Lexikon der Psychologie: Amok
Amok, ein ursprünglich aus dem Malaiischen stammender Begriff (amuk), der dort soviel wie "im Kampf sein Letztes geben" bedeutet und exzessive Gewalttaten bezeichnet, bei denen in der Regel scheinbar wahllos Menschen umgebracht oder verletzt werden und der oder die Täter dabei den eigenen Tod billigend in Kauf nehmen oder sich hinterher selbst töten.
Im 16. Jahrhundert wurden die weltreisenden Europäer erstmals mit der sie sehr erschreckenden Kampftaktik malaiischer Krieger konfrontiert, die sich in eigener Todesverachtung und mit dem Kampfschrei "amuk" auf die Eindringlinge stürzten, so daß diese aufgrund des so gezeigten Todesmutes oft in die Flucht geschlagen werden konnten. Von Captain James Cook wurden Ende des 18. Jahrhunderts in Malaysia ähnliche Formen solchen Gewaltverhaltens dann als Einzeltaten i.S. des Protestes gegen herrschende Despoten beschrieben, die dann durchaus noch als Heldentaten angesehen wurden. Insgesamt gab es eine gewisse, nahezu religiöse Verehrung solcher "Todeskrieger" in den unterschiedlichsten Kulturen. Da die Tatmotive sich mit der Zeit aber immer mehr individualisierten, verschob sich das Bild des Amokläufers in den verschiedenen Kulturen vom Helden immer mehr zum offenkundlich seelisch Kranken. Auch im DSM-IV (Diagnostisches und Statistisches Manual psychischer Störungen) wird Amok als kulturgebundenes psychiatrisches Krankheitssyndrom aufgeführt, so daß der Eindruck entsteht, es gäbe ein einheitliches, eindeutig abgrenzbares Krankheitsbild. Die allgemein feststellbaren psychopathologischen Gemeinsamkeiten untersuchter Amoktaten ergeben in der Regel folgendes Ablaufbild: Im Prodromalstadium erfolgt ein deutlicher sozialer Rückzug der Täter, wobei auch der Kontakt zur Realiät verloren geht, dann kommt es zu den eruptiven, exzessiven Gewalthandlungen und im Nachhinein zu depressiven und amnestischen Zuständen bezüglich des Tatausbruchs und der einzelnen Tathandlungen. Bezüglich der psychopathologischen Charakterisierungen der Täter gibt es auch Übereinstimmungen in der kontrovers geführten internationalen Fachdiskussion, allerdings fehlen hier noch mehr valide und reliable Daten zu den Tätern selbst – wegen der geringen Zahl lebend gefaßter Amoktäter. Gegenwärtig besteht allgemein Konsens dazu, daß es sich bei den Tätern in der Regel um narzißtische oder Borderline-Persönlichkeitsstörungen handelt, die folgende Wesensmerkmale aufweisen: geringe Frustrationstoleranz, Ich-Schwäche, Identitätsunsicherheiten, sexuelle Störungen, berufliche Überanpassung, Waffenfanatismus, häufige Wechsel in sozialen Beziehungen, passiv-aggressive Neigungen und Impulskontrolldurchbrüche. Insofern kann allgemein von Impulskontrollstörungen oder dissoziativen Störungen im Zusammenhang mit Amoktaten gesprochen werden.
Aktuelle deutsche Untersuchungen lassen annehmen, daß jede zweite Amoktat durch akut psychisch kranke Täter verursacht wird, die z.B. akut paranoid-schizophren oder anderweitig eindeutig erkrankt sind. Forensisch muß die Bewertung der Amoktat als Folge einer tiefgreifenden Bewußtseinsstörung diskutiert werden. Trotz der i.d.R. gut vorgeplanten und vorbereiteten Taten, die meist zur inneren Befriedigung und zum Spannungsaufbau mehrfach auch vorphantasiert wurden, ist der Tatauslöser oft allerdings eher kurzfristig und überraschend wie der letzte Wassertropfen, der das Wasserfaß zum Überlaufen bringt. Im Tatablauf wirkt der Täter nach außen praktisch emotionslos, und die Handlungen erscheinen völlig kontrolliert. Inwieweit sich hier die strafrechtliche Verantwortlichkeit der Täter allerdings wirklich einschränkt, müßte in jedem Einzelfall dann tatsächlich zu prüfen sein. Denn wenn die Zerstörungsabsicht, also der Tötungsvorsatz, in einem Zustand getroffen wurde, der bezüglich Entscheidungs- und Handlungskontrolle noch weitestgehend affektiv (tiefgreifend) unbeeinträchtigt war oder auch keine krankheitswerte Geistesstörung vorgelegen hatte, so könnte der spätere Kontrollverlust bei der Tatausübung weit weniger gravierend und damit dann auch weniger entscheidungsrelevant für die strafrechtliche Tatbewertung angesehen werden.
U.W.
Literatur
Knecht, T. (1998). Amok – Transkulturelle Betrachtungen über eine Extremform menschlicher Aggression. Kriminalistik, 52 (10), 681-684
Spors, J.C. (1988). Running Amok. Ohio University-Monographs in International Studies. Southeast Asia Series, No. 82.
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