehmbare strukturelle Ähnlichkeit zur bezeichneten Sache aufweist, d.h. eine abbildhafte Wiedergabe der bezeichneten Sache (bspw. bei manchen Verkehrszeichen) ist. Das indexikalischen Z. weist einen unmittelbaren konkreten (d.i. zeitlichen und räumlichen) Zusammenhang mit dem Bezeichneten auf (bspw. ist der Rauch ein Index für Feuer). Das Symbol entspricht dem begrifflichen Z. und steht (zumindest für Peirce) als allgemeines Z. für eine Klasse von Gegenständen (Semiotik).
Literatur:
- M. Bense: Allgemeine Theorie der Zeichen. 1967
- K. Bühler: Sprachtheorie. Die Darstellungsfunktion der Sprache. Frankfurt/Berlin/Wien 1978
- U. Eco: Einführung in die Semiotik. München 61988
- Ders.: Zeichen. Eine Einführung in den Begriff und seine Geschichte. Frankfurt 1977
- R. Jakobson: Poetik. Ausgewählte Aufsätze 1921–71. Frankfurt 21989
- Ch. W. Morris: Grundlagen der Zeichentheorie. Frankfurt 1988
- Ders.: Pragmatische Semiotik und Handlungstheorie. Frankfurt 1977
- K. Oehler: Charles Sanders Peirce. München 1993
- Ch. S. Peirce: Über Zeichen. In: E. Walther (Hg.): Die Festigung der Überzeugung. Frankfurt/Berlin/Wien 1985. S. 143 ff
- P. Prechtl: Saussure. Hamburg 1994
- F. de Sausure: Grundfragen der allgemeinen Zeichentheorie. Berlin 21967.
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