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Lexikon der Psychologie: Lebenssinn

Lebenssinn, meaning of life, als Gegenstand der Psychologie untrennbar verbunden mit dem Namen Viktor Frankl. Der Wiener Neurologe, Psychiater und Psychotherapeut wurde in seinem eigenen Leben mit der Frage nach dem Sinn auf das Brutalste konfrontiert: Frankl überlebte vier deutsche Konzentrationslager. Dort beobachtete er an sich selbst und an anderen, daß alles verloren war, wenn Menschen keinen Sinn in ihrem Leben mehr zu sehen vermögen. Frankl folgerte daraus, daß Menschen einen Willen zum Sinn besitzen. Um Personen bei der Sinnfindung zu unterstützen, begründete und entwickelte er eine eigene Form der psychotherapeutischen Intervention, die Logotherapie. Frankls philosophisch und religiös inspirierter Sinnbegriff reflektiert eine transzendente Ebene: Das Leben hat – ohne jeden Vorbehalt und unter jedweden Umständen – Sinn und Bedeutung. Dies gilt es zu entdecken. Selbst in Unfreiheit und Bedrängnis besitzen Menschen die innere Freiheit der Wahl, die Sinn fördern kann. Freiheit bedeutet dabei aber gleichzeitig Verantwortung.
Seit einiger Zeit ist die psychologische Forschung, vor allem im anglo-amerikanischen Raum, um Präzisierung des Konzeptes "Lebenssinn", um Weiterentwicklungen von Theorie und Empirie wie auch Anwendungen bemüht. Eine Essenz aus verschiedenen Überlegungen und Explikationen ist: Lebenssinn ist gleichzeitig Konstrukt sowie persönliche Konstruktion und hat zum Inhalt das Erkennen von Ordnung, Zusammenhang und Zweck der eigenen Existenz. Wichtig dabei scheinen für Menschen zu sein: Ziele, Entscheidungen, Selbstwert, soziale Werte und Empfindungen von Selbstwirksamkeit und Erfüllung. Dem Lebenssinn wohnt eine erlebnismäßige Komplexität inne, die kognitive, emotionale und motivationale Komponenten einschließt. Bleibt der Wunsch – bei Frankl der Wille – zum Sinn permanent unberücksichtigt, kann eine Person in ein existentielles Vakuum geraten. Das ist ein bedrohlicher Zustand der Langeweile, der Leere, der Bedeutungslosigkeit, der Apathie und der Ziellosigkeit.
Zur empirischen Erfassung des Konstruktes werden Selbstberichtsmethoden bevorzugt, da Lebenssinn eine sehr individuelle Färbung besitzt. Zum einen werden Fragebogen mit vorgegebenen Items und Antwortformaten verwendet, wie z.B. der Lebenszweck-Test (Purpose in Life Test), der Lebensbetrachtungs-Index (Life Regard Index) und die Skala zum Kohärenzgefühl (Scale of Coherence). Zum anderen werden Verfahren eingesetzt, in denen aufgefordert wird, in freien narrativen Schilderungen schriftlich oder mündlich zu bestimmten Lebensfragen Stellung zu nehmen. Demnach zählen zu den wichtigsten Quellen des Lebenssinns in unserer westlichen Kultur die sozialen Beziehungen. Jüngere Menschen sehen Sinn zusätzlich in Aktivitäten wie Sport und Hobby, ältere Menschen in Gesundheit und Glauben. Wenn mangelnder Lebenssinn sich ungünstig auf Menschen auswirken kann, liegt es nahe, daß ein als sinnvoll empfundenes Leben positive Einflüsse auf die Befindlichkeit haben kann. In einer Reihe von empirischen Studien ließ sich tatsächlich eine positive Beziehung zum Wohlbefinden und zur Gesundheit finden. Zudem unterstützen neuere Untersuchungen Frankls Theorie, daß sogar im Leiden Sinn gesehen werden kann und dies hilft, mit Leiden umzugehen: Durch das Erfahren von Lebenssinn können Streß und Lebenskrisen oftmals besser bewältigt werden. Einige Interventionsformen der humanistischen Psychologie, vor allem aber die von Frankl entwickelte Logotherapie, widmen sich der Unterstützung bei der individuellen Sinnfindung. Die angewandten Methoden sind vielfältig und schließen die Analyse von Vergangenheit und Gegenwart sowie die Planung der Zukunft ein, ebenso wie die speziellen Techniken der Dereflexion, eine Art Abstandgewinnen von sich selbst, und der paradoxen Intention, das Gegenteil vom eigentlich Gewollten anzustreben.

A.A.

Literatur
Frankl, V. E. (1995). Der Mensch vor der Frage nach Sinn. München: Piper.
Wong, T. P. & Fry, P. S. (1998). The human quest for meaning. A handbook of psychological research and clinical applications. Mahwah: Erlbaum.

  • Die Autoren
Gerd Wenninger

Die konzeptionelle Entwicklung und rasche Umsetzung sowie die optimale Zusammenarbeit mit den Autoren sind das Ergebnis von 20 Jahren herausgeberischer Tätigkeit des Projektleiters. Gerd Wenninger ist Mitherausgeber des seit 1980 führenden Handwörterbuch der Psychologie, des Handbuch der Medienpsychologie, des Handbuch Arbeits-, Gesundheits- und Umweltschutz sowie Herausgeber der deutschen Ausgabe des Handbuch der Psychotherapie. Er ist Privatdozent an der Technischen Universität München, mit Schwerpunkt bei Lehre und Forschung im Bereich Umwelt- und Sicherheitspsychologie. Darüber hinaus arbeitet er freiberuflich als Unternehmensberater und Moderationstrainer.

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