Lexikon der Physik: Tieftemperaturphysik
Tieftemperaturphysik
Rudi Michalak, Dresden
Einleitung und Definition
Definition
Die Temperatur, unterhalb der man von der Physik tiefer Temperaturen spricht, ist nicht klar definiert. Einerseits kann man die Verwendung kryogener Gase, die zur Erzeugung der tiefen Temperaturen verwendet werden, als Kriterium heranziehen; dann können die Siedepunkte des flüssigen Sauerstoffs (90,18 K) und Stickstoffs (77,35 K) oder von 4He (4,216 K) und 3He (1,67 K) benutzt werden (siehe Abb. 1 ). Andererseits kann man die charakteristischen Phänomene, die beim Abkühlen von Materialien immer dann auftreten, wenn die Energie der thermischen Zufallsbewegung der Wechselwirkungsenergie, die zu einer Ordnung (Entropie) führt, vergleichbar wird, als Definition heranziehen.
Zusammenfassung
Die Physik tiefer Temperaturen beschäftigt sich mit den physikalischen Eigenschaften von Materie bei tiefen Temperaturen, bei denen die thermischen Fluktuationen weitgehend reduziert sind, so daß Wechselwirkungen auf quantenmechanischem Niveau beobachtet werden können. Die bei der Abkühlung einsetzende räumliche Ordnung oder Bewegungsordnung (Freiheitsgrade) führt zum Auftreten von makroskopischen Quanteneffekten. Diese Phänomene umfassen Supraleitung und Suprafluidität, Quantenfestkörper und Quantenflüssigkeiten, niedrigdimensionale Systeme und andere Effekte, wie z.B. den Quanten-Hall-Effekt.
Die Physik tiefer Temperaturen bildet die Grundlage, auf der alle Bereiche der Kryotechnik gründen. Die Umwandlungen zwischen den Aggregatzuständen gasförmig-fest-flüssig finden oberhalb von 1 K statt (Kelvin-Skala). Im Millikelvin-Bereich tritt die magnetische Ordnung paramagnetischer Salze (CMN, adiabatische Entmagnetisierung) auf und im Mikrokelvin-Bereich die magnetische Ordnung der Kernmomente (Kern-Entmagnetisierung).
Geschichte der Physik tiefer Temperaturen
Nachdem 1877 die Verflüssigung von Sauerstoff und Stickstoff und 1899 die von Wasserstoff gelungen war, erschloß 1908 die Verflüssigung des Heliums den Temperaturbereich bis 4,2 K. Es dauerte danach bis in die Mitte der 20er Jahre, bis flüssiges Helium in mehreren Laboratorien zur Verfügung stand (Leiden, Berlin, Toronto). 1933 wurden mit Hilfe der adiabatischen Entmagnetisierung 0,1 K erreicht, die Methode konnte im Anschluß auf 4 mK ausgedehnt werden. Erst 1956 gelang es, die Kernmomente von Kupfer zu entmagnetisieren und Temperaturen im μK Bereich zu realisieren. Ab 1965 ließen sich Temperaturen unterhalb 1 K auch mit der 3He-4He-Entmischungskühlung und der Pomerantschuk-Kühlung erzeugen.
Mit dem Erreichen immer tieferer Temperaturen schritten die apparative Entwicklung und die Entdeckungen in der Physik rasch voran: 1882 wurde das Dewar-Gefäß entwickelt, 1908 die Suprafluidität, 1913 die Supraleitung entdeckt, 1957 wurden beide Phänomene mit der BCS-Theorie theoretisch erklärt. 1979 wurden die Schwerfermionsupraleiter entdeckt, 1980 der Quanten-Hall-Effekt und 1981 der fraktionierte Quanten-Hall-Effekt (Quanten-Hall-Effekt), schließlich 1986 die Hochtemperatur-Supraleiter.
Für die zahlreichen, epochemachenden Arbeiten auf dem Gebiet der Physik tiefer Temperaturen wurden wiederholt Nobelpreise für Physik verliehen, zuerst 1913 an H. Kamerlingh Onnes und zuletzt allein in den 90er Jahren dreimal (1996-1998).
Materialeigenschaften bei tiefen Temperaturen
Allgemeines Verhalten
Durch Abkühlung wird in einem Material nach den Erkenntnissen der Thermodynamik die Ordnung erhöht bzw. die Entropie erniedrigt (Thermodynamik und Statistische Mechanik).
Wenn ein Material unter Raumtemperatur gekühlt wird, finden viele Veränderungen in ihm statt. Es kommt bei kritischen Temperaturen zu Phasenübergängen zwischen den Aggregatzuständen und in Festkörpern darüber hinaus zu strukturellen Phasenübergängen und Ordnungserscheinungen, wie den diversen Phänomenen des Magnetismus (magnetische Ordnung).
Im p-T-Diagramm einer Substanz erkennt man, daß bei Abkühlung Gase, die bei Raumtemperatur existieren, verflüssigen (kryogene Gase), Flüssigkeiten gefrieren und fast alle Stoffe schließlich zu Festkörpern kristallisieren. Wenn die Kühlrate sehr hoch ist, kann sich anstatt eines regelmäßigen Kristallgitters auch ein amorphes Glas ausbilden. Eine Ausnahme von diesem Verhalten bildet nur Helium, das bei Normaldruck bis 0 K flüssig bleibt.
Es besteht der generelle Trend, daß Festkörper bei Abkühlung steifer und brüchiger werden. Reine Metalle gewinnen an Leitfähigkeit, und viele werden zu Supraleitern. Diese Zustandsänderungen können als Verlangsamung der atomaren und molekularen Bewegungen verstanden werden. Dabei beginnt die normalerweise schwache Van-der-Waals-Wechselwirkung zu dominieren.
Bei sehr tiefen Temperaturen (unterhalb 1 K) werden in den meisten Materialien die Vibrationen (Phononen) vernachlässigbar. Die Eigenschaften der Materie werden dann von den Spin-Spin-Wechselwirkungen bestimmt, und bei noch tieferen Temperaturen (mK-Bereich) wird das magnetische Kernmoment bedeutend. Bei sehr leichten Elementen treten in diesem Temperaturbereich makroskopische Quanteneffekte auf, da der Beitrag der quantenmechanischen Nullpunktsenergie wahrnehmbar wird. In der Tieftemperaturphysik werden die exotischen Phänomene studiert, die in vielen Materialien auftreten. Um die Experimente durchführen zu können, mußten eine Vielzahl von neuen Methoden in der Thermometrie und Kryotechnik entwickelt werden.
Der Trend zu größerer Härte und Brüchigkeit ist in Polymeren besonders ungünstig, deshalb sind die meisten Plastikmaterialien bei tiefen Temperaturen nutzlos (Materialien der Kältetechnik). PTFE (Teflon) bildet eine Ausnahme und kann auch noch bei 4,2 K als Isolationsmaterial verwendet werden. Metalle mit fcc-Struktur (kubisch-flächenzentriertes Gitter) bleiben duktil, bcc-Metalle (kubisch-raumzentriertes Gitter) werden brüchig. Anders als Polymere verlieren Metalle kaum an Elastizität.
Die thermische Kontraktion beträgt bei Metallen bis zu ca. 1 vol-% und ist bis ca. 77 K praktisch vollzogen. Plastik schrumpft dagegen um bis zu 30 %, und die Änderungen finden bis hinab zu 4,2 K statt. In der Kältetechnik stellt dies ein Problem dar, da Kleber mehr schrumpfen als die Metalle, die sie verbinden sollen.
Mit sinkender Temperatur verringert sich die spezifische Wärmekapazität. Dieses Faktum macht das Erreichen tiefer Temperaturen im Prinzip erst möglich. Am absoluten Nullpunkt fällt sie auf Null – dies kann weder in Gasen (interne Energie aus Freiheitsgraden) noch in Festkörpern (interne Energie aus Phononen und freiem Elektronengas) klassisch erklärt werden (Elektronengasmodell, klassisches).
Quantenmechanische Betrachtungen erklären z.B. in Helium die spezifische Wärmekapazität durch Bose-Einstein-Kondensation und in 3He durch ein degeneriertes Fermi-Gas mit Wechselwirkungen zwischen den Heliumatomen, was zu einer effektiven Masse führt (Fermi-Flüssigkeit).
Für Festkörper findet die Debyesche Theorie der Wärmekapazität, daß die Gitterschwingungen bei tiefen Temperaturen als quantenmechanische Oszillatoren in einem elastischen Kontinuum betrachtet werden müssen. Als Bosonen folgen die Phononen bei der Annäherung an tiefe Temperaturen dem Boltzmann-Faktor, verringern also die spezifische Wärmekapazität für T → 0 auf null. Im Grenzwert hoher Temperaturen ergibt sich aus der Debye-Theorie wieder der klassische Wert von 3R nach dem Dulong-Petitschen Gesetz.
Die Wärmeleitfähigkeit bestimmt, wie sich ein System abkühlen läßt. Es wird deswegen zur Konstruktion von Kryostaten (Kryotechnik) oft rostfreier Stahl benutzt, da seine relativ niedrige thermische Leitfähigkeit sich ideal mit der hohen mechanischen Stabilität ergänzt. In isolierenden Festkörpern trägt das Phononengas die Wärme durch das Material. Die Zahl der Phononen ist stark temperaturabhängig und bei tiefen Temperaturen proportional zu T3. Zu höheren Temperaturen hin verringert sich der Exponent, da die Phononen zunehmend Streuprozessen (Streuung) unterliegen. In Metallen gibt das freie Leitungselektronengas einen zusätzlichen Beitrag zur thermischen Leitfähigkeit, der bei tiefen Temperaturen dominierend wird. Metalle besitzen eine sehr hohe thermische Leitfähigkeit. Die Elektronen mit einer Energie kT / EF an der Fermi-Kante (Fermi-Energie) tragen zu je 3k / 2 zur spezifischen Wärmekapazität cel bei, cel = 3nk2T / 2EF, wobei n die Zahl der freien Elektronen pro Mol, EF die Fermi-Energie und k die Boltzmann-Konstante sind. Insgesamt gilt also cges = AT + BT3 (A, B: entsprechende Konstanten).
Die elektrische Leitfähigkeitρ von Metallen sinkt bis ca. 10 K proportional 1 / T. Unterhalb der sog. Debye-Temperatur sinkt sie langsamer, da die Phononen-Populationen, die die Leitfähigkeit begrenzen, mit T3 abfallen und ihre Fähigkeit zur Elektronenstreuung vermindert ist. In den meisten Metallen fällt der elektrische Widerstand nicht auf null, sondern erreicht einen Endwert, der von Verunreinigungen V und Phononen P abhängt: ρ = ρV + ρP. Materialien, die elektrisch nichtleitend sind, bleiben dies auch bei tiefen Temperaturen. Metalle und Halbleiter zeigen dagegen bei tiefen Temperaturen interessante Phänomene, die auf das Verhalten des freien Elektronengases zurückgehen. Die besonderen elektrischen Eigenschaften werden z.B. zur Temperaturmessung benutzt.
Die thermoelektrische Kraft, aus der die Temperaturabhängigkeit der thermoelektrischen Effekte folgt, hängt stark von der Beschaffenheit eines Materials ab. Sie geht gegen null für T → 0. In einigen Materialien nimmt sie unterhalb von 50 K ein Maximum an, das auf den sog. Phononen-Drag zurückgeht.
Unterhalb einer kritischen Temperatur werden viele Metalle und Legierungen supraleitend, d.h. der elektrische Widerstand wird null. In Halbleitern nimmt der elektrische Widerstand zu tiefen Temperaturen hin gemäß einem Exponentialgesetz ab, wenn Hüpf-Leitung (Hopping-Mechanismus) vorliegt. Der Elektronenbeitrag zur spezifischen Wärmekapazität ist in Halbleitern gering, weil die Leitungselektronendichte in ihnen viel kleiner ist als in Metallen. Die thermoelektrischen Effekte können andererseits sehr groß sein, so daß der Peltier-Effekt in Halbleiter-Verbindungen als Basis zur lokalen Kühlung genutzt wird.
In MOS-Feldeffekttransistoren, in denen die Elektronen in einer 2-3 nm dicken Oberflächenschicht gebunden sind, kann der Quanten-Hall-Effekt beobachtet werden, der nur bei tiefen Temperaturen auftritt.
Supraleitung und Suprafluidität
Eines der hervorstechendsten Tieftemperaturphänomene, das zugleich auch die erfolgversprechendsten Anwendungsmöglichkeiten in sich birgt, ist die Supraleitung. Zu den ›Anwendungshoffnungen‹ zählen nicht nur die verlustfreie Stromführung, sondern auch die Miniaturisierung von Bauteilen, Supercomputer, Höchstfeldmagnete, Magnetschwebebahnen oder Anwendungen im Bereich der Kernfusion.
Bei einer sog. SprungtemperaturTc werden einige Metalle supraleitend, d.h. sie verlieren sprunghaft ihren elektrischen Widerstand, und der Meißner-Ochsenfeld-Effekt tritt auf. Die Supraleitung kann als eine Manifestation der Suprafluidität gesehen werden, wobei die Leitungselektronen des Metalls die ›Flüssigkeit‹ bilden (Bändermodell).
Die derzeit höchsten erreichten Sprungtemperaturen liegen für konventionelle Supraleiter bei 23,2 K in Nb3Ge und für Hochtemperatur-Supraleiter bei 137 K (-136 °C) für Hg-1223. Die meisten anderen exotischen Supraleiter (Schwerfermionsupraleiter, Organische Supraleiter, Fullerene) weisen relativ niedrige Sprungtemperaturen auf. Der wesentliche Fortschritt, der in den höheren Sprungtemperaturen liegt, ist, daß sie über der Temperatur siedenden Stickstoffs (77,4 K) liegen und damit technologisch sehr viel einfacher zu handhaben sind. (Supraleitung und Suprafluidität)
Quantenflüssigkeiten und Quantenfestkörper
Die Quantenflüssigkeiten3He und 4He werden unter ihrem eigenen Dampfdruck bis zum absoluten Nullpunkt der Temperatur nicht fest und stehen somit als einzigartig unter allen Substanzen da. Der Grund für dieses Verhalten liegt in ihren großen Nullpunktsenergien, die makroskopische Quanteneffekte sichtbar werden lassen. Unterhalb der λ-Linie (2,19 K bei Normaldruck) wird 4He suprafluid, ein Zustand, in dem reibungsfreier Fluß auftritt.
Bei noch einmal deutlich tieferen Temperaturen wird auch das seltene Isotop 3He suprafluid. Es weist zudem interessante magnetische und orbitale Effekte auf. In der suprafluiden Phase besitzen die Flüssigkeiten eine sehr große Wärmeleitung, die die von Metallen weit übertrifft, sie zeigen merkwürdiges Filmfluß-Verhalten und ungewöhnliche Schall- und Transporteigenschaften. In rotierenden Flüssigkeiten können sich bei bestimmten Geschwindigkeiten quantisierte Flußschläuche ausbilden, und oberhalb einer kritischen Geschwindigkeit setzt Reibung ein. An rotierendem suprafluidem 4He lassen sich Theorien zur Vortexdynamik testen.
Als Erklärung diesen Verhaltens wird bei 4He die Bose-Einstein-Statistik mit einer Bose-Einstein-Kondensation in den Grundzustand angeführt. Flüssiges 3He folgt dagegen der Fermi-Dirac-Statistik, so daß sein Tieftemperatur-Verhalten sich von dem von 4He unterscheidet. 3He geht bei Normaldruck bei 0,93 mK in die suprafluide Phase über. Es weist drei verschiedene Subphasen auf, die sich aus der hier auftretenden magnetischen und unmagnetischen Triplettpaarung erklären lassen.
Wenn man einen starken Druck von ca. 30 atm anlegt, wird die Barriere, die die Nullpunktsenergie bildet, überwunden, und es bilden sich auch in Helium feste Phasen. Auch in diesen Quantenkristallen sind die Nullpunktsbewegungen besonders groß. Die Konsequenz dieser Vibrationen ist ein Überlapp der Wellenfunktionen mit denen von benachbarten Gitterplätzen und eine damit verbundene erhöhte quantenmechanische Tunnelwahrscheinlichkeit (Tunneleffekt), d.h. die Atome werden quantenmechanisch delokalisiert. Der Effekt ist in 3He am stärksten ausgeprägt. Er ist maßgeblich für den ungewöhnlichen Kernmagnetismus des Isotops mit Ordnungstemperaturen um 10-3 K, einer ungewöhnlich hohen Temperatur (oriented nuclei). Spin-Diffusionsmessungen mit NMR und Messungen der magnetischen Suszeptibilität haben diese Interpretation bestätigt.
In 3He wird bei ca. 1 mK eine Ordnungstemperatur mit einem Übergang in eine feste Phase mit antiferromagnetischer Ordnung gefunden, die auch diesen Vielteilchen-Wechselwirkungen zugewiesen wird.
Niedrigdimensionalität
Wenn man die Dimensionalität einer Stoffgruppe reduziert, z.B. bei Kohlenstoffverbindungen von Diamant (3-dimensional) über Graphit (2-dimensional) und verschiedene 1-dimensionale Kettensubstanzen zu Fullerenen (0-dimensional), treten Wechselwirkungen zutage, die in den höherdimensionalen Systemen nicht sichtbar werden (siehe Abb. 2 ). In der Praxis lassen sich diese Systeme oft nicht realisieren, sondern man muß von quasi-zweidimensional oder quasi-eindimensional sprechen, d.h. es liegen schwache Zwischenketten- oder Zwischenschichtkopplungen vor, die den reinen Charakter des Systems verfälschen.
Die große Stärke – aus Grundlagenforschungssicht gesehen – dieser Materialien ist die, daß es in einigen Fällen konkrete Vorhersagen der Theorie über die Eigenschaften dieser Systeme gibt und daß man an ihnen diese Theorien, die sich dann auch auf höherdimensionale Festkörper übertragen lassen, verifizieren kann. Darüber hinaus gibt es auch eine Reihe von hochinteressanten Anwendungsmöglichkeiten, die sich mit niedrigdimensionalen Systemen angehen lassen. Dazu zählen z.B. synthetische Metalle, aus denen man gewichtsarme strapazierbare Kabel entwickeln könnte, die elektromagnetische Abschirmung, Feldabschirmung in Kabeln, antistatische Hüllen, Polymer-Batterien, Solarzellen, LEDs und vieles andere mehr.
Niedrigdimensionaler Magnetismus versucht die grundlegenden Probleme der dreidimensionalen Systeme aus dem Verständnis der eindimensionalen abzuleiten. Hier sind besonders das Ising-Modell und das Heisenberg-Modell zu nennen.
Zu den niedrigdimensionalen Materialien zählen auch die modernen Forschungsgebiete der Spinleitern und Spinketten, deren Fragestellungen mit dem Gebiet der Hochtemperatur-Supraleiter verknüpft sind.
Andere Phänomene
In diese Gruppe gehören Effekte, die oft erst bei tiefen Temperaturen bemerkbar werden, wie der Kondo-Effekt, der Jahn-Teller-Effekt, die Peierls-Instabilität, der Spin-Peierls-Übergang und Materialien wie die Schweren Fermionen, ferner der ganzzahlige und der fraktionierte Quanten-Hall-Effekt.
Prinzipien der Kälteerzeugung
Die Techniken, die zum Erzeugen tiefer Temperaturen benutzt werden, lassen sich in drei Kategorien unterteilen:
1) Bereich bis 1 K:
Für den Temperaturbereich bis zu 1 K verflüssigt man kryogene Gase. Ein verflüssigtes Gas kann dazu benutzt werden, konstante Temperaturen zwischen seinem TripelpunktTtp und dem kritischen PunktTkr einzustellen. Dabei stellt sich die Temperatur eines sich selbst überlassenen flüssigen Gases bei seinem SiedepunktTS ein. An ihrem Siedepunkt stellen diese Flüssigkeiten ein Temperaturbad guter Konstanz dar. Die hierzu am häufigsten verwendeten Gase sind 4He (Tkr = 5,2 K, TS = 4,2 K) und N2 (Ttp = 63,2 K bei 0,12 atm, Tkr = 126,1 K bei 33,5 atm, TS = 77,4 K). Wie aus dem Phasendiagramm für 4He ersichtlich ist, besitzt 4He keinen Tripelpunkt. Die Temperatur läßt sich variieren, indem man durch Pumpen auf ihrer Oberfläche den Dampfdruck über der Flüssigkeit ändert. Da sich der Wärmezufluß zu einem solchen Kältebad nicht völlig unterdrücken läßt, siedet die Flüssigkeit langsam weg und muß regelmäßig nachgefüllt werden, wenn die tiefe Temperatur gehalten werden soll. Gasverflüssigung findet entweder unter Ausnutzung der Jouleschen Expansion durch Kompression statt oder indem ein Gas bei konstantem Druck durch eine Kaskade kälter werdender Kühlstufen geführt wird. Die tiefsten Temperaturen, bei der ein Flüssigkeitsbad praktisch anwendbar ist, liegen bei 0,3 K (3He). Das so realisierbare Band von Kühltemperaturen weist bei 5-14 K und 44-55 K Lücken auf, weil es keine Kryogase gibt, die diesen Temperaturbereich abdecken. Diese Lücken können mit zyklischen (stetige, langsame Temperaturdrift) oder nicht-zyklischenKältemaschinen (Temperatur konstant) gefüllt werden.
2) Bereich bis 2 mK:
Mit 3He-4He-Entmischungskühlung lassen sich zwischen 0,003 und 0,3 K erreichen. Die Methode basiert auf den besonderen Eigenschaften von 3He-4He-Gemischen. Sowohl Helium-I als auch Helium-II werden suprafluid, und die verbleibende normalflüssige Phase begrenzt zusammen mit dem Kapiza-Widerstand die erzielbare Abkühlung. Mit Pomerantschuk-Kühlung, der adiabatischen Kompression von fest-flüssigen 3He-Gemischen, werden 0,002-0,05 K erzielt. Zwischen 0,003 und 1 K wird die adiabatische Entmagnetisierung paramagnetischer Ionen in Festkörpern benutzt.
3) Bereich bis nK:
Mit magnetischer Kühlung, bei der paramagnetische Salze wie CMN eingesetzt werden, nutzt man die mit dem Prozeß der magnetischen Ordnung verbundene Entropieänderung zur Abkühlung. Mit der Kern-Entmagnetisierung lassen sich nach entsprechender Vorkühlung Temperaturen von 0,001-0,005 mK realisieren (Thermometer verschiedener Temperaturbereiche siehe Abb. 3 ).
Sicherheitsaspekte der Kältetechnik
Gefahrenquellen
Beim Umgang mit kryogenen Gasen und Kältetechnik gibt es drei prinzipielle Gefahrenquellen: physiologische Gefahren, physikalische Gefahren und chemische Gefahren.
Zu den physiologischen Gefahren zählen Frostbeulen (graduell je nach Kältezufuhr und Durchblutung der Stelle; der Körper gibt ca. 5-8 W Wärme an seine Umgebung ab) und Atmungsprobleme. Selbst kleine Mengen kryogener Flüssigkeiten können durch Verdampfung erhebliche Volumina einnehmen (spontan verdampfte 65 l flüssigen Wasserstoffs verdrängen in 5 s den Sauerstoffgehalt von ca. 150 m3 Luft auf ein gefährliches Maß). Schwere Edelgase haben einen Anästhesieeffekt auf den Körper. Bei Konzentrationen oberhalb von ca. 60 vol% kann selbst Sauerstoff zum Problem werden. Sauerstoffreiche Atmosphären begünstigen zudem Infektionen.
Zu den physikalischen Gefahren zählen die Phasenübergänge, die beim Abkühlen stattfinden können. Das vollständige Verdampfen von kryogenen Flüssigkeiten führt zu erheblichen Drucken (ein Behälter mit 1 atm flüssigem Helium erfährt bei 27 K 100 atm und bei 270 K 1 000 atm Druck; für einen halbgefüllten Container liegt der Wert für 270 K bei 400 atm.). Beim Verschütten von kryogenen Flüssigkeiten kann es zu explosionsartiger Verdampfung kommen, weil dem System aus der Atmosphäre und den berührten Oberflächen zusätzliche Energie zugeführt wird.
Bei tiefen Temperaturen ändert sich auch die Beanspruchbarkeit von Materialien. Viele Materialien werden spröde, wenn sie atomarem Wasserstoff ausgesetzt werden. Er dringt in sie ein und bildet in Hohlräumen molekularen Wasserstoff, dessen Anreicherung zu Materialbrüchigkeit führt. Wenn Materialoberflächen unter 82 K abgekühlt werden, bildet sich an ihnen ein sauerstoffreiches Luftkondensat (ca. 50 % Sauerstoff, 50 % Stickstoff).
Zu den chemischen Gefahren zählen die Entzündlichkeit von Stoffen und Verbrennungsreaktionen.
Allgemeine Vorsichtsmaßnahmen
Beim Betrieb kryogener Anlagen müssen Maßnahmen ergriffen werden, die die Bildung stoßempfindlicher Gemische – wie z.B. Flüssig-Sauerstoff und Holzkohle, wenn Flüssig-Stickstoff in einer Kältefalle oder Kryopumpe verwendet wird – verhindern. In Gegenwart von Luft sollen organische Materialien nicht unter 82 K abgekühlt werden. Wenn Glassysteme benutzt werden, ist eine Abschirmung einzuplanen, da Gläser oft organisches Kondensat enthalten.
Das Überfüllen von kryogenen Flüssigkeiten sollte durch doppelwandige, evakuierte Transferröhren geschehen. Es können sich durch gefrorenes Kondensat (z.B. Luft) Verstopfungen bilden, die zu Explosionen führen können. In vielen Fällen schafft das regelmäßige Einführen eines Kupferstabes Abhilfe. Wenn eine Verstopfung nicht beseitigt werden kann, muß der Container in ein abgeschirmtes Areal gebracht werden, sofern der Druck für einen Transport noch nicht zu hoch ist.
Besondere Vorkehrungen sind auch bei der Verwendung entzündlicher Flüssigkeiten, Gase und Dämpfe notwendig. Alle Entzündungsquellen (offene Flammen, heiße Oberflächen, ungesicherte elektrische Anschlüsse) müssen aus dem Durchströmungsgebiet entfernt werden. Tendenziell neigen alle entflammbaren Dämpfe dazu, zu Boden zu fallen.
Flüssig-Fluor, -Ozon und -CO sollte nie in Räumen gehandhabt werden, die auch von Personal benutzt werden. Flüssig-Sauerstoff reagiert mit vielen Substanzen, die typischerweise in einem Labor verwendet werden, etliche Materialien bilden mit ihm sogar explosive Gemische!
Inerte Gase können im Prinzip direkt in die Atmosphäre abgegeben werden. Dabei ist zu beachten, daß sie sich nicht in abgeschlossenen Volumina ansammeln können. Bei entflammbaren Gasen wird meist das Abflämmen vorgezogen. Je nach Gasart können Nebenprodukte entstehen, die den Entwurf einer individuellen Entsorgung notwendig machen. Besondere Vorsicht wegen Brandgefahr ist bei der Entsorgung von Sauerstoffdämpfen anzuwenden, die schwerer als Luft sind und sich z.B. in Kleidung anreichern können.
Ausblick
Die Vielzahl der Nobelpreise, die in den Bereich der Tieftemperaturphysik vergeben wurden, belegen eindrucksvoll das Potential, das sich in diesem Gebiet verbirgt. Die Anwendungsmöglichkeiten, die in Zukunft z.B. aus Supraleitung und niedrigdimensionalen Stoffen realisiert werden mögen, können die Welt, wie wir sie heute kennen, grundlegend verändern. Mit dem Erreichen immer tieferer Temperaturen kann man schließlich aus Sicht der Grundlagenforschung der Natur immer besser in die Karten sehen.
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