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Lexikon der Psychologie: Interaktion

Essay

Interaktion

Ann Elisabeth Auhagen

Definition
Interaktion (eng. interaction) oder im Deutschen, synonym gebraucht "Wechselwirkung", bezeichnet – ganz allgemein – das Zusammenspiel von zwei (oder mehr) Merkmalen, Größen, Variablen, Konstrukten, Personen oder Verhaltensweisen. Für die Art des Zusammenspiels ist viel Spielraum gegeben, zum Beispiel: abhängiges sowie unabhängiges Einwirken der Gegebenheiten auf etwas Drittes; ein Aufeinander-Bezogen-Sein; ein Bilden von Sequenzen in der Zeit. Der Begriff der Interaktion wird in der Psychologie in verschiedenen Zusammenhängen verwendet: in der Statistik,soziale Interaktion, Interaktionismus-Debatte in der Differentiellen Psychologie,symbolischer Interaktionismus.

Interaktion in der Statistik
Vorbedingung für eine Interaktion in der Statistik ist, daß mindestens zwei (oder mehr) Größen eine andere dritte Größe voraussagen. Anders ausgedrückt: Unabhängige Variablen (oder Prädiktoren) sagen eine abhängige Variable (oder Kriterium) vorher, wobei die Wirkung der einen unabhängigen von der Ausprägung der anderen unabhängigen Variablen abhängt. Eine Interaktion kann selbstverständlich auch als theoretische Annahme formuliert werden. Interaktionen kommen vor in statistischen Verfahren, die dem allgemeinen linearen Modell verpflichtet sind, wie zum Beispiel der Varianzanalyse und der Kovarianzanalyse, aber auch in Verfahren, die auf nicht-linearen Modellvorstellungen beruhen, wie Loglinearen- oder Logit-Modellen. Immer, wenn die Möglichkeit besteht, daß mindestens zwei Prädiktoren ein Kriterium vorhersagen, kann eine Wechselwirkung auftreten. Ob diese allerdings aussagekräftig ist, also einen überzufälligen Beitrag zur Vorhersage des Kriteriums leistet, muß mit angemessenen Signifikanztests geprüft werden. Dabei kann es sein, daß die unabhängigen Variablen für sich gesehen keinen überzufälligen Beitrag zur Prädiktion der abhängigen Variablen leisten. Möglich ist jedoch auch, daß eine oder alle unabhängigen Variablen einen signifikanten Effekt auf die abhängige Variable ausüben. Ein fiktives Beispiel kann eine Wechselwirkung illustrieren. Mit den Prädiktoren "Geborgenheit in der Beziehung" und "sexuelle Zufriedenheit" soll vorhergesagt werden, wann Menschen sich in Liebesbeziehungen "glücklich fühlen" (Kriterium). Für sich genommen haben die Prädiktoren keinen signifikanten Effekt, aber zusammen sagen sie erlebtes Glück vorher: Wenn Menschen sich in Liebesbeziehungen geborgen fühlen und sexuell zufrieden sind, dann ist es wahrscheinlich, daß sie sich glücklich fühlen in den Beziehungen. Es hat sich dabei herausgestellt, daß sexuelle Zufriedenheit das Gefühl der Geborgenheit in Beziehungen steigert.

Soziale Interaktion
Wenn Interaktion allgemein als Wechselspiel zweier Gegebenheiten gesehen werden kann, dann sind bei der sozialen Interaktion diese Gegebenheiten Menschen. Zusätzlich lassen sich Interaktionen zwischen Tieren und zwischen Mensch und Tier als sozial bezeichnen (Ethologie, Tierpsychologie) ebenso wie Interaktionen, bei denen Menschen mit der Technik interagieren (Mensch-Maschine-Interaktion). Als minimales Kriterium für soziale Interaktion kann gelten: Die beiden (allen) Seiten bewußte Aufeinander-Bezogenheit von zwei (oder mehr) Menschen zu einem Zeitpunkt t1 und einem anderen Zeitpunkt t2. Soziale Interaktion ist also mindestens beidseitig. Damit läßt sie sich auch von der – oft mit ihr gleichgesetzten – Kommunikation abgrenzen, die einseitig verlaufen kann. Für soziale Interaktion können allerdings auch andere, strengere Kriterien aufgestellt werden. Sie wird zum Teil gleichgesetzt oder im Zusammenhang gesehen mit Interdependenz, wechselseitigem Einfluß, wechselseitiger Einwirkung, wechselseitiger Steuerung oder Kontrolle, Austausch oder sogar Macht. Soziale Interaktion kann nicht nur zwischen zwei Menschen beobachtet werden, sondern auch zwischen den Mitgliedern von Gruppen und Sozialen Netzwerken sowie zwischen Gruppen.
Jede soziale Interaktion umfaßt zwei Arten von Prozessen: zeitliche und psychologisch-inhaltliche. Die Eigenschaft des Zeitlichen macht sich die Interaktionsforschung zunutze, in dem sie Sequenzen von Interaktionen untersucht. Im Rahmen entwicklungspsychologischer Fragestellungen werden zum Beispiel Interaktionen zwischen Mutter und Kind untersucht, innerhalb von Diagnostik und Psychotherapie Interaktionen zwischen Ehepartnern. Bei arbeits- und organisationspychologischen Fragen nimmt die Analyse von Interaktionen in Gruppen eine wichtige Stellung ein (Gruppenarbeit). Dem zeitlichen Aspekt von Interaktionen kann man zum einen Rechnung tragen mit Erhebungsmethoden, die längsschnittlich orientiert sind, wie Tagebuchverfahren, Videofilmen oder Gruppendiskussionen. Zum anderen existieren geeignete statistische Auswertungsverfahren, die den zeitlichen Prozeß erfassen, wie z.B. Zeitreihen, Markoff-Modelle oder lag-sequentielle Analysen.
Interaktionen können hinsichtlich verschiedener inhaltlicher Ebenen und Abstraktionsniveaus analysiert werden. Beispiele sind Körperhaltung, Mimik und Gestik, Gesprächsinhalte, Emotionen oder Kognitionen, Prozesse von Intimität und Austausch. Im Bereich von Intimität und Austausch liegen mehrere Theorien vor, die das Auftreten und Funktionieren dieser Phänomene in Interaktionen erklären wollen. So geht zum Beispiel die Gleichgewichtstheorie der Intimität vom Wunsch nach einer distanzregulierten Ausgewogenheit von Intimität in Interaktionen aus. Die sogenannten Austauschtheorien basieren auf dem Gedankengut des Utilitarismus und vermuten daher bei zwischenmenschlichen Interaktionen ein – nicht immer bewußtes – Kosten-Nutzen-Kalkül.

Interaktionismus-Debatte in der Differentiellen Psychologie
Bei der Debatte um den Interaktionismus in der Differentiellen Psychologie bzw. Persönlichkeitspsychologie geht es um die – sehr allgemeine, aber hochrelevante – Frage: Womit läßt sich menschliches Verhalten (besser) vorhersagen – mit zeitlich stabilen Merkmalen der Persönlichkeit, mit zeitlich weniger stabilen Einflüssen, die von den Situationen ausgehen, in denen sich Menschen befinden, oder aber mit den Wechselwirkungen von Persönlichkeitsmerkmalen und Situationscharakteristika? Um das Wesentliche der Interaktionismus-Debatte zu verstehen, muß man die Differentielle Psychologie und deren Subdisziplin, die Persönlichkeitspsychologie, unter einer historischen Perspektive betrachten. Zunächst waren die psychologischen Forscher bestrebt, individuelle Unterschiede im Erleben und Verhalten von Menschen auf zeitlich stabile Persönlichkeitseigenschaften, auch Traits genannt, zurückzuführen. Empirisch wurden und werden die Traits häufig aus Fragebogendaten gewonnen, die dann mit Hilfe von Faktorenanalysen zu übergreifenden Dimensionen gebündelt werden. Forschende, die sich dieser Richtung widmen, werden auch Personalisten genannt, weil sie Verhalten mit Hilfe von Persönlichkeitseigenschaften vorhersagen. Ende der 60er, Anfang der 70er Jahre wurden jedoch Stimmen laut, die die alleinige Verhaltensvorhersage aufgrund der Persönlichkeit von Menschen bezweifelten. Diese sogenannten Situationisten wiesen auf die Bedeutung unterschiedlicher Situationen und verschiedener Situationsvariablen für die Vorhersage von Erleben und Verhalten hin. Erleben und Verhalten seien in gleichen Situationen konsistent (gleichsinnig, gleichförmig), in ungleichen jedoch nicht, unabhängig von stabilen Persönlichkeitsmerkmalen. Eine Synthese aus diesen beiden Ansätzen zur Prädiktion von Erleben und Verhalten stellen die Interaktionisten dar. Ihr Kredo: Menschliches Erleben und Verhalten läßt sich nur aus der Kombination von Persönlichkeit und Situation vorhersagen. Eine ähnliche Aussage hatte bereits Kurt Lewin zeitlich wesentlich früher getroffen mit seiner berühmt gewordenen Verhaltensgleichung V = f (P,U), die besagt, daß das menschliche Verhalten eine Funktion von Person und Umwelt ist. In den Anfängen des Interaktionismus wurde versucht, die Interaktionen zwischen Person und Situation mit Hilfe von Stimulus-Response-Fragebogen zu erfassen, die varianzanalytisch ausgewertet wurden. Inzwischen gehen moderne Ansätze von dynamischen Interaktionen zwischen Persönlichkeitsmerkmalen und Situationsvariablen aus. Zum einen wirken Charakteristika von Persönlichkeit und Situation auf das Erleben und Verhalten. Zum anderen werden vom Verhalten seinerseits Rückwirkungen auf Person und Situation angenommen. Ein vorläufiges Resümee der Debatte, die andauert, kann sein: Persönlichkeits- als auch Situationsvariablen leisten einen Beitrag am Zustandekommen von Erleben und Verhalten. Inwieweit Verhaltenskonsistenz vorliegt, scheint davon abzuhängen, um welche Verhaltensbereiche es sich handelt und inwieweit – auch objektiv verschiedene – Situationen vom Individuum als ähnlich angesehen werden.

Symbolischer Interaktionismus
Beim symbolischen Interaktionismus handelt es sich um eine weit gefaßte, übergreifende Perspektive, die sich auf einem sehr grundsätzlichen Niveau mit der Analyse von menschlichen Gesellschaften befaßt. Zu den wichtigsten Vertretern des symbolischen Interaktionismus zählen der in der ersten Hälfte dieses Jahrhunderts wirkende Sozialpsychologe George Herbert Mead und der in den 70er Jahren bekannt gewordene Soziologe Erving Goffman. Im Rahmen der Arbeiten des symbolischen Interaktionismus sind verschiedene Wissenschaftsdisziplinen zu finden wie etwa Psychologie, Soziologie, Ethnologie, Ethologie oder Kulturanthropologie. Zudem werden so unterschiedliche Konzepte integriert wie Behaviorismus, soziale Rollen, Situation, und Handlung. Kernstück des symbolischen Interaktionismus sind die symbolisierenden Interaktionen. Menschliches Sozialverhalten läuft mittels Gebärden und verbalen oder nonverbalen Gesten ab, die als Symbole für bestimmte Bedeutungsgehalte stehen und durch welche Situationen des menschlichen Lebens ihre Bedeutung erhalten. Das heißt, daß Individuen Lebenssituationen in ihrer Bedeutung interpretieren und sich dazu verhalten. Das Wissen über die Bedeutungen wird unter anderem über kulturelle und gesellschaftliche Bedingungen vermittelt und so von vielen Menschen geteilt. Ein relevanter Begriff in diesem Zusammenhang ist der der sozialen Rolle, zum Beispiel der Ärztin, in der Menschen aufgrund ihres allgemeinen und auch individuellen Verständnisses in bestimmter Weise agieren.

Literatur
Denzin, N. K. (Ed.) (1978-1998). Studies in symbolic interaction. Vol. 1-22. Greenwich, Connecticut: JAI Press.
Dörner, D. (1994). Heuristik der Theoriebildung. In T. Herrmann & W. H. Tack (Hrsg.) Methodologische Grundlagen der Psychologie. Enzyklopädie der Psychologie, 1, 343-388. Göttingen: Hogrefe.
Graumann, C. F. (1972). Interaktion und Kommunikation. In C. F. Graumann (Hrsg.) Sozialpsychologie. Handbuch der Psychologie, 7, 1109-1262.
Krahé, B. (1992). Personality and Social Psychology. Towards a synthesis. London: Sage.

  • Die Autoren
Gerd Wenninger

Die konzeptionelle Entwicklung und rasche Umsetzung sowie die optimale Zusammenarbeit mit den Autoren sind das Ergebnis von 20 Jahren herausgeberischer Tätigkeit des Projektleiters. Gerd Wenninger ist Mitherausgeber des seit 1980 führenden Handwörterbuch der Psychologie, des Handbuch der Medienpsychologie, des Handbuch Arbeits-, Gesundheits- und Umweltschutz sowie Herausgeber der deutschen Ausgabe des Handbuch der Psychotherapie. Er ist Privatdozent an der Technischen Universität München, mit Schwerpunkt bei Lehre und Forschung im Bereich Umwelt- und Sicherheitspsychologie. Darüber hinaus arbeitet er freiberuflich als Unternehmensberater und Moderationstrainer.

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