Lexikon der Psychologie: Innovation
Essay
Innovation
Günter W. Maier, Dieter Frey, Stefan Schulz-Hardt und Felix C. Brodbeck
Unter Innovation versteht man die Entwicklung, Einführung und Anwendung neuer Ideen, Prozesse, Produkte oder Vorgehensweisen, von denen Einzelne, Gruppen oder ganze Organisationen profitieren sollen. Diese innovativen Ideen können sich auf die Verbesserung bestehender Produkte oder Dienstleistungen beziehen, sie können sich auf die Optimierung interner Abläufe konzentrieren, oder sie haben die Entwicklung ganz neuer Produkte zum Ziel. Nicht nur die Psychologie, sondern auch die Betriebswirtschaftslehre, die Ingenieurwissenschaften und die Soziologie beschäftigen sich mit Innovationen in Organisationen. In der psychologischen Forschung wurden einige Typologien von Innovationen aus benachbarten Disziplinen aufgegriffen, da solche Kategorisierungen ermöglichen, Innovationen genauer zu operationalisieren und die Auswirkungen bei deren Implementierung zu untersuchen.
Arten von Innovationen
Im wesentlichen lassen sich drei thematische Schwerpunkte bei den Innovationstypologien unterscheiden (Anderson & King, 1993). Im soziotechnischen Systemansatz wird unterschieden zwischen a) technologischen Innovationen, die eine Organisation durch die Einführung neuer Werkzeuge, Techniken etc. verändern, b) administrativen Innovationen, die die Organisationsstruktur oder die Verwaltungsabläufe in Organisationen verändern, c) Innovationen im Randbereich von Organisationen, die zu Veränderungen an der Organisations-Umwelt-Grenze führen und meist über die eigentliche Zielsetzung der Organisation hinausgehen, indem z.B. völlig neue Produkte eingeführt werden, deren Angebot bislang nicht zur Zielsetzung der Organisation zählte. Technologische Innovationen werden meist schneller umgesetzt und effektiver eingeschätzt als administrative. Dies ist darauf zurückzuführen, daß sie viel sichtbarer sind und ihre Einführung mit mehr Prestige verbunden ist als die Innovationen in anderen Bereichen. Gleichwohl haben administrative Innovationen überwiegend den größeren Einfluß auf die organisationale Leistung.
Der zweite thematische Schwerpunkt von Typologien bezieht sich auf eine Charakterisierung der Innovationen selbst. Hier kann nach drei Dimensionen unterschieden werden: programmierte vs. nicht-programmierte Innovationen, instrumentelle vs. ultimative Innovationen sowie "Radikalität". Programmierte Innovationen sind vorausgeplant, sie stellen eine Weiterentwicklung vorhandener Produkte dar. Nicht-programmierte Innovationen sind nicht lange vorausgeplant: Auslöser sind die Entdeckung verschwendeter Ressourcen, eine drohende Krise, oder es handelt sich um proaktive Innovationen, bei denen einzelne Personen oder Gruppen die Aufmerksamkeit der Organisation auf Bereiche lenken, wo bislang unentdeckte Verbesserungsmöglichkeiten stecken. Gerade diese letzte Form der Innovationen wird häufig behindert, und ihre erfolgreiche Einführung hängt von Macht und Einfluß der Initiatoren ab. Instrumentelle Innovationen sind Teilschritte bei der Entwicklung umfangreicherer oder radikalerer Innovationen, während es sich bei den ultimativen Innovationen um Endzwecke handelt. Das Ausmaß der Radikalität einer Innovation bemißt sich danach, wie riskant und neuartig diese Innovation ist. Häufig stoßen radikalere Innovationen auf stärkere Widerstände als weniger radikale.
Der dritte Schwerpunkt bezieht sich auf die Quelle der Innovationen, und zwar wird unterschieden zwischen
- selbst entwickelten Innovationen, die in einer Organisation als Lösung für selbst gefundene Probleme entstehen,
- angepaßten Innovationen, die von außen übernommen werden, etwa von anderen Organisationen, von Forschungsinstituten o.ä.,
- auferlegten Innovationen, die einer Organisation von außen vorgegeben werden, beispielsweise durch neue gesetzliche Vorschriften.
Der Innovationsprozeß
Idealtypisch läßt sich der Innovationsprozeß für geplante Innovationen in fünf Phasen einteilen (Amabile, 1988). 1) Die Agenda wird für die Innovationsaufgaben vorgelegt, meist durch das Topmanagement. Die wichtigsten Elemente zur Schaffung eines Klimas zur Motivierung von Innovationen durch die Unternehmensleitung sind: besonders hohe Wertschätzung, eindeutige Zusage der Unterstützung bei der Übernahme höherer Risikobereitschaft, Ausdruck von Stolz auf die Organisationsmitglieder und ihre Leistungsfähigkeit sowie die Verfolgung einer offensiven Strategie, um in Zukunft zur Spitze zu gehören. Ausgelöst wird eine solche Agenda oft durch überraschende Erkenntnisse wie etwa völlig neue Möglichkeiten auf dem Markt oder eine plötzlich drohende organisationale Krise. 2) Die noch sehr allgemein gehaltenen Visionen werden vom höheren und mittleren Management durch Projektziele genauer spezifiziert. Projektgruppen werden eingerichtet, die an der Umsetzung dieser Ziele arbeiten. 3) Die eigentlich kreative Arbeit wird von Einzelnen oder Gruppen verrichtet. Das Problem oder die Aufgabe wird identifiziert und notwendige Informationen werden gesammelt; meist unter Zuhilfenahme von kreativen Heuristiken und Arbeitstechniken werden neue Ideen produziert, um anschließend zwischen diesen Ideen zu entscheiden oder mit neuen Erfahrungen die Aufgabe erneut anzugehen. 4) Es folgt die Einführung und Anwendung der neuen Ideen, also die Implementierung. Prototypen werden getestet, technische Tests und Markttests überprüfen die Nützlichkeit der neuen Ideen, die bei erfolgreicher Evaluation eingeführt werden. Sofern es sich um Innovationen innerhalb einer Organisation handelt, geht es jetzt auch darum, die relevanten Personengruppen vom Nutzen des neuen Produkts zu überzeugen und damit die Bereitschaft für dessen Anwendung herzustellen. 5) Schließlich findet die Ergebnisüberprüfung statt, in der der Markterfolg getestet wird und daraus resultierende Ergebnisse möglicherweise wieder zum Input für die Formulierung neuer Projekte werden.
Förderliche und hinderliche Faktoren von Innovationen
Je nach Art und Entwicklungsphase der Innovation erweisen sich unterschiedliche Faktoren als besonders hilfreich oder hinderlich.
1) Personmerkmale: Ein hohes Maß an Wissen, gepaart mit der Beherrschung kreativer Prozesse und einer hohen, kreativitätsbezogenen Aufgabenmotivation fördern kreatives Arbeiten. Die Wissenskomponente umfaßt den Bereich des domänenspezifischen Wissens und der Fertigkeiten (z.B. Faktenwissen, technische Fertigkeiten etc.). Vorteilhaft für die Beherrschung des kreativen Prozesses ist ein kognitiver Stil, der es erlaubt, hohe Komplexität zu verarbeiten oder Wahrnehmungs- und Denkfallen zu durchbrechen. Die gezielte Anwendung kreativitätsförderlicher Heuristiken (z.B. "Wenn alles fehlschlägt, versuche etwas, was der eigentlichen Intuition widerspricht", "Mach Dir das Vertraute fremd" etc.) oder Arbeitstechniken sowie ein entsprechender Arbeitsstil (z.B. Anstrengung und Konzentration über einen langen Zeitraum aufrechterhalten, unfruchtbare Suchstrategien abbrechen können etc.) tragen ebenfalls zur Beherrschung des kreativen Prozesses bei. Eine hohe kreative Aufgabenmotivation kann durch hohe intrinsische Motivation erzielt werden, wobei aber auch externe Anreize diese Rolle übernehmen können (Amabile, 1996).
2) Arbeitsplatzmerkmale: Die Aufgabenmotivation ist ein Resultat der sozialen Umwelt am Arbeitsplatz. Ein hoher Handlungsspielraum, optimale Herausforderungen durch die Arbeitsaufgaben oder die ausreichende Verfügbarkeit von Ressourcen wirken sich förderlich auf die kreative Aufgabenmotivation aus, während beispielsweise die Erwartung einer besonders kritischen Beurteilung oder ein stark eingeschränkter Handlungsspielraum die Aufgabenmotivation negativ beeinflussen (Amabile, 1996).
3) Merkmale von Arbeitsgruppen bzw. Aspekte der Führung: Auf der Ebene von Gruppen lassen sich besonders zwei Bereiche ausmachen, die einen Einfluß auf die Kreativität und Innovativität von Gruppen haben: das Gruppenklima und Aspekte der Führung. Beim Gruppenklima lassen sich vier kreativitäts- und innovationsförderliche Dimensionen unterscheiden, die die Phasen des Innovationsprozesses unterschiedlich beeinflussen (West, 1990):
- Vision: das Ausmaß, in dem übergeordnete Ziele von den Teammitgliedern als motivierend, klar, verständlich und erreichbar wahrgenommen werden.
- Partizipative Sicherheit: das Ausmaß, in dem die Mitwirkung bei der gemeinsamen Entscheidungsfindung als unbefangen, motivierend, und belohnend empfunden wird.
- Aufgaben- und Leistungsorientierung: das Ausmaß, in dem sich die Teammitglieder exzellenter Qualität und hoher Leistung verpflichtet fühlen.
-Unterstützung von Innovation: unterstützende soziale Normen und Erwartungen (im Sinne einer tatkräftigen Unterstützung des Teams bei der Einführung neuer Praktiken).
In einer frühen Phase der Entwicklung neuer Ideen ist eine hohe Ausprägung in der Dimension "Vision" förderlich, da ausgehend von klaren Oberzielen die Aufmerksamkeit auf das Erkennen von Defiziten und das Antizipieren unbekannter Problemstellungen gelenkt wird. Geht es im Innovationsprozeß dann weiter um das Zusammentragen und Ergänzen unterschiedlicher Ansätze, damit sukzessive die Problemstellungen gelöst werden, ist die "partizipative Sicherheit" von großer Bedeutung. Eine hohe Ausprägung in dieser Dimension stellt sicher, daß die Einzelnen nicht den Eindruck haben, für ihre Beiträge an der Teamarbeit (Gruppenarbeit) bestraft zu werden, sondern im Gegenteil motiviert werden, durch ihre Ideen das gemeinsame Produkt weiter zu verbessern. Geht es dann schließlich um die Einführung und Anwendung des entwickelten Produkts im eigenen Team, erweisen sich die Faktoren "Unterstützung von Innovation" sowie die "Aufgaben- und Leistungsorientierung" als förderlich. Ein hohes Maß an "Unterstützung von Innovation" stellt sicher, daß die Teammitglieder neuen Ideen gegenüber aufgeschlossen sind und sie nicht durch Koalitionsbildung oder Machtkämpfe verhindern. Eine hohe "Aufgaben- und Leistungsorientierung" stellt die motivationale Basis dar, produktivitätsförderliche Produkte oder Prozesse auch anzuwenden.
4) Organisationsmerkmale: Wesentlich für die Entwicklung kreativer Ideen ist ein möglichst ungehinderter Informationsfluß (Meißner, 1989) sowohl innerhalb einer Organisation (z.B. innerhalb von Abteilungen, zwischen Abteilungen) als auch über die Organisationsgrenzen hinweg (z.B. Kontakt zu Kunden, zu wissenschaftlichen Institutionen etc.). Die Merkmale der Organisationsstruktur haben dabei jeweils unterschiedliche Auswirkungen auf den Innovationsprozeß (Anderson & King, 1993):
- Zentralisierung: Ein hoher Grad an Zentralisierung in einer Organisation, d.h. die Entscheidungsbefugnisse sind in der Hierarchie sehr hoch angesiedelt, behindert die Entwicklung von Innovationen. Die Informationskanäle sind dort sehr stark eingeschränkt und Informationen demnach nicht so leicht verfügbar.
- Formalisierung: Ein hoher Grad an Formalisierung in einer Organisation, d.h. es müssen sehr viele oder sehr detaillierte Regeln und Vorgehensweisen bei der Aufgabenbearbeitung eingehalten werden, behindern eher die Entwicklung von Innovationen, da diese Regeln oftmals die Suche nach neuen Verfahrensweisen einschränken. Gleichwohl kann ein hoher Formalisierungsgrad bei der Implementierung von Innovationen nützlich sein, sofern sich die Regeln auf die bestimmungsgemäße Anwendung des entwickelten Produkts beziehen.
- Komplexität: Ein hoher Grad an Komplexität in einer Organisation, d.h. ein hohes Ausmaß an fachlicher Spezialisierung und Aufgabenverteilung, fördert zwar die Entwicklung von Innovationen, behindert aber deren Implementierung. Bei einer hohen Komplexität können die vielfältigen fachlichen Gesichtspunkte zu einer umfassenden Informationssammlung beitragen. Bei der Implementierung wird es dann aber entsprechend schwierig, einen Konsens für die Einführung herzustellen.
- Hierarchieebenen: Die Anzahl von Hierarchieebenen in einer Organisation wirkt sich sehr negativ auf die Entwicklung von Innovationen aus, da eine hohe Anzahl eher zu einer "Fahrstuhlmentalität" führt, bei der die Mitarbeiter stärker mit Gedanken an den hierarchischen Aufstieg beschäftigt sind als damit, kreativ Probleme zu entdecken und zu lösen.
Institutionalisierte Formen der Ideenfindung und Innovation
Mittlerweile gibt es eine Reihe von Programmen in Organisationen, die Innovationen fördern, erleichtern und unterstützen sollen (Frey, Brodbeck & Schultz-Hardt, 1999).
Das betriebliche Vorschlagswesen: Durch das Vorschlagswesen werden Mitarbeiter ermuntert, laufend Verbesserungsideen hinsichtlich der Optimierung von Produkten, Prozessen und Dienstleistungen zu initiieren. Vorschläge können entweder mündlich oder schriftlich und namentlich oder anonym angegeben werden. Sie können sich auf alle Bereiche beziehen, in denen Verbesserungen denkbar sind – einschließlich möglicher Verbesserungen hinsichtlich Sicherheit, Gesundheit usw.
Der kontinuierliche Verbesserungsprozeß: Der kontinuierliche Verbesserungsprozeß (KVP) ist letztlich eine (deutsche) Variante des japanischen "Kaizen" – sinngemäß "Wandel zum Besseren". Beim KVP wird dezentralisiert vorgegangen: Ausgehend von konkreten Problemen werden Problemlösungen vor Ort – einzeln oder im Team – initiiert und sofort umgesetzt. Sowohl das betriebliche Vorschlagswesen wie der kontinuierliche Verbesserungsprozeß können verbessert werden, wenn Mitarbeiter bestimmte Ideenfindungstechniken wie Tages- und Wochenreflexion, Mängelliste-Idee, fünf Warum-Fragen, "Idee der grünen Wiese" beherrschen.
Total Quality Management: Ein weiteres Mittel, Ideenfindung und Innovation voranzutreiben, ist das Total Quality Management (TQM). TQM ist – als eine grundsätzliche Führungsphilosophie – der Qualität im weitesten Sinne verpflichtet. Es geht darum, sämtliche Prozesse, die mit der Akquirierung von Kundenaufträgen sowie der Umsetzung von Kundenwünschen verbunden sind (Kundenkontakt, Vertragsabschluß, Umsetzung, Einkauf, Produktion, Werbung), hinsichtlich Zeit, Kosten und Fehlerfreiheit laufend zu optimieren.
Literatur
Amabile, T. M. (1988). A model of creativity and innovation in organizations. Research in Organizational Behavior, 10, 123-167.
Amabile, T. M. (1996). Creativity in context: Update to the social psychology of creativity. Boulder, CO: Westview.
Anderson, N. & King, N. (1993). Innovation in organizations. International Review of Industrial and Organizational Psychology, 8, 1-34.
Frey, D., Brodbeck, F. C. & Schulz-Hardt, S. (1999). Ideenmanagement und Innovation. In C. Graf Hoyos & D. Frey (Hrsg.), Lehrbuch der Arbeits- und Organisationspsychologie. Weinheim: Psychologie Verlags Union.
Meißner, W. (1989). Innovation und Organisation. Stuttgart: Verlag für Angewandte Psychologie.
West, M. A. (1990). The social psychology of innovation in groups. In M. A. West & J. L. Farr (eds.), Innovation and creativity at work: Psychological and organizational strategies (pp. 309-333). Chichester: Wiley.
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