Lexikon der Physik: Geodynamik
Geodynamik
Rolf vom Stein, Köln
Erdbeben, Vulkane, heiße Quellen und auch die Polarlichter in hohen Breiten sind Phänomene, die ihren Ursprung in den dynamischen Vorgängen des Erdinneren haben. Die seismische Aktivität der Erde ist an vielen Stellen, wie z.B. an den San-Andreas-Verwerfungen in Kalifornien durch die Versetzung von Straßen, dramatisch sichtbar. Auch spektakuläre Vulkanausbrüche, wie beispielsweise der des Ätna auf Sizilien oder von Vulkanen auf Hawaii, zeigen uns, daß das Innenleben der Erde nicht so ruhig abläuft, wie es meistens den Anschein hat. Nicht zuletzt hat das Magnetfeld der Erde seinen Ursprung in den Konvektionsbewegungen im äußeren Erdkern.
Die Geodynamik, d.h. die Dynamik des Erdkörpers und des Erdinneren, ist eine der jüngsten Disziplinen der Geophysik. Die Ergebnisse aufwendiger numerischer Simulationen und die Erkenntnisse aus Messungen der jüngeren Raumsonden wie z.B. Magellan und Galileo an den Planeten Venus und Jupiter bzw. dessen Monden konnten das Verständnis für die komplexe Dynamik der Erde erweitern. Auch neueste Forschungen im Bereich der seismischen Tomographie und Laboruntersuchungen an Proben, die den Bedingungen des Erdinneren bezüglich der chemischen Zusammensetzung, Druck und Temperatur angenähert sind, dienen wesentlich zur Erforschung des physikalischen Verhaltens der nur auf den ersten Blick so starren Erde.
Als Wegbereiter in diesem Zweig der Geophysik gilt A. Wegener. 1912 stellte er auf einer Geologentagung in Frankfurt/Main seine Kontinentalverschiebungstheorie vor. Dort wurde sie, wie auch später, von der überwiegenden Mehrheit der Geowissenschaftler abgelehnt, die von einem starren Bild der Erde und ihrer Oberfläche nicht abrücken wollten. Gängig war zu dieser Zeit die Meinung, daß sich die Erde nach einem kurzen heißen Frühstadium schnell abgekühlt und sich dabei die Kontinente in der jetzigen Form gebildet haben. Durch diesen Abkühlungsprozeß sollte der Erdkörper geschrumpft sein und somit Kompressionskräfte freigesetzt haben, die wiederum für die Gebirgsbildung an den Schwächezonen verantwortlich waren. Als diese Zonen wurden Kontinentalränder oder mit Sedimenten gefüllte Ozeanbecken betrachtet.
Angeregt durch die geometrische Paßform der Kontinente beim Betrachten der Weltkarte formulierte Wegener eine Theorie, wonach die Kontinente, aufgeteilt in viele Schollen, sich gleichsam schwimmend auf dem Erdmantel bewegen sollten, und sammelte als Geowissenschaftler im Laufe seines Lebens Indizien für die Richtigkeit seiner Theorie. So konnten durch paläomagnetische Messungen der Gesteine aus verschiedenen Gebieten die Positionen der einzelnen Segmente der Erdoberfläche zu unterschiedlichen geologischen Epochen bestimmt werden. Neben diesen Messungen verhalfen geologische Äquivalenzen der unterschiedlichen Kontinente und nicht zuletzt auch biologische Gemeinsamkeiten der Fauna und Flora der Kontinentalverschiebungstheorie 50 Jahre später zur allgemeinen Akzeptanz. Mittlerweile ist man durch geodätische Messungen – insbesondere durch die Satellitengeodäsie – in der Lage, die Bewegungen der einzelnen Erdplatten gegeneinander genau zu registrieren.
Die moderne Form der Plattentektonik geht davon aus, daß die Erdkruste in verschieden große Platten unterteilt ist, die ständig relativ zueinander in Bewegung sind. Hierbei werden drei Typen der Bewegung unterschieden: die Subduktion, d.h. das Abtauchen einer Platte unter einer anderen; die Bildung von sogenannten Spreizungszonen, also Bereichen, in denen sich neue ozeanische Kruste formt; und die Transformstörungen, an denen zwei Platten aneinander vorbeigleiten. In Abb. 1 ist die heutige Lage der einzelnen Krustenplatten und deren Bewegungen dargestellt.
Was treibt nun die Kontinente? Auch die frühen Befürworter der Kontinentalverschiebungstheorie hatten am Anfang Schwierigkeiten, die Kräfte zu benennen, die diese Bewegung verursachen. Erste Erklärungsversuche mit Hilfe der Rotation der Erde und der daraus resultierenden Abplattung konnten schnell als unzureichend widerlegt werden. Erst in der Mitte der sechziger Jahre ist die Konvektion im Erdmantel als treibende Energiequelle akzeptiert worden. Um zu erklären, wie es zum Auftreten der Konvektion kommt, betrachten wir hier kurz die Theorien, die die Entstehung der Erde als planetaren Körper beschreiben. Hierzu gibt es zwei konkurrierende Ansätze:
• die Erdentstehung durch einen Gravitationskollaps, der durch lokale Verdichtung von Staub- und Gasmassen angeregt wurde, ähnlich den Vorgängen, die für die Entstehung von Sternen verantwortlich gemacht werden.
• Entstehung durch die Anlagerung von Kleinstkörpern, sogenannten Planetesimals, die in einem früheren Stadium aus der Wolke auskondensierten und später miteinander kollidierten.
Beide Theorien bedingen, daß die Erde in einem frühen Stadium sehr heiß gewesen ist, das zweite Modell erfordert zusätzlich, daß ihr Material im Inneren weitgehend geschmolzen war.
Die Abkühlung der Erde erfolgte anschließend durch Konvektion der Schmelze und durch konvektiven Wärmetransport durch das nicht geschmolzene Gestein. Erstarrt eine Schmelze infolge der Abgabe von Wärme, so stellen sich chemische Trennprozesse ein, die sogenannte Differentiation. Diese Differentiation wird für die unterschiedliche chemische Zusammensetzung der kontinentalen und ozeanischen Kruste verantwortlich gemacht. Man nimmt heute an, daß sogenannte Magmaozeane (magma oceans), in denen sich solche Differentiationsprozesse abspielten, die Reservoire für die Bildung der Kontinente im Frühstadium der Erdenstehung waren.
Dieser Abkühlungsprozeß dauert heute noch an. Da der Erdmantel nicht (mehr) aufgeschmolzen ist, wird die Wärme durch Konvektion innerhalb des ›festen‹ Gesteins transportiert. Diese Konvektion läuft sehr langsam ab, und die Umlaufzeit einer virtuellen Probe um eine Konvektionszelle beträgt mehrere hundert Millionen Jahre.
Das Innere der Erde selbst ist, von wenigen Tiefbohrungen in der Kruste abgesehen, unzugänglich für direkte Messungen, und die Geowissenschaft ist von der indirekten Bestimmung der physikalischen Parameter wie Druck, Temperatur, Kompressionsmodul usw. durch Analyse der Erdbebenwellen und von Modellannahmen abhängig. Um ein detailliertes Bild von der Dynamik des Erdinneren zu erhalten, wird auf die Methodik der Computersimulationen zurückgegriffen. Waren die ersten Modelle noch recht einfach und betrachteten nur die grundlegenden hydrodynamischen Gesetze, die zudem auf zwei Raumdimensionen beschränkt waren, so sind die modernen Modelle demgegenüber wesentlich verfeinert. Wichtige physikalische Eigenschaften wie Kompressibilität des Mediums, interne Wärmequellen im Erdmantel durch radioaktiven Zerfall, Phasenumwandlungen der Mineralien und die damit verbundene Freisetzung von latenter Wärme sowie thermochemische Effekte werden ebenso berücksichtigt wie die kugelförmige Gestalt des Erdmantels. Daher hat sich auch die Topologie des Konvektionsmusters mit dieser Entwicklung von der einfachen regelmäßigen und auch zeitlich stationären Walzenstruktur der ersten Rechnungen, wie sie im oberen Teil von Abb. 2 dargestellt sind, hin zu den unregelmäßigen, teilweise chaotisch anmutenden Strömungsmustern als Ergebnis der verfeinerten Rechnungen ( Abb. 2 unten) geändert. Diese Strukturen sind stark zeitabhängig, so daß man dieses Bild nur als Momentaufnahme der Zustände im Erdinnern interpretieren darf. Ergebnisse der seismischen Tomographie lassen darauf schließen, daß das Innere der Erde eher diesem ›chaotischen‹ Muster entspricht als den regelmäßigen Rollen in Abb. 2 (oben).
Aufgrund der Unsicherheiten über die Zahlenwerte der dominierenden physikalischen Parameter und wegen der nichtlinearen Natur dieser Dynamik des Erdmantels können diese Rechnungen nicht den genauen Zustand des Erdmantels bestimmen oder gar seine zukünftige Entwicklung vorhersagen, doch tragen sie wesentlich zum besseren Verständnis der Physik solcher Systeme wie des Erdmantels bei.
Noch unzugänglicher als der Erdmantel ist der Erdkern für Beobachtungen durch den Geowissenschaftler. Zwar gibt es auch hier erste Simulationsrechnungen, doch stehen diese noch am Beginn ihrer Entwicklung. Die Materialströme im flüssigen äußeren Kern beziehen ihre Energie ebenso wie die Kontinentaldrift aus dem Abkühlen des festen inneren Erdkerns und dem Absinken schwererer Bestandteile und der damit verbundenen Umsetzung von potentieller Energie in Wärme. Diese Wärme wird durch Konvektionsbewegung an die Kern-Mantel-Grenze transportiert und an den unteren Erdmantel abgegeben. Wegen des flüssigen Aggregatzustandes des Materials sind die Bewegungen wesentlich heftiger als im ›festen‹ Gestein, und die Erdrotation muß in physikalischen Modellvorstellung über die Vorgänge in diesem Bereich mit berücksichtigt werden. Die Kopplung zwischen der Konvektionsbewegung und der Erdrotation bewirkt ein walzenförmiges Konvektionsmuster ( Abb. 3 ). Aufgrund des hohen Eisenanteils des äußeren Erdkerns ist dieser elektrisch leitfähig, und mit den Konvektionströmen ist ein elektrischer Stromfluß verbunden, der wiederum das Erdmagnetfeld erzeugt. Der Mechanismus dieses Dynamos ist in seinen Einzelheiten noch nicht ganz erforscht (Geomagnetismus). Neben den Gesetzen der Thermodynamik müssen hier auch diejenigen der Elektrodynamik mit berücksichtigt werden.
Geodynamik 2:Oben: Regelmäßiges Konvektionsmuster aus einer zweidimensionalen Modellrechnung. Dargestellt ist das Temperaturfeld (rot: heißes, aufsteigendes Material; blau: kaltes, absinkendes Material). Unten: Konvektionsmuster aus zeitabhängigen Rechnungen. Deutlich zu erkennen ist das turbulente Verhalten des simulierten Erdmantels.
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