Lexikon der Psychologie: zwischenmenschliche Beziehungen
zwischenmenschliche Beziehungen, auch: soziale Beziehungen, existieren im Rahmen unterschiedlicher Kontexte und Strukturen: 1) in sozialen Netzwerken: Beispiele sind Nachbarschaften oder berufliche Vereinigungen. Mit zunehmender Verbreitung von Computern haben sich auch virtuelle Netzwerke mit virtuellen Beziehungen etabliert. Soziale Netzwerke werden oft im Zusammenhang mit sozialer Unterstützung und Befindlichkeit untersucht (Gesundheitspsychologie). 2) innerhalb von Gruppen und als Zweierbeziehungen (Dyaden): in der Sozialpsychologie traditionell Gegenstand der experimentellen Kleingruppenforschung. Eine wichtige Rolle spielen Gruppen auch in der Klinischen Psychologie, beispielsweise als Encountergruppen, in der Pädagogischen Psychologie (Klassen) und in der Arbeits- und Organisationspsychologie (Trainingsgruppen). 3) Dyadische Beziehungen werden erst seit Ende der 70er Jahre des 20. Jh. intensiver untersucht, und zwar von der sich als interdisziplinär bezeichnenden Personal – Relationship – Forschung. Eine plausible Ordnung dyadischer Beziehungen ist: a) Beziehungen zwischen Kindern, unterschieden nach Geschwister-, Freundschafts- und Gleichaltrigenbeziehungen (Peerbeziehungen). b) Beziehungen innerhalb der Familie: Eltern-Kind-Beziehungen, sowohl wenn die Kinder jung als auch wenn sie erwachsen sind; Ehen, Geschwisterbeziehungen, Beziehungen in der erweiterten Familie (Ur-Großeltern und Enkel, Onkel, Tanten, Nichten und Neffen, Vettern und Cousinen, angeheiratete Verwandte sowie verschiedene Beziehungsformen in Stief-, Adoptions- und Pflegefamilien. c) Liebes- und Partnerbeziehungen (romantische Beziehungen): gegengeschlechtliche (heterosexuelle) und gleichgeschlechtliche (homosexuelle) Beziehungen). d) Beziehungen unter Nicht-Verwandten im Privatleben: Freundschaften sowie Nachbarschafts- und Bekanntschaftsbeziehungen. e) Beziehungen im Berufsleben: Beziehungen unter Kolleg(inn)en sowie berufsbedingte Rollenbeziehungen (z.B. Ärztin und Patient).
Basis jeder sozialen Beziehung ist Kontakt. Dieser kann in Intensität sowie seiner Art und Weise variieren: Menschen können sich begegnen und miteinander kommunizieren – im Rahmen von direkten Interaktionen (Interaktion), aber auch aneinander denken oder übereinander sprechen (dies impliziert nicht unbedingt die Anwesenheit des anderen). Eine zwischenmenschliche Beziehung wird daher expliziert als die Gesamtheit der Interdependenzen des Erlebens und Verhaltens beider beteiligter Menschen.
Grundsätzlich kann bei der wissenschaftlichen Analyse zwischenmenschlicher Beziehungen der Fokus entweder auf dem Kontext von Beziehungen, auf der Einzelperson, auf der Dyade und auf größeren Strukturen wie Gruppen oder Netzwerken liegen. Als Kontext wird vor allem das gesellschaftliche und soziale Umfeld von Beziehungen verstanden. Hierunter fallen soziale Rollen, soziale Normen und soziale Repräsentationen, die im Zusammenhang mit Beziehungen in deren gesellschaftlichem und kulturellem Umfeld existieren. Einzelpersonen bringen eine Reihe von individuellen Charakteristika in Beziehungen ein (Persönlichkeitsmerkmale im engeren Sinne – Extraversion – und Erlebens- und Verhaltenstendenzen – Bindungsstile). Viele Ansätze in Form von Theorien und Modellen zur Analyse von Beziehungen widmen sich ausdrücklich dem Austausch in den zwischenmenschlichen Prozessen in Dyaden: Austauschtheorie, Interdependenztheorie, Equitytheorie, Investmenttheorie, Ressourcentheorie. Weitere wichtige Mechanismen sind Lernprozesse (Feedback), kognitive Prozesse (Engagement für die Beziehung), Selbstenthüllung gegenüber dem Beziehungspartner, Zuschreibung (Attribution) von Eigenschaften oder Handlungsmotiven und Beurteilung der Zufriedenheit mit der Beziehung. Auch emotionale Prozesse – Gefühle von Intimität, Nähe oder Liebe – sind bedeutsam. Zur Eigenheit zwischenmenschlicher Beziehungen gehört, daß sie nicht statisch sind, sondern flexibel. Beziehungen bergen neben funktionalen immer auch zeitliche Prozesse. Oft wird bei Beziehungen unterschieden zwischen einer Phase des Kennenlernens und des Aufbaus, einer Phase des Erhalts und der Beständigkeit und einer Phase der Auflösung.
A.A.
Literatur
Auhagen, A. E. & Salisch, M. v. (1993). Zwischenmenschliche Beziehungen. Göttingen: Hogrefe.
Hinde, R. A. (1997). Relationships. A dialectical perspective. Hove: Psychology Press.
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