Metzler Lexikon Philosophie: Zukunftsverantwortung
Ausgehend von einem allgemeinen Begriff der Verantwortung pointiert der Begriff der Z. – in Abgrenzung zu einer auf gegenwärtige und vergangene Handlungsfolgen bezogenen Orientierung – die prospektive Orientierung verantwortlichen Handelns. Hierbei richtet sich Z. im Gegensatz zu kurzfristiger Erfolgsverantwortung (M. Weber) auf die zeitlich fernen Folgen und Wirkungen bzw. Nebenwirkungen menschlichen Handelns, wie sie insbesondere mit der Entwicklung und dem Einsatz von Hochtechnologien in der modernen Gefahrenzivilisation verbunden sein können. Vor allem H. Jonas hat herausgestellt, dass die moderne Ethik angesichts der Grenzen der Belastbarkeit der Biosphäre (Ökologie, Umweltethik) die neue Dimension der Z. erhält. Ihre Herausforderung besteht wesentlich darin, menschlichem Handeln unter den Bedingungen kollektiv-vernetzter Handlungsabläufe und unter Berücksichtigung prinzipiell unzureichenden Wissens (Unsicherheit) über die potentiellen Folgen großtechnologischer Eingriffe in die Natur eine moralisch-rationale Orientierung zu geben. Das von H. Jonas postulierte »Prinzip Verantwortung« erklärt die Erhaltung der »Permanenz echten menschlichen Lebens auf Erden« zur obersten Pflicht. Da das Totalrisiko einer Vernichtung der menschlichen und außermenschlichen Natur nicht eingegangen werden dürfe, müsse bei großtechnologischen Eingriffen in die Natur der Unheilsprognose vor der Heilsprognose Vorrang eingeräumt werden: In dubio contra projectum. Jonas konzipiert die zugrundeliegende Verantwortungsrelation asymmetrisch (die Schutzbedürftigkeit der Natur und die Handlungsmacht des Menschen bedingen dessen Verantwortung gegenüber der Natur) und stützt seine Konzeption der Z. auf (metaphysische) Annahmen über die Werthaftigkeit der Natur. Der Utilitarismus hingegen macht mittels eines Nutzenkalküls den Grundsatz der intergenerationellen Gerechtigkeit geltend. Als Prinzip der Z. postuliert er die Maximierung des zu erwartenden Nettonutzens der Naturressourcen für die kontinuierliche Interessenbefriedigung der gegenwärtigen und zukünftigen Generationen. Die Diskursethik bzw. Transzendentalpragmatik rekonstruiert die Pflicht zur Z. aus der strikten Reflexion auf die unhintergehbaren Voraussetzungen der Argumentationssituation. Aus den normativen Argumentationsbedingungen leitet sie die kategorische Pflicht aller argumentationsfähigen Wesen ab, Mit-Verantwortung zu übernehmen für die Bewahrung der Existenzbedingungen der gegenwärtigen und zukünftigen Kommunikationsgemeinschaft sowie zur Verbesserung ihrer Lebens- und Kommunikationsbedingungen auf lange Sicht. Intergenerationelle Gerechtigkeit.
Literatur:
- K.-O. Apel: Diskurs und Verantwortung. Frankfurt 1988
- D. Birnbacher: Verantwortung für zukünftige Generationen. Stuttgart 1988
- D. Böhler (Hg.): Ethik für die Zukunft. Im Diskurs mit Hans Jonas. München 1994
- D. Böhler u. a. (Hg.): Zukunftsverantwortung in der Marktwirtschaft. Berlin 1999
- R. A. Duff: Responsibility. In: A. Craig (Hg.): Routledge Encyclopedia of Philosophy. Vol. 8. London/New York 1998. S. 290–294
- H. Jonas: Das Prinzip Verantwortung. Frankfurt 1979
- M.J. Zimmermann: Responsibility. In: L. C. Becker/C. B. Becker (Hg.): Encyclopedia of Ethics. New York/London 1992. S. 1089–1095.
JPB/HGR
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