Lexikon der Psychologie: Raumfahrtpsychologie
Raumfahrtpsychologie, untersucht die Auswirkungen von Belastungsfaktoren auf das Erleben und Verhalten von Astronauten und stellt Methoden und Erkenntnisse für deren Auswahl, Training und missionsbegleitende Unterstützung bereit. Während ihres Aufenthaltes im Weltraum sind Astronauten einer Vielzahl unterschiedlicher Belastungsfaktoren ausgesetzt, die mit den Spezifika der Weltraumumgebung (z.B. Mikrogravitation, Veränderungen des Hell-Dunkel-Zyklus), den Lebensbedingungen in einer hermetisch abgeschlossenen Arbeits- und Lebensumgebung (z.B. sensorische Monotonie, Confinement, dauerhafte Abhängigkeit von lebenserhaltenden Systemen), den missionsspezifischen mentalen und physischen Arbeitsbeanspruchungen und den psychosozialen Bedingungen eines Zusammenlebens in einer kleinen Gruppe auf engstem Raum (z.B. eingeschränkte Privatsphäre, soziale Monotonie, Isolation vom gewohnten sozialen Netz) zusammenhängen.
Die Ursprünge der Raumfahrtpsychologie gehen auf russische Arbeiten zurück, die im Zusammenhang mit den ersten bemannten Flügen in eine Erdumlaufbahn in den 1960er Jahren und den späteren Langzeitaufenthalten russischer Kosmonauten in den Raumstationen "Saljut 6", "Saljut 7 und "Mir” entstanden sind. Breitere internationale Bedeutung hat das Gebiet vor allem in jüngerer Zeit mit der Inbetriebnahme der Internationalen Raumstation und konkreten Plänen für zukünftige interplanetare Raumflüge zum Mars erlangt. Einen spezifischen Forschungsgegenstand der Raumfahrtpsychologie bildet die Untersuchung der Auswirkungen der Mikrogravitation (Schwerelosigkeit) auf kognitive und psychomotorische Prozesse. Im Rahmen neurowissenschaftlicher Forschungsansätze bei Raumflügen werden dabei vor allem Auswirkungen der durch die Mikrogravitation veränderten afferenten Information vom Gleichgewichtssystem (Vestibularapparat) auf Prozesse der räumlichen Orientierung, Vorstellung und Objektwahrnehmung (Leone, 1998), sowie Auswirkungen einer veränderten Propriozeption von Sehnen und Muskeln auf Prozesse der Bewegungsprogrammierung und -kontrolle (Bock, 1998) untersucht. Daneben beschäftigt sich die Raumfahrtpsychologie mit den Auswirkungen langandauernder sensorischer und sozialer Montonie und einer Isolation vom gewohnten sozialen Netz auf kognitive, emotionale, motivationale und gruppendynamische Prozesse (Suedfeld & Steel, 2000). Forschungsarbeiten in diesem Bereich nutzen sowohl Laboruntersuchungen, in denen die charakteristischen Lebens- und Arbeitsbedingungen in einer Raumstation am Boden simuliert werden, als auch Felduntersuchungen bei Raumflügen oder in sogenannten analogen Umwelten (z.B. U-Boote, Antarktisstationen).
Anwendungsgebiete der Raumfahrtpsychologie umfassen die Auswahl und das Training von Astronauten sowie die Entwicklung und Bereitstellung missionsbegleitender Unterstützungsmaßnahmen (Manzey, Schiewe und Fassbender, 1995). Die bei der Astronautenauswahl verwendeten Methoden ähneln vergleichbaren Ansätzen in der Luftfahrt (Luftfahrtpsychologie) und umfassen eine umfangreiche Leistungs- und Persönlichkeitsdiagnostik sowie eine Beurteilung sozialer Kompetenzen, der im Hinblick auf Langzeitraumflüge eine besondere Bedeutung zukommt. Trainingsverfahren zielen vor allem auf eine Verbesserung der kooperativen Fertigkeiten und des Streßmanagements ab. Spezielle missionsbegleitende psychologische Unterstützungsgruppen wurden erstmals 1977 bei russischen Langzeitmissionen eingesetzt. Ihre Aufgabe ist es, die mentale und emotionale Befindlichkeit von Astronauten mit geeigneten Methoden zu überwachen und möglichen beeinträchtigenden Beanspruchungseffekten durch eine Anpassung der Arbeits-/Ruhezeiten, beratende Gespräche und vor allem verschiedene spezifische Maßnahmen zur Prävention von Monotonie und Isolationseffekten (z.B. Unterstützung von Freizeitaktivitäten, Organisation audio-visueller Kontakte mit Familie und Freunden, Versorgung mit aktuellen Nachrichten von der Erde) entgegen zu wirken.
D.M.
Literatur
Bock, 0. (1998). Problems of sensorimotor coordination in weightlessness. Brain Research Reviews, 28, 155-160.
Leone, G. (1998). The effect of gravity on human recognition of disoriented objects. Brain Research Reviews, 28, 203-214.
Manzey, D., Schiewe, A. & Fassbender, C. (1995). Psychological countermeasures for extended manned spaceflights. Acta Astronautica, 35, 339-361.
Suedfeld, P. & Steel, G.D. (2000). The environmental psychology of capsule habitats. Annual Review of Psychology, 51, 227-253.
Wenn Sie inhaltliche Anmerkungen zu diesem Artikel haben, können Sie die Redaktion per E-Mail informieren. Wir lesen Ihre Zuschrift, bitten jedoch um Verständnis, dass wir nicht jede beantworten können.