Lexikon der Psychologie: Dogmatismus
Dogmatismus, die wohl bekannteste Alternative zur Theorie der autoritären Persönlichkeit von Adorno et al. (1950), von Milton Rokeach entwickelte Konzeption. Seine Theorie ist eine kognitive Strukturtheorie, die zwei Aufgaben übernehmen soll: Zum einen sollen Ideologien jedweder Art mit dieser Konzeption auf das Ausmaß ihrer Dogmatismus-Neigung untersucht werden können, wozu es erforderlich ist, die Strukturen der kognitiven Systeme aufzudecken, nicht aber die jeweils konkreten Inhalte, die je nach Ideologie sehr verschieden sein können. Zum anderen soll anstelle der psychoanalytischen Konzeption, wie sie in der Theorie der autoritären Persönlichkeit vorrangig war, eine kognitive Theorie treten, deren Elemente die zu Systemen verknüpften "beliefs" (Überzeugungen) sind. Das Insgesamt an Überzeugungen, Erwartungen und Einstellungen einer Person ist in zwei Überzeugungssystemen abgespeichert. Im "belief system" sind alle diejenigen Überzeugungen enthalten, die die Person für gut, wahr und richtig hält, während im "disbelief system" alles das enthalten ist, was abgelehnt wird, wobei das "disbelief sytem nach Ansicht von Rokeach nicht aus einzelnen "disbeliefs" besteht, sondern aus Subsystemen von "beliefs".
Alle Systeme lassen sich, neben ihrer belief-disbelief Dimension noch auf zwei weiteren Dimensionen unterscheiden: zum einen entlang einer zentral-peripheren Dimension, durch die die Inhalte nach Relevanz und Bedeutsamkeit unterschieden werden können, und zum anderen auf einer Zeitachse (von der Vergangenheit über die Gegenwart bis in die Zukunft). Generell läßt sich jedes kognitive System danach unterscheiden, ob es als "offen" (open mind) oder "geschlossen" (closed mind) bezeichnet werden kann, wobei auch diese Unterscheidung nicht kategorial, sondern eher kontinuierlich ist: "Ein System wird als um so geschlossener definiert, je größer die Ablehnung gegenüber allen disbelief-Subsystemen ist, je isolierter die einzelnen beliefs voneinander sind, je größer die Diskrepanz im Ausmaß der Differenzierung zwischen belief-und disbelief-Systemen ist und je geringer die Differenzierung innerhalb des disbelief-Systems ist."
Ob nun ein individuelles kognitives System sich eher zu einem offenen oder geschlossenen entwickelt, hängt vor allem von zwei Motiven bzw. Bedürfnissen ab: zum einen von dem kognitiven Bedürfnis oder der Neugier, die Umwelt kennenzulernen und zu verstehen einerseits und der Abwehr von Angst und Bedrohungen aus der Umwelt andererseits. Im einzelnen bleiben die Ausführungen von Rokeach zu diesem Aspekt der Entstehung von Dogmatismus seltsam knapp und vage.
Die zusammenfassenden Darstellungen der zahlreichen empirischen Forschungsergebnisse mit der Dogmatismus-Skala (Ehrlich, 1978, und Vacchiano, 1977) zeigen letztendlich nur wenig überzeugende Resultate. So haben zwar hochdogmatische Personen auch stärker ausgeprägte Vorurteile, der erhoffte Zusammenhang zwischen politisch extremer Einstellung und Dogmatismus ließ sich jedoch nicht nachweisen, stattdessen nur der weit weniger konzeptadäquate Befund einer positiven Korrelation zwischen Dogmatismus und Rechtsextremismus. Auch die vermuteten Beziehungen zu bestimmten Religionszugehörigkeiten, reduzierter Interaktionsbereitschaft und klinischer Symptomatologie führten zu uneinheitlichen Befunden, so daß die Validität der Skala als fragwürdig eingestuft werden muß.
In einer summarischen Einschätzung der bisherigen Ergebnisse mit der D-Skala kommt Christie (1991, p. 562) zu dem Resultat, daß die empirischen Ergebnisse nicht den Beleg dafür haben erbringen können, daß mithilfe der Dogmatismus-Skala so etwas wie "genereller" Autoritarismus erfaßt werden kann, wiewohl das Konzept des Dogmatismus nach wie vor ein ebenso interessantes wie untersuchungswürdiges Konstrukt sei.
Auch für den deutschsprachigen Bereich gilt, daß die D-Skala, die zwar in mehreren Versionen vorliegt, wir dennoch derzeit über keine aktualsierte Version der D-Skala verfügen, da alle Skalen älter als 25 Jahre sind und von daher hoffnungslos antiquiert.
B.S.
Literatur:
Rokeach, M. (1960). The open and closed mind. New York: Basic Books.
Christie, R. (1991). Authoritarianism and related constructs. In J.P. Robinson, P.R.Shaver & L.S. Wrightsman (Eds.), Measures of Personality and Social Psychological Attitudes, Vol. 1 (501-571). San Diego, CAL: Academic Press.
Ehrlich, H.J. (1978). Dogmatism. In H. Londorn & J.E. Exner (Eds.), Dimensions of personality (129-164). New York: Wiley.
Vacchiano, R.B. (1977). Dogmatism. In T. Blass (Ed.), Personality variables in social behavior (281-314). Hillsdale, NJ: Erlbaum.
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