Lexikon der Physik: Astronomie
Astronomie [astron: griech. "Stern"; nomos: griech. "Gesetz"], Sternkunde, Himmelskunde, die Wissenschaft von der Materie im Weltall, ihrer Verteilung, ihrer Bewegung und ihres physikalischen Zustandes sowie ihrer Zusammensetzung und Entwicklung. Die Astronomie beschäftigt sich mit den Körpern des Sonnensystems (Sonne, Planeten, Satelliten, Planetoiden, Kometen, Meteoriten), mit den Sternen (Fixsternen), den Sternhaufen und den Sternsystemen, zu denen auch das Milchstraßensystem gehört, sowie mit der diffus verteilten Materie im Sonnensystem, im Raum zwischen den Sternen und zwischen den Sternsystemen. Weiterhin befaßt sich die Astronomie mit der im Raum vorhandenen Strahlung und den großräumigen physikalischen Feldern, z.B. den Magnetfeldern und dem Gravitationsfeld. Einen Überblick über wichtige Meilensteine in der Geschichte der Astronomie gibt die Tabelle.
Astronomie: Einige Meilensteine der Astronomie.
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16. Jhdt. | N. Kopernikus | Heliozentrisches System | Sonne rückt in den Mittelpunkt des Weltbildes | |
1605 | J. Kepler | Ellipsenbahnen | Formulierung der Keplerschen Gesetze | |
1608 | H. Lippershey | Fernrohr | Revolutionierung der Beobachtungsmöglichkeiten und Entdeckung vieler kosmischer Objekte und Enträtselung deren Natur. | |
1666 | I. Newton | Gravitationsgesetz | theoretische Grundlage des heliozentrischen Systems | |
1718 | E. Halley | Entdeckung der Eigenbewegung der Sterne | Abkehr von der reinen Positionsastronomie hin zu einer astronomischen Dynamik | |
1781 | W. Herschel | Entdeckung des Uranus | zeigt die Qualität der Bahnberechnungen | |
1801 | G. Piazzi | Entdeckung von Ceres | erstes Objekt des Planetoidengürtels | |
1814 | J. v. Fraunhofer | Spektrallinien im Spektrum der Sonne | Vorarbeiten zur Spektralanalyse | |
1838 | F.W. Bessel | Parallaxe von 61 Cygni | Sterne sind Sonnen wie unsere eigene in weiter Entfernung | |
1859 | G.R. Kirchhoff R. Bunsen | Deutung der Fraunhofer-Linien | Begründung der Spektralanalyse; Beginn der modernen Astrophysik | |
1864 | W. Huggins | Emissionslinien in Nebeln | manche Nebel sind echte Gasnebel, andere bestehen aus Sternen | |
1912 | H.S. Leavitt | Perioden-Leuchtkraft-Beziehung | Ausdehnung der kosmischen Entfernungsskala | |
1913 | E. Hertzsprung H.N. Russell | Hertzsprung-Russell-Diagramm | Sternfarben als Entwicklungssequenz gedeutet | |
1924 | E. Hubble | Sterne im Andromedanebel aufgelöst | Beweis, daß Spiralnebel aus Sternen bestehen; Erweiterung der kosmischen Entfernungsskala | |
1927-1931 | A.G.E. Lemaître | "Uratom" | Formulierung des Urknallmodells | |
1929 | E. Hubble | Rotverschiebung der Spektrallinien von Galaxien | Nachweis der Expansion des Weltalls; unterstützt Urknallmodell | |
1931 | K. Jansky G. Reber | Meterwellenstrahlung der Milchstraße | Beginn der Radioastronomie | |
1938 | H.A. Bethe C.F. v. Weizsäcker | Bethe-Weizsäcker-Zyklus | Energieerzeugung in Sternen | |
1960 | A.R. Sandage | Entdeckung der Quasare | kosmologische Fragestellungen der optischen Astronomie | |
1965 | A.A. Penzias R.W. Wilson | kosmische Hintergrundstrahlung (3-K-Strahlung) | unterstützt Urknallmodell | |
1968 | S. J. Bell A. Hewitt | Pulsare | entartete Materie wird sichtbar | |
1979 | D. Walsh R. Carswell R.J. Weymann | Erster Binärquasar entdeckt | Test der allgemeinen Relativitätstheorie; Deutung von Mehrfachquasaren als Gravitationslinsen | |
1994(?) | A. Wolszczian | Pulsarplaneten | erstes extrasolares Planetensystem | |
1995 | D. Queloz M. Mayor | 51 Pegasi | erster optisch entdeckter Kandidat eines extrasolaren Planetensystems |
Die Astronomie gliedert sich in verschiedene Teilgebiete, die sich in ihren Zielsetzungen, in ihren Untersuchungsmethoden und z.T. auch in den untersuchten Objekten unterscheiden. Die Aufgliederung in Teilgebiete, bei denen es viele Überschneidungen gibt, wird teilweise nach ganz unterschiedlichen Gesichtspunkten vorgenommen. Die Astrometrie, auch als sphärische Astronomie oder Positionsastronomie bezeichnet, hat vor allem die Aufgabe, die Örter und die Bewegungen der Gestirne an der Himmelskugel festzustellen sowie die dafür benötigten Koordinatensysteme und deren Änderungen zu bestimmen; sie schafft die Grundlagen für die genaue geographische Ortsbestimmung und führt die astronomische Zeitbestimmung durch. Bei allen diesen Aufgaben sieht man die Himmelskörper idealisiert als leuchtende Punkte an der Himmelskugel an und bestimmt lediglich durch Winkelmessungen die Richtungen, aus denen das Licht kommt. Die Himmelsmechanik beschäftigt sich mit den Bewegungen, die die Himmelskörper unter dem Einfluß der Massenanziehung im Raum ausführen. Das betrifft vor allem die Bewegung der Planeten und der anderen Körper des Sonnensystems um die Sonne, aber auch die Bewegung der zwei Komponenten in einem Doppelstern, der entsprechenden Komponenten in einem Mehrfachstern sowie der Sterne in einem Sternhaufen oder in einem Sternsystem. Auf der Grundlage der astrometrisch beobachteten Örter kann für die Körper im Sonnensystem eine genaue Bahnbestimmung durchgeführt werden, was die Voraussetzung für eine Ephemeridenrechnung ist, mit der die Örter berechnet werden, an denen die Himmelskörper zu einem bestimmten Zeitpunkt an der Himmelskugel stehen. Astrometrie und Himmelsmechanik, die bis in die zweite Hälfte des vorigen Jahrhunderts praktisch die ganze Astronomie ausmachten, werden unter dem Begriff klassische Astronomie zusammengefaßt. Gegenwärtig nimmt die Astrophysik den breitesten Raum in der astronomischen Forschung ein. Die Astrophysik untersucht die von den außerirdischen Objekten kommende Strahlung auf Helligkeit, spektrale Zusammensetzung und Polarisationsgrad; sie will Auskunft erhalten über den physikalischen Zustand und die chemische Zusammensetzung der Himmelskörper, über deren Größe, Oberflächenbeschaffenheit, inneren Aufbau, die Ursache ihres Leuchtens und dergleichen. Die Astrophysik gliedert sich je nach den angewendeten Forschungsmethoden in viele Untergebiete. Die jüngsten Zweige der Astrophysik sind die Radioastronomie, die die aus dem Weltall kommende Radiofrequenzstrahlung untersucht, die Röntgenastronomie und die Gammaastronomie, die mit Hilfe von außerhalb der Erdatmosphäre stationierten Beobachtungsinstrumenten die ankommende Röntgen- bzw. Gammastrahlung messen, sowie die Infrarotastronomie und die Neutrinoastronomie, die die von den Gestirnen ausgesandte Strahlung im infraroten Spektralbereich bzw. die kosmische Neutrinostrahlung erforschen. Die Stellarstatistik untersucht die räumliche Verteilung und die Bewegung der Sterne im Milchstraßensystem. Unter dem Begriff der Stellarastronomie faßt man alle die Zweige der Astronomie zusammen, die sich stellarstatistisch oder astrophysikalisch mit den Sternen – im Gegensatz zu den Körpern des Planetensystems oder der interstellaren Materie – beschäftigen. Die Sonnenphysik wiederum hat die Sonne, den uns am nächsten stehenden und daher am besten untersuchten Stern, mit allen ihren Erscheinungen als Forschungsgegenstand. Mit der Entstehung und der Entwicklung der verschiedenen Objekte im Weltall befaßt sich die Kosmogonie, während die Kosmologie die Struktur des Weltalls als Ganzes sowie die zeitliche Änderung dieser Struktur untersucht. Die praktische Astronomie schließlich befaßt sich mit den Instrumenten und den Beobachtungsmethoden, die für die Durchführung der Beobachtungen und ihrer Auswertung benötigt werden.
Zur Lösung der verschiedenen Aufgaben sind sowohl Beobachtungen als auch theoretische Untersuchungen notwendig. Die Beobachtungsmöglichkeiten der Astronomie sind im Vergleich mit denen der Physik oder anderer Naturwissenschaften sehr beschränkt, da man an die zu untersuchenden Objekte nicht herankommt und demzufolge auch keine Experimente durchführen kann. Eine gewisse Änderung brachte erst die Raumfahrt, mit deren Hilfe z.B. die direkte Erforschung des Mondes und der näheren Planeten mit geowissenschaftlichen Methoden sowie die direkte Untersuchung der interplanetaren Materie möglich wurde. Von allen anderen Objekten kann allein die eintreffende Strahlung beobachtet werden, die entweder von ihnen direkt ausgesandt oder an ihnen reflektiert oder durch sie anderweitig beeinflußt wird. Erschwert werden die Beobachtungen noch dadurch, daß die Strahlung im allgemeinen sehr schwach ist und auf dem langen Weg von der Strahlungsquelle zum Beobachtungsinstrument vielfach zusätzlich geschwächt und spektral verändert wird. Hierfür ist die interstellare Materie, aber auch die Erdatmosphäre (Atmosphäre) verantwortlich. Letztere läßt überhaupt nur Strahlung in schmalen Wellenlängenbereichen durch. Neben der elektromagnetischen Strahlung, die man je nach Wellenlänge als Gamma-, Röntgen-, Ultraviolett-, visuelle, Infrarot- oder Radiofrequenzstrahlung bezeichnet, untersucht die Astronomie auch Teilchenstrahlung, zu der die kosmische Strahlung, der Sonnenwind und die Neutrinostrahlung gehört.
Astronomische Beobachtungen werden im allgemeinen in Sternwarten und astronomischen Observatorien durchgeführt, die hierfür mit entsprechenden Beobachtungs- und Auswerteinstrumenten (astronomische Instrumente) ausgerüstet sind. Die Mittel der Raumfahrt (Raketen, Satelliten und Raumsonden) ermöglichen es, die für die astronomischen Beobachtungen hinderliche Erdatmosphäre zu überwinden und Meßinstrumente über die irdische Lufthülle hinauszubringen. In diesem Falle erfolgt die Sammlung der Beobachtungsdaten weitab von den eigentlichen astronomischen Instituten. Gleiches gilt für Beobachtungen von speziell eingerichteten Flugzeugen oder Forschungsballons (Ballonastronomie) aus. Für die Untersuchung der kosmischen Teilchenstrahlung benötigt man Beobachtungsapparaturen z.T. außerhalb der Erdatmosphäre, z.T. in Laboratorien tief unter der Erdoberfläche, die mit klassischen Sternwarten nicht mehr viel gemeinsam haben.
Bei der theoretischen Interpretation der Beobachtungsergebnisse und der Ableitung von Gesetzmäßigkeiten hinsichtlich der im Weltall ablaufenden Prozesse werden die bekannten Gesetze der Physik herangezogen, z.B. die der Mechanik, Thermodynamik, Atomphysik und Relativitätstheorie. Von Seiten der Theorie werden auch neue Beobachtungen angeregt, vor allem solche, mit denen entschieden werden kann, ob eine Theorie richtig ist, ob sie abgeändert oder ganz verworfen werden muß. Der Stand der astronomischen Erkenntnisse hängt sowohl vom Stand der technischen Möglichkeiten als auch vom Kenntnisstand in anderen Naturwissenschaften, vor allem in der Physik ab. Große Fortschritte in der Astronomie sind immer dann zu verzeichnen, wenn in ihr neue Instrumente und Beobachtungsverfahren eingeführt oder wenn in der Physik neue Wissensgebiete entwickelt werden. Andererseits gehen von der Astronomie auch Impulse aus, die sowohl die Beobachtungstechnik im weitesten Sinn als auch die Physik tiefgreifend befruchten. [HZ]
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