Lexikon der Physik: Vakuum
Vakuum
Henning Genz, Karlsruhe
1 Einleitung
Eine der ältesten naturwissenschaftlichen Fragen, die noch heute die Physik beschäftigen, ist die nach dem leeren Raum. Ist der Raum mit einer Bühne vergleichbar, auf der Dinge auftreten können, aber nicht müssen? Und kann der Raum, unbeeinflußt von den Dingen, die in ihm auftreten, immer derselbe sein? Die Antwort der Physik auf beide Fragen ist ein klares Nein. Die Quantenmechanik läßt einen im Wortsinn leeren Raum nicht zu, und nach Auskunft der Allgemeinen Relativitätstheorie wird der Raum durch die in ihn eingebrachten Dinge beeinflußt, nämlich gekrümmt. Die endgültige Antwort auf die Frage nach der Natur eines Raumes, der so leer ist wie mit den Naturgesetzen vereinbar, steht aber noch aus. Denn sie kann nur eine Theorie geben, die Quantenmechanik und Allgemeine Relativitätstheorie vereinigt – und eine solche, sowohl konsistente, als auch experimentell im Detail überprüfte Theorie gibt es bis heute nicht.
2 Historisches
2.1 Von den Vorsokratikern zur Wissenschaftlichen Revolution
Die Frage nach der Möglichkeit eines leeren Raumes haben im Abendland zuerst die griechischen Philosophen vor Sokrates – die Vorsokratiker – gestellt. Ihr Ausgangspunkt war noch nicht die naturwissenschaftliche Frage nach dem leeren Raum, sondern die allgemeinere philosophische nach dem Nichts – ob es gedacht werden kann. Vor demselben philosophischen Hintergrund haben sich dann Empedokles (um 433 v.Chr.) und Leukipp (um 450 bis etwa 420 v.Chr.) sowie Demokrit (um 460 bis etwa 370 v.Chr.) der Frage nach dem leeren Raum zugewandt. Zu deren Positionen sollte in den Auseinandersetzungen um das Leere jahrtausendelang keine grundsätzlich neue hinzutreten. Mit Empedokles werden die Plenisten behaupten, daß es (Theophrast (um 372 bis etwa 287 v.Chr.), zitiert nach [3], S. 222) ›überhaupt keinen leeren Raum gäbe‹. In des Empedokles eigenen Worten (nach [3], S. 222): ›Im All gibt es nirgends einen leeren Raum, noch einen, der übervoll wäre‹. Zur Untermauerung seiner These hat Empedokles sein berühmtes Klepshydra-Experiment (siehe Abb. 1 ) gedient. Nahezu gleichzeitig mit ihm haben die Atomisten Leukipp und Demokrit ihre der seinen entgegengesetzte These des Atomismus verkündet. Demokrit (nach [3], S. 399): ›In Wirklichkeit gibt es nur die Atome und den leeren Raum‹.
Wie später Isaac Newton für die Bewegungen seiner Himmelskörper, brauchten die Atomisten den leeren Raum für die Bewegungen ihrer Atome. Für uns bilden die Bewegungen im leeren Raum die einfachste vorstellbare Form einer Bewegung. Sieht man aber von zeitlich und räumlich eng begrenzten Zwischenspielen ab, wurde die Idee einer Bewegung im leeren Raum zusammen mit der des leeren Raumes selbst nach der Zeit der griechischen Atomisten für nahezu 1500 Jahre verworfen. Hauptgrund war, daß das System des Aristoteles die Existenz eines leeren Raumes nicht zuließ. Dieses System und mit ihm die Leugnung des Leeren, hat die Naturphilosophie des Abendlandes bis zur Wissenschaftlichen Revolution, die um 1550 begann, beherrscht.
Natürlich nicht ohne Auseinandersetzungen. Worum es bei der Frage nach dem Leeren sachlich ging, hat Albert Einstein so ausgedrückt (Vorwort zu [17], S. XIII): ›Man kann diese beiden begrifflichen Raumauffassungen einander gegenüberstellen als a) Lagerungsqualität der Körperwelt [und] b) als Behälter aller körperlichen Objekte. Im Fall a) ist Raum ohne körperliche Objekte undenkbar. Im Fall b) kann ein körperliches Objekt nicht anders als im Raum gedacht werden; der Raum erscheint dann als eine gewissermaßen der Körperwelt übergeordnete Realität.‹ Die naturphilosophischen Auseinandersetzungen um das Leere wurden unmittelbar nach Aristoteles durch seine Schüler und Nachfolger als Häupter der von ihm begründeten Akademie, Theophrast und Straton (um 269 v.Chr. verstorben), fortgesetzt. Theophrast – ganz im Sinn des Aristoteles – erkennt dem Raum keine Realität zu, sondern denkt, daß der vermeintliche Raum (Theophrast-Zitat nach [24], S. 380) ›durch Lage und Ordnung der Körper‹ bestimmt sei. Laut Straton hingegen (nach [28], S. 85) ›existieren kleine Vakua verstreut in der Luft, im Wasser, im Feuer und in anderen Körpern‹. Im 13.Jh. hat die Kirche die Doktrin des Aristoteles übernommen, daß es keinen leeren Raum geben könne. Diese durch Thomas von Aquin (um 1225-1274) wesentlich mitbestimmte Neuorientierung entsprang (auch) der Auffassung, daß leerer Raum nutzlos sei, und daß Gott keine nutzlosen Werke erschaffen habe. Am Ende dieser Form der Auseinandersetzungen um das Leere stand die Kontroverse zwischen Isaac Newton und Gottfried Wilhelm Leibniz, in der Newton die Behälter-, Leibniz die Lagerungsqualität des Raumes vertrat (z. B. [27]).
Die Frage nach dem leeren Raum hatte nicht nur philosophische, sondern auch experimentelle Aspekte: Warum fließt das Wasser im Klepshydra-Experiment des Empedokles nicht aus, bevor der Eingang für die Luft freigegeben wird, und warum steigt der Trunk im Trinkhalm nach oben? Als Antwort hat sich ein Wort eingestellt – das Wort vom horror vacui, von der Abscheu der Natur vor dem Leeren. Die Natur erlaubt es laut der hiermit verbundenen Doktrin nicht, daß ein leerer Raum – ein Vakuum – entsteht, und verhindert das, obwohl unbedingt, mit den mildesten ihr jeweils zur Verfügung stehenden Mitteln: Statt daß der Trinkhalm zerbricht, steigt der Trunk in ihm in die Höhe; und so weiter. Wie es tatsächlich ist, muß ich den Benutzern dieses Lexikons nicht erklären – daß wir, wie es der Schüler von Galileo Galilei und Entdecker der Möglichkeit eines Vakuums Evangelista Torricelli formuliert hat (nach [25], S. 337), ›untergetaucht auf dem Grund eines Meeres von elementarer Luft‹ leben, so daß (mit einer mir bekannten Ausnahme) der äußere Luftdruck für alle Phänomene verantwortlich ist, zu deren Begründung der horror vacui herhalten mußte. Die Ausnahme ist das Zerplatzen von Behältern, in denen Wasser gefriert: Als selbstverständlich wurde angenommen, daß Wasser sich beim Gefrieren zusammenzieht, so daß ein Vakuum entstünde, wenn die Natur den Behälter nicht zerdrückte. Tatsächlich dehnt sich Wasser beim Gefrieren aus und zersprengt den Behälter.
2.2 Aufschwung der Naturwissenschaften ab der Wissenschaftlichen Revolution durch die Anerkennung des Leeren
Wir wissen heute, daß es keinen im Wortsinn leeren Raum geben kann. Der Aufschwung der Naturwissenschaften in der Wissenschaftlichen Revolution beruhte aber auch darauf, daß diese an sich richtige Idee beiseite gelegt wurde. Denn die Prozesse, die überhaupt Gegenstand einer naturwissenschaftlichen Erklärung durch die Forscher der Wissenschaftlichen Revolution bis spät ins 19.Jh. hinein sein konnten, laufen unabhängig davon ab, ob der Raum, in dem sie sich ereignen, absolut leer oder nur so leer ist, wie es die heutige Physik erlaubt. Das Beiseitelegen war einer der folgenreichsten Schritte der Wissenschaftlichen Revolution. Erst durch ihn ist es nach dem Vorbild der frühen Atomisten und Vertreter des Leeren wieder denkbar geworden, daß sich Körper wie die Himmelskörper Isaac Newtons oder die Atome des modernen Atomismus von James Clark Maxwell und Ludwig Boltzmann frei im Raum bewegen. Ermöglicht haben den Schritt die experimentellen Ergebnissen der Evangelista Torricelli (siehe Abb. 2 ), Blaise Pascal (siehe Abb. 3 ) und Otto von Guericke (siehe Abb. 4 ), nach denen keiner mehr – eigentlich auch Rene Descartes nicht, der aber auf seinem entgegengesetzten Standpunkt beharrte – behaupten konnte, etwas anderes als der äußere Luftdruck (und die Ausdehnung des Wassers beim Gefrieren) sei für die Phänomene verantwortlich, die auf dem horror vacui beruhen sollten. Jedes Phänomens beraubt, für das der horror vacui verantwortlich gemacht werden konnte, ist er bald auch als Idee untergegangen. Der Raum mochte leer sein können oder eine feine, alles durchdringende Substanz namens Äther enthalten müssen – merkliche mechanische Wirkungen konnte diese Substanz nicht besitzen. Newton, um den Himmelskörpern freien Flug durch den Raum zu ermöglichen, hat angenommen, daß dieser wirklich und im Wortsinn leer ist. Damit hat er sich zwei Probleme eingehandelt. Erstens mußte er sich der Frage stellen, wie und wodurch die Schwerkraft durch den leeren Raum übertragen werden kann. Hierauf hat er geantwortet, daß er keine Hypothesen ersinne. Die zweite Schwierigkeit liegt in dem harmlos daherkommenden Gesetz I seines Hauptwerks [21], S. 33, verborgen: ›Jeder Körper verharrt in seinem Zustand der Ruhe oder des Sich-geradlinig-gleichförmig-Bewegens, außer insoweit wie jener von eingeprägten Kräften gezwungen wird, seinen Zustand zu verändern.‹ Um aber Ruhe unabhängig von Newtons Gesetz I definieren zu können, bedarf es eines Bezugssystems, relativ zu dem die Körper ruhen. Newton verwirft mit dem Äther die Idee, daß ein materielles Bezugssystem existiere, mit dessen Hilfe absolute Ruhe definiert werden könnte. Statt dessen versucht er, absolute Ruhe als Ruhe relativ zu seinem absoluten Raum zu definieren – und das gelingt ihm nicht, weil es nicht gelingen kann. Mit den Worten ([21], S. 32) ›Jedoch ist die Sache nicht ganz aussichtslos‹ überträgt er die Aufgabe der Definition einer absoluten Ruhe seinen Gesetzen. Doch die schreiben zwar der Änderung des Zustands der Ruhe – allgemeiner: des Zustands des Sich-geradlinig-gleichförmig-Bewegens – einen beobachtbaren Effekt zu, nicht aber dem Zustand selbst. Seit Newton rätselt die Naturphilosophie darüber, wie der Änderung einer Eigenschaft – der Geschwindigkeit – ein objektiver Sinn zukommen kann, wenn diese selbst keinen objektiven Sinn besitzt. Unter dem Namen Relativitätsprinzip ist dessen ungeachtet die Unbeobachtbarkeit einer absoluten Geschwindigkeit über Newtons Gesetze hinaus zu einer – bemerkt sei: überragend erfolgreichen – Forderung an die fundamentalen Naturgesetze erhoben worden.
Daß man dem Raum, insbesondere dem leeren, physikalische Realität zuschreiben soll, nennt Albert Einstein eine ([7], S. 107) ›harte Zumutung‹. Im Widerspruch zum Programm der mechanistischen Philosophie (z. B. [4]), deren Anhänger er war, sah Newton sich genötigt, mit seinem absoluten Raum ein Objekt einzuführen, dessen Wirkungen nicht auf Berührung und Stoß zurückgeführt werden können – genau wie kein Mechanismus angegeben werden kann, der die Übertragung der Schwerkraft durch Newtons leeren Raum hindurch bewirkte. Zwar nicht auf die Geschwindigkeit, wohl aber auf die Beschleunigung wirkt der Raum laut Newton ein. ›Dies physikalisch Reale, welches (...) in das Newtonsche Bewegungsgesetz eingeht‹, bezeichnet Albert Einstein als ([6], S. 87-89) ›Äther der Mechanik‹. Statt vom ›Äther‹, so Einstein weiter, ›könnte man ebensogut von physikalischen Qualitäten des Raumes sprechen‹. Obwohl Newtons absoluter Raum wirkt, kann auf ihn in keiner Art und Weise eingewirkt werden; er bleibt unbeeinflußbar immer derselbe. Auf diesem Mißverhältnis beruht Einsteins wohl wichtigster intuitiver Einwand gegen Newtons absoluten Raum (Einstein-Zitat nach [2], S. 38): ›Es widerstrebt dem wissenschaftlichen Verstande, ein Ding zu setzen, das zwar wirkt, auf welches aber nicht gewirkt werden kann‹.
Ersonnen wurden feine Substanzen wie der Äther, um Räume anzufüllen, die ohne sie leer wären. Pneuma nannten die Stoiker, die Philosophen der Stoa, die von Zenon von Kition (um 334 bis 262 vor Christus) begründet worden ist, eine derartige Substanz, die allgegenwärtig sein und dadurch die weit von einander entfernten Welten, an deren Existenz sie glaubten, zusammenhalten sollte. Diejenigen, die viel später entgegen Newton und mit Christiaan Huygens an die Wellennatur des Lichtes glaubten, wiesen dem Äther als physikalische Hauptaufgabe zu, Träger der Lichtwellen zu sein. Seine Verdichtungen und Verdünnungen wurden auch für die Erscheinungen der Elektrizität verantwortlich gemacht.
Mit den wachsenden naturwissenschaftlichen Kenntnissen wuchsen natürlich auch die Anforderungen an den Äther. Konnten elektromagnetische Wellen, die sich mit der Lichtgeschwindigkeit ausbreiten, Schwingungen eines Äthers sein, der den Bewegungen der Himmelskörper und Atome keinen bemerkbaren Widerstand entgegensetzt? Behielt man die von Substanzen wie Luft oder Wasser bekannten Zusammenhänge zwischen Dichte, Elastizität und Ausbreitungsgeschwindigkeit von Wellen bei, mußte der Äther erstaunliche Eigenschaften besitzen. Leonhard Euler, der fest an die Existenz und Allgegenwart des Äthers glaubte, wußte um einige dieser Zusammenhänge ([8], S. 24): ›Wir wollen uns vorstellen, die Dichtigkeit der Luft würde so sehr verringert, und ihre Elasticität so sehr vermehrt, daß sie der Dichtigkeit und der Elasticität des Äthers gleich wäre: so würden wir uns alsdann nicht mehr wundern, daß die Geschwindigkeit des Schalls mehrere tausendmal größer würde, als sie jetzt ist‹. Die Existenz einer solchen Substanz hat er offenbar für möglich, wenn auch für erstaunlich gehalten: ›Wenn man demnach fragt, warum das Licht sich mit einer so ungeheuren Geschwindigkeit bewegt, so antworten wir, daß die Ursache in der äußersten Feinheit des Äthers, zusammen genommen mit seiner erstaunlichen Elasticität liege‹ (meine Hervorhebung). Den Äther will Euler übrigens auch für die Wirkungen der Schwerkraft verantwortlich machen; er weiß nur nicht, wie. ›Die Körper‹ schreibt er ([8], S. 74) ›bewegen sich so, als wenn sie einander anzögen‹. Und: Es scheint ›vernünftiger zu seyn, der Wirkung des Äthers die gegenseitige Anziehung der Körper zuzuschreiben, wenn man auch die Art dieser Wirkung nicht einsieht, als zu einer ganz unverständlichen Eigenschaft seine Zuflucht zu nehmen‹ – gemeint ist die Fernwirkung durch den leeren Raum hindurch, die bereits Newton in einem Brief an Reverend Dr. Bentley kraftvoll abgelehnt hatte (nach [18], S. 163): ›Daß ein Körper über eine Entfernung hinweg durch ein Vakuum hindurch auf einen anderen ohne Vermittlung von etwas wirken sollte, von dem und durch das die Wirkung und Kraft vom einen auf den anderen übertragen würde, ist für mich ein absurder Gedanke‹.
2.3 Von der mechanistischen zur mathematischen Weltsicht
Es ist heute schwer vorstellbar, einen wie großen Schritt die Elimination des Äthers aus der Vorstellungswelt der Physiker um 1900 bedeutete. Experimentell sozusagen abgeschafft wurde der Äther durch die Messungen der Lichtgeschwindigkeit in verschieden ausgerichteten Apparaten durch Albert Abraham Michelson und Edward Williams Morley (1838-1923) im späten 19.Jh. (Michelson-Morley-Experiment). Deren Ergebnis war, daß zumindest der lokale Äther die Reise der Erde um die Sonne mitmachen muß – eine ans absurde grenzende Folgerung. Ohne die Vorstellung vom Äther kam die Theorie 1905 wieder ins Lot durch Albert Einsteins Spezielle Relativitätstheorie. Aber zugleich mit der Abschaffung des Äthers hat sich ein grundsätzlicher Wandel der Weltsicht der Physiker vollzogen – das mathematische Universum ist an die Stelle des mechanistischen getreten.
Schon vor den Messungen von Michelson und Morley jedoch konnte die Äthertheorie nur schwer mit den erreichten physikalischen Erkenntnissen in Einklang gebracht werden. Durch die 1873 von Maxwell gefundenen und nach ihm benannten Gleichungen für Elektrizität und Magnetismus (Maxwell-Gleichungen) wurden die Schwierigkeiten einer jeden Äthertheorie bis zur Schmerzgrenze verstärkt – und trat zugleich deren Notwendigkeit zur Rettung des mechanistischen Weltbildes deutlicher hervor. Die Schwierigkeiten hat Heinrich Hertz, Entdecker der elektromagnetischen Wellen und Anhänger der Äthertheorie, in seiner Vorlesung [14] von 1884 ausführlich beschrieben. Um mit dem internen Widerspruch dessen, was er physikalisch wußte und mechanistisch interpretieren zu müssen glaubte, leben zu können, hat er eine private Wissenschaftstheorie entwickelt, die zwischen den ›Thatsachen der Natur‹ und den ›Schwierigkeiten, welche der menschliche Verstand findet, sie zu begreifen‹ unterscheidet ([14], S. 32). Er wiederholt die Betrachtungen Eulers zur Dichte und Elastizität einer Substanz – bei ihm Wasser –, und findet ([14], S. 53), daß er zur Erreichung der Lichtgeschwindigkeit die ›Unwahrscheinlichkeiten‹ so auf Dichte und Elastizität des Äthers verteilen kann, daß dieser 200 000mal dünner sei als Wasser und doch bei der Zusammendrückung einen 200 000mal größeren Widerstand ausübe als dieses, das selbst ja ›fast incompressibel‹ ist.
Nicht nur als unwahrscheinlich, sondern sogar als widerspruchsvoll erschienen Hertz die Konsequenzen einer Eigenschaft des Lichtes, die zu Eulers Zeiten noch unbekannt war, die Transversalität der Schwingungen ([14], S. 55): ›Transversalwellen sind nur in festen elastischen Körpern möglich. (...) Also, der Äther verhält sich wie ein fester Körper und doch eilen die Planeten durch ihn hindurch (...) ohne auch nur einen Widerstand zu erfahren? Und die zarten Kometen desgleichen! Das ist nicht bloß unbegreiflich, (...) es ist widerspruchsvoll‹. Die Transversalität der Lichtwellen, von Etienne Louis Malus im Jahr 1808 entdeckt, war für Hertz nicht einfach eine experimentelle Tatsache, sondern v.a. eine Konsequenz der Maxwellschen Gleichungen, über die er sich in Ansehung der Schwierigkeiten, sie mechanisch zu interpretieren, so geäußert hat ([13], S. 23; zitiert nach [5], S. 101): ›Auf die Frage (...) was ist die Maxwellsche Theorie? wüßte ich (...) keine kürzere und bestimmtere Antwort als diese: die Maxwellsche Theorie ist das System der Maxwellschen Gleichungen‹ – ob es nun einen Äther gibt oder nicht. Mit diesem Satz ist Hertz bei der mathematischen Weltsicht angekommen.
3 Grundzustände – die Vakua der Physik
3.1 Raumerfüllung durch Materie oder Felder
Die – sozusagen – Materie der Materie füllt höchstens einen winzigen Bruchteil des Raumes, den sie einzunehmen scheint, aus. Der Bohrsche Radius eines Wasserstoffatoms – also dessen Radius im Grundzustand – beträgt
Meter, die Avogadrosche Zahl ist
Moleküle pro mol, und 1 mol eines idealen Gases nimmt
Kubikmeter ein, so daß jedem Wasserstoffatom eines idealen einatomigen Wasserstoffgases unter Normalbedingungen das 40fache seines eigenen Volumens in dem Gas als ›leerer‹ Raum zur Verfügung steht. Den ganzen Raum scheint das Gas nur deshalb auszufüllen, weil seine Atome ungeordnet hin- und herflitzen und dadurch Druck auf die Wände des Behälters ausüben.
Aber auch die Atome erfüllen den Raum, den sie einzunehmen scheinen, nur zu einem winzigen Bruchteil. Die Atome einer massiven Probe grenzen mit ihren Atomhüllen aneinander. Die Teilchen der Hüllen sind Elektronen, und diese sind so klein, daß bisher nicht gesagt werden kann, ob sie überhaupt eine Ausdehnung besitzen: Sie sind höchstens
Meter groß, können also auch Punktteilchen sein. Die Kerne der Atome, in denen nahezu ihre ganze Masse versammelt ist, sind um etwa den Faktor
kleiner als die Atomhüllen – auf die Raumerfüllung umgerechnet ergibt dies den noch imposanteren Faktor
, um den die Atomkerne kleiner sind als die Atome insgesamt. Sind nun wenigstens die Kerne so massiv erfüllt, wie es scheint? Nein. Die Protonen und Neutronen der Kerne – ihre Abmessungen stimmen ungenau genommen mit denen der Kerne überein – mögen noch so eng gepackt sein, wichtig ist am Ende nur, daß auch ihre massiven Bestandteile, die Quarks, Teilchen sind, für deren Abmessungen wir, wie für die Elektronen, nur Obergrenzen kennen, die verglichen mit dem Radius des Kerns winzig sind: Auch die Quarks sind höchstens
Meter groß und können Punktteilchen sein. Wahrlich, die Massen, die der Materie ihre Masse verleihen, nehmen nur einen unerkennbar kleinen Bruchteil ihres Volumens ein. Sieht man auf nichts als die massiven Teilchen, ist die massive Materie zumindest nahezu leer. Ihre Ausdehnung verdankt sie nicht den massiven Teilchen, sondern deren Feldern – die Atomhülle den elektromagnetischen, die Elementarteilchen und die Atomkerne den gluonischen. Die Quantenmechanik fügt zu dieser im wesentlichen klassischen Betrachtung den Aspekt hinzu, daß auch die Wellenfunktionen der Teilchen des Atoms sowie des Kerns die ihnen zugänglichen Raumbereiche ausfüllen.
3.2 Das Vakuum der Chemie
Prinzipiell spricht nichts dagegen, daß aus einem makroskopischen Raumbereich alle Atome – und damit auch Moleküle – entfernt werden. Ist das erreicht, wollen wir vom ›Vakuum der Chemie‹ sprechen. Ein solches Vakuum herrscht im interstellaren Raum in der Scheibe der Milchstraße. Dort ist jedes Molekül von seinem nächsten Nachbar eine makroskopische Distanz, im Mittel etwa einen Zentimeter, entfernt. In unseren makroskopischen Bereichen befinden sich mit einigen Zehnerpotenzen mehr oder weniger stets um die
Moleküle; am Boden sind es
Moleküle pro Kubikzentimeter. Kein Wunder also, daß es ausnehmend schwer ist, durch technische Mittel einen Raum herzustellen, der nicht mehr als
Moleküle pro Kubikzentimeter (Druck:
Millibar) enthält. Das aber ist gelungen; und darum geht es uns nicht.
Seien also aus einem Raumbereich alle Moleküle entfernt. Ist er bereits deshalb leer, also ein physikalisches, statt nur ein chemisches Vakuum? Natürlich nicht. Denn unabwendbar enthält er jene Plancksche Wärmestrahlung, die seiner Temperatur entspricht. Diese Strahlung definiert geradezu die Temperatur des Hohlraums, so daß von einem Raum, der so leer ist wie mit den Naturgesetzen vereinbar, erst in dem Grenzfall gesprochen werden kann, in dem die Temperatur
des Raumbereichs auf die (unerreichbare) Temperatur Absolut Null – minus 273 Grad Celsius – abgesenkt wurde. Was bei dieser Temperatur bleibt, ist der leerste Raum, den die Naturgesetze zulassen – und der ist im Wortsinn keinesfalls leer (siehe Abb. 5 ).
3.3 Hohlraum- und Nullpunktstrahlung
Die Energie dE der pro Volumen dV und Frequenzbereich dν bei der Temperatur T in einem Raumbereich enthaltenen Strahlung beschreibt Plancks Formel (Plancksche Strahlungsformel)
Hierin steht
für die Lichtgeschwindigkeit und
für den – wie wir heute wissen – Erwartungswert
der Energie eines harmonischen Oszillators mit der Frequenz
im thermischen Gleichgewicht bei der Temperatur
. In der Formel bedeutet
die Plancksche Konstante und
Boltzmanns Umrechnungsfaktor von Energie in Temperatur. Als Erwartungswert
der Energie eines harmonischen Oszillators bei der Temperatur
erhalten wir dessen Nullpunktsenergie
– wie es sein muß. Wir erhalten
als Grenzwert der Energie der in einem Raumbereich enthaltenen elektromagnetischen Strahlung pro Volumen dV und pro Frequenzbereich dν beim Übergang von endlichen Temperaturen zur Temperatur absolut Null. Eben dieses Resultat liefert auch die Beobachtung durch Extrapolation, wenn die Temperatur eines Hohlraums in Richtung der Temperatur absolut Null mehr und mehr abgesenkt wird.
Für die Rest- oder Nullpunktstrahlung in einem Hohlraum gibt es auch experimentelle Beweise. Z.B. kann die Van-der-Waals-Anziehung (Van-der-Waals-Wechselwirkung) von Atomen auf sie zurückgeführt werden. Ein zweiter experimenteller Beweis ist der Casimir-Effekt; von ihm weiter unten. Die elektromagnetische Nullpunktstrahlung erzwingt auch die Existenz von geladenen Teilchen im Vakuum, nämlich von Teilchen-Antiteilchen-Paaren, die insgesamt die Ladung Null tragen. Exotischere Beiträge bringen Quarks und Gluonen sowie möglicherweise geordnete Strukturen, unter ihnen die Higgs-Felder (Higgs-Mechanismus).
3.4 Alles voll Gewimmels
Unser Wissen von dem Raum, der so leer ist wie mit den Naturgesetzen vereinbar, beruht auf der Speziellen Relativitätstheorie und der Quantenmechanik. Die Quantenmechanik für sich allein liefert die Unschärferelationen als die wohl wichtigsten Ingredienzen unseres Wissens um den leeren Raum, die Spezielle Relativitätstheorie die Äquivalenz
von Energie und Masse, und aus beiden zusammen folgt das Theorem von der Antimaterie: Daß es nämlich zu jedem Teilchen ein Antiteilchen gibt. Ein Teilchen und sein Antiteilchen sind entgegengesetzt-gleich geladen, so daß sie zusammen genommen genau die Eigenschaften des leeren Raumes besitzen können – die Energie allerdings ausgenommen. Da aber nach Auskunft der Unschärferelation zwischen Energie und Zeit die Energie fluktuiert, können Teilchen-Antiteilchen-Paare für kurze Zeiten aus dem Raum auftauchen und wieder in ihm verschwinden (siehe Abb. 6 ). Analoges gilt für die notwendigen Schwankungen des Impulses in begrenzten Gebieten. Damit auch der Impuls zusammen mit der Energie schwanken kann, muß es ›etwas‹ als deren Träger geben – seien es nun Paare massiver Elektronen und Positronen oder masselose Photonen und Felder. Bereits deshalb kann es keinen im Wortsinn leeren Raum geben.
In dem leersten Raum, den die Physik kennt, tummeln sich also nicht nur elektromagnetische Strahlen, sondern auch virtuelle Teilchen zusammen mit ihren Antiteilchen. Die Verbindungen zwischen diesen Objekten werden durch Feynman-Graphen wie den der Abb. 7 hergestellt: Ein Photon, wie immer in diesem Essay durch eine Wellenlinie dargestellt, verschwindet, und statt seiner entstehen ein Elektron und ein Positron. Den umgekehrten Prozeß kennt die Physik genauso wie diesen. Hinzu kommen dessen Verallgemeinerung auf Gluonen statt der Photonen und auf Quarks und Antiquarks statt der Elektronen und Positronen.
3.5 Die Räume der Allgemeinen Relativitätstheorie
Grundzustand heißt der Zustand eines physikalischen Systems, in dem dessen Energie so niedrig ist wie möglich. Was aber ist ein physikalisches System? Das kann erst die Theorie entscheiden. Nehmen wir zwei Protonen. Sie bilden nach Auskunft sowohl der klassischen Physik, als auch der nichtrelativistischen Quantenmechanik ein System, das verschiedene Zustände annehmen kann. Ihnen allen ist gemeinsam, daß es genau zwei Teilchen – eben die beiden Protonen – gibt. Der Grundzustand dieses Systems ist demnach der, in dem die Gesamtenergie zweier Protonen so niedrig ist wie möglich. In der Quantenfeldtheorie treten die beiden Protonen als Zustände eines von einer Lagrange-Funktion beschriebenen Systems auf, das beliebig viele Protonen und andere Elementarteilchen enthalten kann. Der Grundzustand dieses Systems ist also einer, in dem es keine realen, sondern nur virtuelle Teilchen gibt – der Vakuumzustand, in dem alle Ladungen verschwinden.
Nun zu dem Versuch der Übertragung dieser Begriffsbildungen auf den Raum, der so leer ist wie im Einklang mit den Naturgesetzen möglich. Nach Auskunft der Allgemeinen Relativitätstheorie krümmen Massen den Raum und wirkt der Raum auf Massen dadurch zurück, daß er ihre Bewegungen beeinflußt. Wenn wir von lokalen Effekten dieser Art absehen, bleibt nur das Universum insgesamt als Gegenstand unserer Betrachtungen übrig. Angenommen sei, daß das Universum im Mittel homogen und isotrop ist, es also keinen Ort und keine Richtung vor anderen auszeichnet. Ob aber Universen dieser Art spezielle Zustände eines einzigen Systems namens Universum sind, oder gar jedes von ihnen ein spezielles System darstellt, kann erst nach Vorgabe eines theoretischen Rahmens entschieden werden, und bleibt hier offen. Alle Universen dieser Art können durch die Robertson-Walker-Metrik (RWM) beschrieben werden. Bis auf eine Konstante, die üblicherweise
heißt und die Werte
annehmen kann, und eine positive Funktion
der Zeit
ist die RWM durch die an sie gestellten Forderungen der Homogenität und Isotropie festgelegt. Der Wert von
und die Funktion
können erst durch Eigenschaften des beobachtbaren Universums sowie die Einstein-Gleichungen festgelegt werden – selbstverständlich unter der Annahme, die in die vorausgesetzte Homogenität eingeht, daß das beobachtbare Universum für das ganze repräsentativ ist.
Wenn die von Einstein eingeführte und alsbald verworfene kosmologische Konstante
verschwindet, entscheidet der Zahlenwert von
sowohl über das künftige Schicksal des Universums – ob es für immer expandieren wird (k = -1 oder 0), oder ob es schlußendlich zusammenstürzen wird –, als auch über seine Krümmung: Bei
ist die Krümmung des Universums wie die eines Sattels in zwei Dimensionen negativ, bei
ist es euklidisch und flach, und bei
besitzt es eine positive Krümmung wie die Oberfläche einer Kugel in zwei Dimensionen. Was auch immer
sei, beschreibt
die Ausmaße des Universums, zum Beispiel durch den Abstand zweier ausgewählter Galaxien(haufen) als Funktion der kosmischen Zeit
.
Festhalten wollen wir an dieser Stelle, daß ›der Raum‹ der Allgemeinen Relativitätstheorie keinesfalls ein eigenschaftsloses Nichts ist, in den Körper eingebracht oder aus dem Körper entnommen werden können, ohne ihn zu ändern. Er selbst besitzt Eigenschaften; und sogar zur Beschreibung eines homogenen und isotropen Raumes zu einer Zeit – der Gegenwart
– sind mindestens zwei Zahlen erforderlich, nämlich die Werte von
und von
. Sie aber reichen nicht aus, um das zukünftige (und frühere!) Schicksal des Universums festzulegen. Der Druck
und die Materiedichte
als Funktionen der Zeit, die kosmologische Konstante
sowie die gegenwärtige relative Expansionsgeschwindigkeit – die Hubble-Zahl
– müssen hinzukommen.
Unter den Annahmen der RWM gelten für
und
die Einsteinschen Gleichungen in der Form
und
Wahl der Gegenwart
als Zeit in der ersten Gleichung ergibt mit der Definition der kritischen Materiedichte
die Beziehung
In den Gleichungen steht
für die Gravitationskonstante und
für die Lichtgeschwindigkeit. Inspektion zeigt, daß ein nicht verschwindendes
genauso wirkt wie eine zusätzliche Materiedichte
zusammen mit einem zusätzlichen Druck
. Der Druck
und die Materiedichte
selbst stehen für den Druck und die Energiedichte der ›gewöhnlichen‹ Materie wie Galaxien, Staub, Neutrinos und Strahlungsfelder – all dessen, was aus Raumgebieten zumindest im Prinzip entfernt werden kann. Nicht eingeschlossen in die sich aus
ergebende Energiedichte
ist der Beitrag der Gravitation selbst – der, klassisch gesprochen, negativen potentiellen Energie der Materie. Genau wenn bei verschwindender kosmologischer Konstante die gegenwärtige Energiedichte
den speziellen Wert
besitzt, ist die Gesamtenergie des Universums – nun mit dem negativen Beitrag der Gravitation – Null, und es kann sich deshalb in Übereinstimmung mit der quantenmechanischen Unschärferelation zwischen Energie und Zeit aus einer langlebigen Quantenfluktuation entwickelt haben und weiter entwickeln. Die dritte der obigen Gleichungen zeigt, daß – weiterhin bei
– genau in dem Fall das Universum insgesamt flach ist, also
gilt. Ist
größer oder gleich
, wird das Universum für immer expandieren; wenn nicht, wird es schließlich kollabieren. Daß die kosmologische Konstante künftighin dieselbe bleiben wird, gehört zu den Voraussetzungen dieser Folgerungen.
Die kosmologische Konstante beschreibt den Beitrag des ›leeren‹ Raumes zu Druck und Energiedichte des Universums. Sie faßt unabhängig von deren Ursprung alle zur Metrik
proportionalen Beiträge zum Energie-Impuls-Tensor
des Universums zusammen. Ein Beitrag zu ihr ist Einsteins ursprüngliche kosmologische Konstante, die, ohne Auskunft über ihren Ursprung zu geben, als nur empirisch zu bestimmender Parameter in seinen Gleichungen auftritt. Aber auch die Elementarteilchen, die in der Lagrange-Funktion des Universums verzeichnet stehen, liefern Beiträge zur Energiedichte des Vakuums und damit zu
. Hier geht es wohlgemerkt nicht um jene Elementarteilchen, die das Universum ausmachen wie die Photonen der Hintergrundstrahlung, die Neutrinos von der Sonne oder die Quarks der Galaxien – sie werden durch
und
beschrieben –, sondern um jene Typen von Elementarteilchen, die es nach Auskunft der Naturgesetze geben kann.
Während
und
naturgemäß positive Größen sind, besitzen die zu
äquivalenten zusätzlichen Beiträge
und
verschiedene Vorzeichen (oder verschwinden). Welcher Beitrag positiv ist, hängt vom Vorzeichen von
ab. In der Geschichte des Universums scheinen nur nicht-negative
aufgetreten zu sein, so daß wir uns auf diesen Fall beschränken. Nun geht es nicht an, unbesehen die einen in Einsteins Gleichungen auftretenden Größen abzuändern und die anderen ungeändert zu lassen, weil sie nur zusammen die Gleichungen lösen. Deshalb können wir zwar von Beiträgen zu einer effektiven Energiedichte
und einem effektiven Druck
sprechen, nicht aber von dem, was zum Beispiel bliebe, wenn alle Materie aus dem Universum herausgenommen würde – dies ergäbe ein anderes Universum mit einem im allgemeinen anderen Wert von
. Sieht man auf das Ganze, können im Parameterraum von
und
Gebiete abgegrenzt werden, in denen Universen mit bestimmten Werten von
, also Krümmungen, sowie bestimmten Verhalten ihrer
angesiedelt sind (z. B. [23]). Wenn
nicht verschwindet, erhalten wir ein flaches Universum mit seinem
bei beliebigem
offenbar für
.
Bei der Expansion des Universums wird sein materieller Inhalt verdünnt, so daß für hinreichend große
und anhaltende Expansion in beiden Gleichungen für die Zeitabhängigkeit von
die zu
proportionalen Terme auf den rechten Seiten der Gleichungen dominieren werden. Gilt außerdem
oder ist
groß genug, erhalten wir aus den obigen als effektive Gleichungen für die Entwicklung des Universums
sowie
wobei sich die zweite auch durch Differenzieren nach der Zeit aus der ersten ergibt. Die allgemeine Lösung lautet
worin
ein Parameter ist. Wenn also die angenommenen Näherungen gemacht werden können, expandiert das Universum exponentiell beschleunigt für wachsende
.
Physikalisch interessant ist die Lösung in zwei Fällen. Erstens besitzt die zur Zeit (Februar 2000) wahrscheinlichste Lösung [23] der Einsteinschen Gleichungen für die Entwicklung des Universums ein
, das auf
führt – also
–, und das einen Vakuumanteil enthält, der um den Faktor
größer ist als der Materieanteil. Unter diesen Voraussetzungen wird das Universum in der Tat für immer expandieren, und zwar beschleunigt.
Zweitens hat es nach Auskunft der Theorie der Inflation in der Frühgeschichte des Universums eine Epoche gegeben, in der dessen Entwicklung durch eine große, auf den Eigenschaften der Elementarteilchen beruhende positive kosmologische Konstante dominiert wurde. Dies, als die Temperatur des expandierenden Universums so niedrig geworden war, daß sich ein Higgs-Feld ausbilden konnte, sich aber noch keines ausgebildet hatte. Gibt es das Higgs-Feld, so nimmt dieses einen geordneten Zustand an, und in ihm ist die Gesamtenergie kleiner als sie es ohne das Higgs-Feld ist: Der Übergang von Nichts zu Etwas zahlt sich in diesem Fall energetisch aus. Daß mit dem Übergang von Unordnung zu Ordnung Energieabgabe einhergehen kann, ist jedermann von der Kristallisationswärme bekannt. Kann es also ein Higgs-Feld geben, gibt es dies aber nicht, ist die niedrigste mögliche Energie des Universums kleiner als die tatsächliche, und diese kann deshalb als Energie des Vakuums interpretiert werden, so daß sie zur exponentiellen Expansion führt. Die Expansion endet, wenn sich das Higgs-Feld tatsächlich ausbildet: Damit und dadurch geht das Universum in einen Zustand niedrigerer Energie über. Die positive Vakuumenergie wird bei diesem Prozeß, der nicht durch die Einsteinschen Gleichungen beschrieben werden kann, in manifeste Energie überführt: Das Universum, das bei der inflationären Expansion gegen den Widerstand der Schwerkraft kalt geworden war, heizt sich wieder auf, und sein weiteres Schicksal kann durch das Bild vom heißen Urknall beschrieben werden. Bei der Umwandlung von Vakuumenergie in manifeste Energie ändert sich natürlich abrupt deren Einfluß auf die Entwicklung des Universums – aus der (durch den negativen Druck der Vakuumenergie bewirkten) Abstoßung wird ›normaler‹ Druck sowie normale gravitative Anziehung.
3.6 Fluktuationen
In durch
in einer Dimension begrenzten räumlichen Gebieten schwankt der Impuls mindestens so um
, daß die Unschärferelation
zwischen Ort und Impuls erfüllt ist. Analoges gilt für Zeitspannen
und die Schwankungen der Energie
, nämlich
. Größere Schwankungen als die durch die Unschärferelation erforderlichen sind zwar möglich, ihre Wahrscheinlichkeit nimmt aber mit ihrer Größe so ab, daß die Unschärferelationen faktisch auch als
und
geschrieben werden können.
Die Unschärferelation zwischen Energie und Zeit wird häufig passend so umschrieben, daß das Vakuum Energie ›verleiht‹ – viel für lange, wenig für kurze Zeit. Den Gesamtwert der elektrischen Ladung und anderer Ladungen können die Schwankungen nicht ändern, so daß Teilchen (die nicht, wie das Photon, mit ihrem Antiteilchen identisch sind) nur als Teilchen-Antiteilchen-Paare in Fluktuationen auftreten können. Das aber können und müssen sie. Je größer die Masse eines Teilchens ist, desto mehr Energie erfordert seine schiere Existenz, so daß Fluktuationen, die es enthalten, desto kurzlebiger sein müssen.
Den im Vakuum fluktuierenden Teilchen fehlt nichts als Energie, die sie nicht wieder hergeben müssen, um zu realen Teilchen zu werden. Diese stellen die Maschinen der Elementarteilchenphysik zur Verfügung. In einem einfachen Fall trifft ein energiereiches Photon auf ein im Vakuum verborgenes ›virtuelles‹ Elektron-Positron-Paar, überträgt seine Energie auf dieses und erhebt es dadurch zu einem Paar real existierender Teilchen (siehe Abb. 8 ). Beschleuniger, in denen Teilchen auf Antiteilchen geschossen werden, kehren die Vakuumfluktuationen um. Teilchen und Antiteilchen vernichten einander zunächst gegenseitig zu einem Kuddelmuddel aus reiner Energie, die dann den im Vakuum fluktuierenden Teilchen zu realer Existenz verhilft. Die Reaktionsprodukte weisen die Experimentatoren an Beschleunigern wie dem Large Electron Positron Ring (LEP) am CERN in Genf in ihren Detektoren nach.
3.7 Casimir-Effekt
Den unbegrenzten ›leeren‹ Raum erfüllen auch bei der Temperatur
Schwankungen des elektromagnetischen Feldes mit kontinuierlich vielen Wellenlängen zwischen Null und Unendlich. In elektrische Leiter können elektromagnetische Wellen nicht eindringen, so daß sie an Leiteroberflächen Knoten besitzen: Sie werden von den Oberflächen reflektiert und üben deshalb Druck auf sie aus. Angenommen nun, zwei elektrisch neutrale leitende Wände – zwei Metallplatten, Spiegel also für elektromagnetische Wellen, die von diesen einen Rückstoß erfahren – stehen einander im ansonsten ›leeren‹ Raum gegenüber (siehe Abb. 9a ). Dann können zwischen den Platten nur jene Nullpunktsschwingungen auftreten, deren Wellenlängen dem Zwischenraum angepaßt sind. Von außen aber branden Nullpunktsschwingungen mit beliebigen Wellenlängen an die Platten heran. Sie üben, weil zahlreicher, mehr Druck auf die Platten aus als die von innen: Die Platten werden aufeinander zugetrieben; sie ziehen sich, anders gesagt, an. Die Abb. 9b veranschaulicht diesen Effekt durch eine sich nach rechts ins Unendliche erstreckende schwingungsfähige Saite, die an ihrem Anfangspunkt sowie an einem anderen Punkt eingespannt ist.
Bemerkt sei, daß dieses anschauliche Argument mit Vorsicht verwendet werden muß, weil es zwei unendliche Größen voneinander abzieht – den Innen- von dem Außendruck, die beide bei kurzen Wellenlängen divergieren. Daß die Komplikationen, die das Unendliche bringt, bei der Reflexion elektromagnetischer Wellen an Oberflächen ernst genommen werden müssen, zeigt bereits die Tatsache, daß bei manchen komplizierteren Geometrien als der von zwei einander gegenüberstehenden Platten der Gesamtdruck der elektromagnetischen Wellen auf Abstoßung statt auf Anziehung führt. Tatsächliche Berechnungen der Kraft zwischen leitenden Körpern im vermeintlich leeren Raum verwenden denn auch statt der Impulse der Wellen ihre Energiedichten. Auch hierbei sind zwei gegenläufige, einzeln unendliche Effekte voneinander abzuziehen. Erstens wird die Energie bei einer Verminderung des Plattenabstandes dadurch erhöht, daß Innenraum durch energiereicheren Außenraum ersetzt wird. Zweitens sinkt dabei die Energiedichte im Innenraum, weil abermals weniger Wellenlängen in ihn hineinpassen. Die Endformel aber für die Kraft
, mit der sich zwei im Abstand
parallel stehende, ungeladene elektrisch leitende Platten pro Querschnittsfläche
anziehen,
ist bemerkenswert einfach: Neben reinen Zahlen enthält sie nur die Naturkonstanten
und
. Deren Auftreten zeigt, daß Quantenmechanik und Relativität zusammen für die Anziehung verantwortlich sind.
Die Existenz dieses Effektes hat der niederländische theoretische Physiker H.B.G. Casimir im Jahr 1948 vorausgesagt; experimentell nachgewiesen, allerdings mit großen Fehlern, wurde er zehn Jahre später durch M. J. Sparnaay. Erst 1997 ist ein überzeugender Nachweis mit kleinen Fehlern gelungen (siehe [29]).
3.8 Die übergroßen Beiträge der Vakuumenergie der Elementarteilchen zur effektiven kosmologischen Konstante
Jedes System, das mit einer Frequenz
schwingen kann, besitzt in seinem Zustand niedrigster Energie die Energie
. Damit der Zustand niedrigster Energie Lorentz-invariant sei, sind die hieraus folgenden Beiträge zu dem Energie-Impuls-Tensor
zur Metrik
proportional und tragen deshalb zu der kosmologischen Konstante
bei. Tatsächlich liefert das
eines jeden Elementarteilchens einen abschätzbaren Beitrag zu
. Der Beitrag von Bosonen ist positiv, der von Fermionen negativ, und es sei erwähnt, daß in der ungebrochenen Supersymmetrie, in der Bosonen und Fermionen gepaart auftreten, die Summe der Beiträge aller Teilchen zu
Null ist. Weil aber in der wirklichen Welt die ungebrochene Supersymmetrie nicht gilt, sind wir mit der Tatsache konfrontiert, daß es viele Beiträge zu
gibt, die – sozusagen – nichts voneinander wissen. Die Abschätzungen ergeben, daß der Betrag eines jeden von ihnen die experimentelle Obergrenze für den Betrag von
um etwa
Größenordnungen übersteigt.
Auf den ersten Blick ist das nicht weiter schlimm, weil Einsteins eigentliche kosmologische Konstante so gewählt werden kann, daß sie die Summe dieser Beiträge aufhebt. Zu Bedenken veranlaßt aber, daß hierzu eine Feinabstimmung zahlreicher, nach heutigem Verständnis unabhängiger Beiträge erforderlich ist, die
Stellen weit reicht. Etwas derartiges kennt die Physik nicht, und deshalb liegt der Schluß nahe, daß eine noch unbekannte ›Neue Physik‹ einen kleinen Wert der gesamten kosmologischen Konstante erzwingt ([31]).
3.9 Vakuumpolarisation
In den vermeintlich leeren Raum, in dem elektrisch geladene Teilchen und ihre Antiteilchen mit der Gesamtladung Null herumschwirren, werde eine reale elektrische Ladung eingebracht; zum Beispiel eine positive. Unter deren Einfluß werden sich die im Vakuum verborgenen Ladungen neu ordnen, so nämlich, wie es die Abb. 10a zeigt: Die eingebrachte positive Ladung zieht die negativen Ladungen des Vakuums an und stößt die positiven ab; im zeitlichen Mittel bildet sich die Ladungsverteilung der Abbildung a heraus. Innerhalb einer Kugelschale um die zentrale positive Ladung befinden sich also immer mehr negative als positive Ladungen, so daß das Feld des polarisierten Vakuums das Feld der eingebrachten Ladung schwächt. Diese selbst ist größer als die in einigem Abstand beobachtete: Je näher wir der Ladung in der Mitte kommen, desto größer ist die Ladung, die wir beobachten.
Der Effekt tritt auf, weil sich die virtuellen Ladungen im Vakuum während ihrer Existenz bewegen können. Nun sind die Lebensdauern und die Bewegungsmöglichkeiten schwerer virtueller Teilchen in einer Fluktuation geringer als die leichter, so daß Elektronen und Positronen als leichteste geladene Teilchen eine in das Vakuum eingebrachte Ladung am stärksten abschirmen werden. Schwere Teilchen, die in einer Fluktuation mit bestimmter Energie auftreten, können deshalb weniger weit fliegen als leichte, weil ihre schiere Existenz erstens mehr Energie erfordert, die ihnen als kinetische Energie nicht zur Verfügung steht, und weil sie sich zweitens bei derselben kinetischen Energie langsamer bewegen.
Was wir landläufig die Ladung eines Protons nennen und in das Coulomb-Gesetz eintragen, ist die vollständig durch virtuelle Paare abgeschirmte Ladung in der Entfernung unendlich. Das Abnehmen der Abschirmung bei Annäherung an das Proton wirkt sich zum Beispiel auf die Elektron-Proton-Streuung aus: Um so mehr, je näher das Elektron und das Proton sich kommen. Gäbe es die virtuellen Paare geladener Teilchen und ihrer Antiteilchen nicht, müßten nur die virtuellen Photonen bei der Berechnung der Streuung berücksichtigt werden; den einfachsten derartigen Feynman-Graphen zeigt die Abb. 10b . Wird in die ihm entsprechende Formel zur Berechnung der Streuung als Ladung des Elektrons
und als die des Protons
eingetragen, kann die Streuung von Elektronen an Protonen bis hin zu jener Energie berechnet werden, bei der das Elektron dem Proton so nahe kommt, daß individuelle virtuelle Ladungen aus dem Rauschen aller herauszutreten beginnen. Oberhalb dieser Energie müssen Feynman-Graphen mit Teilchen-Antiteilchen-Paaren berücksichtigt werden, die auf deren Existenz im vermeintlich leeren Raum beruhen (siehe Abb. 10c ).
Wegen der Vakuumpolarisation durch elektrisch geladene Teilchen nimmt die Stärke der elektrischen – allgemeiner: der elektroschwachen – Wechselwirkungen mit abnehmendem Abstand, also wachsender Energie, zu. Bei der starken ›Farb‹-Wechselwirkung ist es umgekehrt: Ihre virtuellen Teilchen, die Quarks und Gluonen, polarisieren das Vakuum so, daß ihre Stärke zunimmt, wenn der Abstand größer, die Energie also kleiner wird. Hierauf beruht sowohl die asymptotische Freiheit der starken Wechselwirkung, die es ermöglicht, bei großen Energien Störungsrechnung zu betreiben, als auch deren ›infrarote Sklaverei‹, die den Zusammenhalt von Quarks und Gluonen in Elementarteilchen bewirkt, die keine Farbe tragen. Die qualitativen Unterschiede der elektroschwachen und der starken Wechselwirkung beruhen vor allem darauf, daß die Austauschteilchen der elektroschwachen Wechselwirkungen die Ladungen, an denen sie angreifen – bei den Photonen sind das die elektrischen Ladungen – nicht selbst tragen. Die Farbladungen aber, an denen die Austauschteilchen der starken Wechselwirkung, die Gluonen, angreifen, tragen auch diese selbst.
Insgesamt kennt die Physik zahlreiche Effekte, zu deren Berechnung mit hoher Genauigkeit die Beiträge der virtuellen Teilchen sowohl erforderlich sind als auch ausreichen. Zu nennen sind hier insbesondere die Eigenschaften von Elektronen als einzelne Teilchen oder als Bestandteile von Atomen. Spektakulär ist der Erfolg der Berechnung des anomalen magnetischen Moments des Elektrons: Das theoretische Ergebnis stimmt mit einer Genauigkeit von mehr als 11 signifikanten Stellen innerhalb der Fehler mit dem experimentellen überein. Das magnetische Moment des Myons ist experimentell etwas weniger genau bekannt. Ich erwähne es als Beispiel für die Abhängigkeit der Größe von Vakuumbeiträgen von der Masse der beitragenden virtuellen Teilchen. Wie die Elektronen sind auch die Myonen einfach elektrisch geladen und besitzen den Spin
. Die dicke durchgezogene Linie des Feynman-Graphen der Abb. 11 stellt das Myon dar, die Wellenlinien stehen für Photonen, und als Teilchen der umlaufenden dünnen Linie kann irgendein elektrisch geladenes Teilchen gewählt werden. Das Kreuz an der äußeren Photonenlinie deutet an, daß der Graph einen Beitrag zu den elektromagnetischen Eigenschaften des Myons liefert. Zur vollständigen Berechnung dieses Beitrags muß die Summe der Beiträge aller umlaufenden virtuellen Teilchen gebildet werden. Es zeigt sich nun, daß der Beitrag des leichtesten beitragenden Teilchens, des Elektrons, alle anderen Beiträge weitaus übertrifft.
Zu den bisher experimentell nicht nachgewiesenen Effekten, welche die Existenz virtueller Elektron-Positron-Paare ermöglicht, gehört die Paarbildung in starken Feldern ([12]). Träte sie auf, wäre sie – wie bereits das Higgs-Phänomen – ein Beispiel dafür, daß die spontane Entstehung von ›Etwas‹ aus ›Nichts‹ mit Energiegewinn einhergehen kann. Anders als beim Higgs-Phänomen ist bei der Paarbildung in starken Feldern von vorne herein klar, woher die freigesetzte Energie kommt: aus eben den starken Feldern, in denen die Paare entstehen, und die durch sie abgebaut werden.
Gegeben sei eine große positive, in einem engen Raumgebiet konzentrierte elektrische Ladung (siehe Abb. 12 ). Ein Beispiel könnte ein Ladungsklecks mit der elektrischen Ladung von zwei Kernen des Atoms Uran sein, insgesamt also 184 Elementarladungen. Solch ein Ladungsklecks kann entstehen, wenn Urankerne mit so großer Energie aufeinander geschossen werden, daß sie trotz ihrer gegenseitigen Abstoßung auf Grund ihrer elektrischen Ladung einander durchdringen und für eine gewisse Zeit zusammenbleiben.
Nun kann bei geeignet gewähltem Kern wie Doppeluran der Energieunterschied zwischen ihm nebst seinem elektrischen Feld und dem Atom, das aus demselben Kern, einem Elektron und dem dazugehörigen Feld besteht, größer sein als die Energie, welche gemäß Einsteins
ein Elektron und ein Positron für ihre Existenz benötigen. Dann wird es sich energetisch auszahlen, wenn in oder aus dem elektrischen Feld des Kerns ein insgesamt elektrisch neutrales Elektron-Positron-Paar entsteht, das Elektron sich mit dem Kern zu einem Atom verbindet und das Positron ins Unendliche entweicht. Genaue Berechnungen dieses Prozesses, die über die Konsequenzen der Erhaltung von Energie, Impuls und Drehimpuls sowie die Unschärferelation hinausgingen, sind schwierig, weil die Anwendung der Quantenelektrodynamik als zugehöriger Theorie voraussetzt, daß das Produkt der Ladung des Kerns und der Feinstrukturkonstante
deutlich kleiner als 1 ist – während die Energiebilanz des Prozesses das Gegenteil verlangt. Jedenfalls wäre der Nachweis eines Prozesses, bei dem ein Teilchen-Antiteilchen-Paar spontan aus dem physikalischen Vakuum entstünde, eine weitere schöne Illustration dessen, daß das Vakuum nicht leer, sondern mit fluktuierenden Teilchen angefüllt ist.
3.10 Ausblick
Endgültiges über den Raum, der so leer ist wie mit den Naturgesetzen vereinbar, wird sich erst sagen lassen, wenn wir über die heute noch unbekannte vereinigte Theorie von Allgemeiner Relativität und Quantenmechanik verfügen. Denn die von der Quantenmechanik geforderten Schwankungen von Energie und Impuls müssen nicht nur für Objekte in Raum und Zeit gelten, sondern auch für Raum und Zeit selbst. Um das einzusehen, brauchen wir uns nur zu vergegenwärtigen, daß die Krümmungen von Raum und Zeit von der Energieverteilung abhängen und folglich mit ihr fluktuieren. Also liefern auch sie, wie bereits die Elementarteilchen und ihre Felder, Beiträge zur effektiven kosmologischen Konstante, wobei eine noch unbekannte tiefliegende Symmetrie Verknüpfungen zwischen den einzelnen Beiträgen herstellen muß. Denn es wäre gar zu seltsam, wenn die erforderliche gegenseitige Aufhebung nur auf einem grandiosen Zufall beruhte.
Einsteins eigentliche kosmologische Konstante bleibt als Rest, wenn die Beiträge aller Teilchen herausgerechnet wurden. Sie hängt von dem möglichen Inhalt des Universums in keiner Weise ab, weil sie sozusagen mit dem Universum geboren wurde: Wie die Lichtgeschwindigkeit
, das Wirkungsquantum
und die Gravitationskonstante
ist Einsteins eigentliche kosmologische Konstante eine Naturkonstante in dem Sinn, daß sie bereits in den Naturgesetzen auftritt. Denkbar ist natürlich, daß zwischen den vier Größen eine gesetzmäßige Beziehung besteht. Die Aufdeckung solcher Beziehungen gehört seit je zu dem Heiligen Gral der Physik.
Literatur:
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[14] H. Hertz, Die Constitution der Materie, Springer, Berlin, 1999.
[15] A. Zichichi (Hrsg.), Vacuum and Vacua – The Physics of Nothing, World Scientific, Singapore, 1996.
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[30] O.v. Guericke, Neue (sogenannte) Magdeburger Versuche über den leeren Raum, VDI-Verlag, Düsseldorf, 1968.
[31] S. Weinberg, The cosmological constant problem, Rev. Mod. Phys., 61(1):1, 1989.
Vakuum 1: Die Abbildung zeigt, wie der Wasserheber des Empedokles – eine Klepshydra – funktioniert. Wir können seine Beobachtung in vier Schritte zerlegen. Ist a) der Hals der eingetauchten Klepshydra geschlossen, dringt kein Wasser durch die Löcher am Boden in sie ein. Wird b) der Hals geöffnet, geschieht gleichzeitig zweierlei: Wasser tritt von unten ein, und Luft entweicht nach oben als ›dichtgedrängter Strom‹, wie Empedokles schreibt ([3], S. 227). Daraus schließt er, daß die Luft eine Substanz und nicht leerer Raum ist. Denn Luft und Wasser können sich nicht gleichzeitig in demselben Raum befinden. Die dritte Teilbeobachtung ist spektakulär. Sie hat das Klepshydra-Experiment für 2000 Jahre berühmt gemacht: Wird c) die mit Wasser gefüllte Klepshydra bei wieder geschlossenem Hals aus dem Wasser gehoben, verbleibt das Wasser in ihr. Erst wenn die obere Öffnung freigegeben wird, fließt d) das Wasser heraus und ›stürmt die Luft brausend mit wildem Schalle‹ nach. Verkennt man die Rolle des äußeren Luftdrucks, oder weiß man nichts von ihm, kann man den Eindruck gewinnen, die Natur setze der Entstehung eines leeren Raumes Widerstand entgegen.
Vakuum 2: Das Experiment, durch das Torricelli auf Anregung Galileis gezeigt hat, daß es luftleeren Raum geben kann: Ein gut 80 Zentimeter langes Rohr wird mit Quecksilber gefüllt, zugehalten, mit seiner Mündung in eine Schale mit Quecksilber getaucht und aufrecht gestellt. Wird die Öffnung des Rohres freigegeben, fließt Quecksilber aus ihm in die Schale. Aber nicht alles – der Quecksilberspiegel im Rohr kommt in (etwa) 76 Zentimeter Höhe über dem in der Schale zur Ruhe. Am Ende ist über dem Quecksilber im Rohr ein luftleerer Raum entstanden, an dem es zu hängen scheint. Tatsächlich hängt das Quecksilber nicht am luftleeren Raum, sondern wird vom äußeren Luftdruck, der auf dem Quecksilberspiegel lastet, getragen. Über die Natur des in der Abbildung als Vakuum bezeichneten Raumes läßt sich sicher nur soviel sagen, daß alles, was er außer Quecksilberdämpfen und ähnlichem enthalten sollte, nur durch das Quecksilber und/oder Glas in ihn hinein gekommen sein kann. Hören wir dazu den gläubigen Plenisten Leonhard Euler([13], S. 23): ›Dieser bloß scheinbare leere Raum ist gewiß mit Äther erfüllt, der ohne Schwierigkeiten hineinkommt.‹ Weil Wasser um den Faktor 13 spezifisch leichter ist als Quecksilber, entsprechen den 76 Zentimeter Standhöhe Quecksilber ungefähr 10 Meter Standhöhe Wasser. Der qualitative Unterschied der Ergebnisse von Empedokles und Torricelli beruht also einfach auf diesem quantitativen: Wäre der Hals der Klepshydra nur(!) gut 10 Meter lang gewesen, hätte Empedokles den von Torricelli entdeckten Effekt vorweg genommen.
Vakuum 3: Blaise Pascal folgert aus dem Ergebnis von Torricelli, daß bei hohem Luftdruck das Quecksilber höher stehen müsse als bei niedrigem – und erfindet so das Barometer und den Höhenmesser. Zur experimentellen Erprobung veranlaßt er seinen Schwager Perrier, das Torricelli-Experiment gleichzeitig an der tiefsten Stelle von Clermont-Ferrand und, 850 Meter höher, auf dem benachbarten Berg Puy de Dome durchführen zu lassen – mit dem erwarteten Ergebnis, daß bei dem niedrigeren Luftdruck auf dem Berg das Quecksilber dort niedriger steht als im Tal.
Vakuum 4: Otto von Guericke, der Erfinder der Luftpumpe, ist für seinen Versuch mit den Magdeburger Halbkugeln im Jahr 1654 auf dem Reichstag in Regensburg noch heute berühmt. Die zusammengesetzten, luftleer gepumpten Halbkugeln können 16 Pferde – auf jeder Seite 8 – nicht auseinanderziehen. Läßt er aber Luft eintreten, kann er die Halbkugeln ohne nennenswerten Kraftaufwand voneinander trennen. Selbstverständlich – hätte er die eine Halbkugel an einen Baum gebunden, und 8 Pferde an der anderen ziehen lassen, wäre auf die Kugeln derselbe Zug ausgeübt worden. Ich weiß nicht, ob er das wußte. Auf jeden Fall war der Versuch mit 16 Pferden statt 8 spektakulärer.
Vakuum 5: a) Ein mit Luft gefüllter Behälter oberhalb des absoluten Nullpunkts der Temperatur von -273 Grad Celsius enthält Moleküle und Wärmestrahlung. b) Wenn wir die Moleküle mit einer idealen Pumpe entfernen, bleibt die Wärmestrahlung. c) Der Raum, der bleibt, wenn wir die Temperatur in Gedanken auf die unerreichbare Temperatur von -273 Grad absenken, ist das physikalische Vakuum: Ihm haben wir alles entnommen, das wir ihm im Einklang mit den Naturgesetzen entnehmen können.
Vakuum 6: Elektrisch negativ geladene Teilchen (Elektronen) und deren positiv geladenen Antiteilchen (Positronen) treten in einer Energiefluktuation des ›leeren‹ Raumes zugleich an derselben Stelle auf, fliegen ein Stück, kommen wieder zusammen und verschwinden dadurch, daß sie sich gegenseitig vernichten. Nicht dargestellt, aber vorhanden sind Photonen, Gluonen, Teilchen-Antiteilchen-Paare von Quarks sowie anderen Teilchen und Objekten für Zeiten, die mit deren zunehmenden Massen abnehmen.
Vakuum 7: Feynman-Diagramm des Übergangs von einem Photon, dargestellt durch die Wellenlinie, zu einem Elektron-Positron-Paar. Auf Grund der Energie- und Impulserhaltung können in dem Prozeß nicht alle drei Teilchen reell sein.
Vakuum 8: Eine direkte Methode, den im Vakuum fluktuierenden Teilchen dauerhaft die Energie zur Verfügung zu stellen, die sie brauchen, um zu realen Teilchen zu werden, ist der Beschuß von Materie mit energiereichen Photonen. Die Abbildung zeigt eine Blasenkammeraufnahme von einem derartigen Erzeugungsprozeß. Am Ursprungsort der drei Spuren ist ein Photon, das als elektrisch neutrales Teilchen in der Blasenkammer keine Spur hinterläßt, mit dem Elektron eines Wasserstoffatoms zusammengestoßen. Die wenig gekrümmte Spur ist die des angestoßenen Elektrons, die stark gekrümmten sind die des dabei aus dem Vakuum hervorgehobenen Elektron-Positron-Paares. Die ganze Apparatur befindet sich in einem starken Magnetfeld, das die Bahnen der elektrisch geladenen Teilchen krümmt.
Vakuum 9: a) Zwischen elektrisch leitenden Platten können sich nur elektromagnetische Wellen ausbilden, die Knoten an den Oberflächen der Platten besitzen; im Außenraum sind hingegen Wellen mit beliebigen Wellenlängen möglich. Dies veranschaulicht b) durch mögliche und unmögliche Schwingungen einer einseitig unendlichen Saite, die an ihrem Ende und an einem anderen Punkt eingespannt ist: Die oberen drei Schwingungen sind sowohl im Außen- als auch im Innenraum möglich, die beiden unteren nur im Außenraum.
Vakuum 10: Eine in das Vakuum eingebrachte elektrische Ladung zieht die im Vakuum fluktuierenden Ladungen mit entgegengesetztem Vorzeichen an und stößt die mit dem gleichen ab. Dadurch polarisiert sie das Vakuum (a): Die Ladungswolke schwächt das Feld der ins Vakuum eingebrachten Ladung. Die Wellenlinien der Abbildungen (b) und (c) stellen Photonen dar, die an elektrisch geladene Teilchen koppeln. Die Bedeutung der Abbildungen beschreibt der Text.
Vakuum 11: Feynman-Diagramm eines Beitrag virtueller Elektron-Positron-Paare zu dem Magnetischen Moment des μ (×: Ankopplung an ein äußeres Feld).
Vakuum 12: a) Spontane Bildung eines realen Elektron-Positron-Paares aus einem virtuellen im starken elektrischen Feld einer großen positiven Ladung. b) Einmal erzeugt, bildet das Elektron mit der großen positiven Ladung ein Atom; c) das Positron wird emittiert. Die dadurch frei werdende Energie des elektrischen Feldes der großen positiven Ladung ist größer als die nach Einsteins
in Energie umgerechnete Masse des Elektron-Positron-Paares.
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