Lexikon der Psychologie: AIDS
AIDS, Abk. für Aquired Immune Deficiency Syndrome, ist eine durch ein Retrovirus hervorgerufene schwere Schädigung des Immunsystems, deren unterschiedliche Krankheitsbilder Anfang der 80er Jahre erstmals beschrieben wurden. Opportunistische Infektionen mit Pilzen, Bakterien und Viren in unterschiedlichen Organsystemen sowie Tumore wie das Kaposi-Sarkom sind die Folge der Infektion mit HIV (Human Immunodeficiency Virus). Dieses das Immunsystem schädigende Virus wurde 1983 von Luc Montagnier entdeckt. In Nordamerika und Europa infizieren sich hauptsächlich homosexuelle Männer und intravenöse Drogenbenutzer, für Afrika und Asien gilt dies nicht.
AIDS ist eine durch Sexualkontakt übertragbare Krankheit. Bei kontaminiertem Blut ist eine Übertragung durch Spritzenaustausch, Nadelstichverletzungen sowie Bluttransfusionen ebenfalls möglich. HIV-infizierte Mütter können während der Schwangerschaft bzw. während der Geburt und beim Stillen die Infektion an ihr Kind weitergeben. Andere Übertragungswege sind nach dem heutigen Stand der Wissenschaft definitiv auszuschließen.
Das HI-Virus gehört zur Gruppe der Retroviren. Auf der RNA trägt es seine genetische Information. Für seine Vermehrung in der menschlichen Wirtszelle wird das Enzym reverse Transkriptase benötigt, das die Erbinformation in proteincodierende DNA umschreibt. Diese Entdeckung war wesentlich für die Entwicklung von Medikamenten.
Vor der Benennung AIDS wurde die Krankheit GRID (Gay Related Immune Deficiency) genannt. Diese Assoziation auf Homosexualität und einen bestimmten damit verbundenen Lebensstil (Promiskuität) hatte einen gesellschaftlichen Umbruch zur Folge. Selbsthilfegruppen schwuler Männer entstanden in Nordamerika und zeitversetzt in Europa, die sich mit Informationssuche, Prävention, Beratung und Betreuung Infizierter und Kranker und der gesellschaftlichen Anerkennung von andersartigen Lebensstilen beschäftigten. Heute gibt es in jeder größeren Stadt AIDS-Hilfen mit dem Dachverband Deutsche AIDS-Hilfe in Berlin.
Bis Mitte der neunziger Jahre erkrankten viele der Infizierten und starben. Die Unzulänglichkeit der medizinischen Hilfsmöglichkeiten sowie die lautstarken Forderungen der Betroffenen nach Hilfe erbrachten eine Verzahnung von medizinischer und psychosozialer Hilfe. Testberatung, Krisenintervention, kurzzeitige Psychotherapie, Begleitung des Lebens und Sterbens (Sterbebegleitung) sind Hauptaufgaben von Psychologen und anderen sozialen Berufen. Unter dem wissenschaftlich erwiesenen Gesichtspunkt, daß Streß das Immunsystem schädigen kann (Psychoneuroimmunologie), bekamen Psychotherapieverfahren und Entspannungstechniken zusätzlich Bedeutung.
Auf der medizinischen Seite wurden Testverfahren zur Erkennung von HIV-Antikörpern (1985) entwickelt, nach einem Impfstoff geforscht und antiretrovirale Medikamente entdeckt, die den Replikationsprozeß von HIV hemmen. Mit der Kombination verschiedener antiretroviraler Medikamente gelang es, die Schädigung des Immunsystems aufzuhalten und teilweise rückgängig zu machen. Dem Eindruck des Wundermittels wirkt die Realität bei den Patienten entgegen. Das hochkomplizierte Medikamentengefüge erfordert eine bestimmte Patientenpersönlichkeitsstruktur und greift in das Autonomiebewußtsein empfindlich ein. Auch beträchtliche mögliche Nebenwirkungen, wie Fettstoffwechselstörungen und Diabetes, sind zu benennen, außerdem die Gefahr von Resistenzentwicklungen bei lebenslanger Einnahme. Zur Zeit versucht die Forschung die Einnahme der Medikamente zu vereinfachen, damit mehr Betroffene davon profitieren können.
Prävention entwickelte sich rasch über den Anspruch des Informierens hinaus. Die massenmedialen, nicht zielgruppenspezifischen Kampagnen wurden abgelöst und ergänzt durch personalkommunikative Maßnahmen. HIV-Prävention kann nur gelingen, wenn sie Teil der Sexualpädagogik wird und die Auseinandersetzung mit den Lebensumständen der Hauptbetroffenengruppen nicht scheut und den gesellschaftlichen Umgang mit Homosexualität und Abhängigkeiten hinterfragt.
Das Wissen um ein positives Testergebnis hat für viele Patienten unabsehbare Folgen. Deshalb muß in der Testberatung geklärt sein, ob der Patient den Test selber wünscht. Die Aussagekraft und die Folgen beider möglichen Testergebnisse sollen in einer Beratung mit dem Testwilligen erarbeitet und eine Risikoanamnese erhoben werden. Bei negativem Testergebnis werden Präventionsmaßnahmen im Umgang mit Sexualität im Vordergrund stehen. Bei einem positiven Testergebnis sollte eine intensive Beratung obligatorisch sein.
Der Begriff AIDS-Phobie bezeichnet eher eine AIDS-Hypochondrie. Die für eine Phobie typischen Objekt- und Beziehungsängste fehlen. Als innerpsychische Ursachen kommen Schuldgefühle im Zusammenhang mit der eigenen Sexualität in Frage (Seitensprung, Bordellbesuch). Eine psychotherapeutische Behandlung ist dringend notwendig, wobei der Weg vom Arzt (häufige unbegründete HIV-Antikörper-Testwünsche) zum Psychotherapeuten schwierig ist.
In Europa und Nordamerika, wo genügend Geld für eine zielgerichtete Prävention und die Bereitstellung der lebensverlängernden Medikamente vorhanden ist, überleben Infizierte lang und die Ausbreitung des Virus wird nachhaltig gehemmt. In Afrika und Asien, wo dieses Geld nicht vorhanden ist bzw. nicht aufgewendet werden kann, verbreitet sich das Virus ungehemmt. Einen Impfstoff gibt es derzeit nicht. AIDS ist somit weltweit bereits zu einer Krankheit der Armut und der Armen geworden.
S.Z.
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