Speicherchips: 1 Bit = 1 Atom
Schnell sollen Datenspeicher sein und mit einem langlebigen Gedächtnis versehen - Physiker erkunden die Grenzen des Möglichen.
Für viele PC-Benutzer ist es lästige Routine: Nach dem Einschalten des Rechners vergehen oft Minuten, bis er betriebsbereit ist. Der Grund für dieses zeitaufwendige "Booten" ist die technische Notlösung Arbeitsspeicher. Denn Festplatten halten zwar große Datenmengen vor, sind aber vergleichsweise langsam. Deshalb muss der Computer zunächst Programme und Einstellungen von der Festplatte in den sehr viel schnelleren Arbeitsspeicher laden. Der erinnert seine Daten aber nur, so lange er mit Strom versorgt wird. Ein weiteres Problem: Die Kapazität dieser Halbleiter-Speicherbausteine ist deutlich geringer.
Das Gedächtnis einer Festplatte steckt in ihrer dünnen magnetischen Metallschicht, darin kann sie Informationen länger als zehn Jahre behalten. Doch ein magnetischer Kopf muss diese Daten lesen und schreiben. Dessen mechanische Positionierung braucht aber bei jedem Zugriff rund zehn Millisekunden. Zum Vergleich: Die DRAM-Chips (Dynamic Random Access Memory, etwa: dynamischer Speicher mit wahlfreiem Zugriff) heutiger Arbeitsspeicher speichern Bits als elektrische Ladung in miniaturisierten Kondensatoren. Dafür benötigen sie nur etwa zehn Nanosekunden (milliardstel Sekunden). Weltweit arbeiten Wissenschaftler daran, das Problem der Stromabhängigkeit durch eine hybride Speicherarchitektur zu lösen, bei der ein Material mit nichtflüchtigem Gedächtnis direkt in Halbleiterstrukturen eingebettet wird. Das würde den Datenzugriff um das Millionenfache beschleunigen. Da ein solcher Speicherchip elektrischen Strom nur zum Lesen oder Schreiben der Information braucht, nicht aber zu ihrem Erhalt, spart er zudem Energie und produziert weniger Abwärme. Zwar gibt es dergleichen schon, doch reicht die Speicherkapazität solcher Chips noch nicht aus.
Bei nichtflüchtigen Speicherchips werden die bewährten ferromagnetischen Materialien (nach lateinisch ferrum für Eisen) noch lange eine Hauptrolle spielen. Ihre Eigenschaften verdanken sie einem komplexen, kollektiven Zusammenspiel ihrer Atome. Ferromagnetische Metalle bestehen aus mikroskopisch kleinen Domänen. Diese verhalten sich wie winzige Stabmagnete mit einem Nordpol und einem Südpol. Ein magnetisches Feld kann beide Pole vertauschen, die Stabmagneten also "umklappen" und so eine Information speichern. Ein gutes Speichermaterial zeichnet sich dadurch aus, dass dieses Umschalten schnell geht und wenig Energie verbraucht. Danach muss der Stabmagnet seine neue Orientierung – und damit das gespeicherte Bit – mindestens zehn Jahre stabil halten können.
Damit ein Material ferromagnetisch wird, braucht es mehrere Zutaten. Erstens müssen die Atome in der dünnen Schicht selbst kleine Magneten sein. Sie dürfen dieses "magnetische Moment" auch nicht verlieren, wenn sie sich zum dreidimensionalen, regelmäßigen Kristallgitter des Metalls zusammenschließen. Das kann passieren, weil vor allem die äußeren Elektronen der Atome den hier wirkenden Magnetismus erzeugen: mit ihrem Spin, den man sich als Kreiselbewegung des Elektrons vorstellen kann, und mit ihrer Bahn um den Atomkern. Schließen sich die Atome zum Kristallgitter des Metalls zusammen, sorgt ein Teil ihrer äußeren Elektronen für die dazu nötigen Bindungen.
Speicher ohne Gedächtnisverlust
Dieser Zusammenschluss verändert aber deren Bahnen und kann damit ein zuvor vorhandenes magnetisches Moment ausschalten. Schließlich müssen sich die Momente auch noch kollektiv ausrichten und so einen permanenten Magneten ausbilden. Es ist also kein Wunder, dass es sehr wenige ferromagnetische Materialien gibt: Technisch relevant sind nur Eisen, Nickel, Kobalt und deren Legierungen.
Doch es gibt Alternativen: die Ferroelektrika. In diesen Werkstoffen übernehmen elektrische Dipole die Rolle als Informationsträger. Diese winzigen "Antennen" mit einem positiv und einem negativ geladenen Ende entstehen durch komplexe Kräfte im atomaren Kristallgitter, die Teile davon gegeneinander verschieben. Dabei trennen sie positiv und negativ geladene Atome durch einen winzigen räumlichen Abstand; Physiker nennen das "remanente Polarisation". Richten sich diese Antennen kollektiv aus, dann entsteht ein ferroelektrisches Material.
Es gibt bereits erste Chips auf dem Markt, auf denen ferroelektrisches Material in die hauchdünne Oberfläche des Siliziums eingebettet ist. Solche nichtflüchtigen Speicherbausteine heißen FeRAM oder FRAM (Ferroelectric Random Access Memory, ferroelektrischer Speicher mit wahlfreiem Zugriff). Sie verrichten in SmartCards ihren Dienst, die zum Beispiel als "intelligente" Kreditkarten nicht nur Daten speichern, sondern auch weiterverarbeiten können. Mit diesen ersten Anwendungen ist die FeRAM-Technologie sogar weiter als magnetische Speicherchips: IBM und Infineon haben im Juni 2003 den Prototyp eines MRAM (Magnetic Random Access Memory) vorgestellt, dessen Speicherkapazität mit 128 Kilobit noch sehr klein ist.
"FeRAM-Chip-Prototypen erreichen momentan zwischen 16 und 64 Megabit Speicherkapazität, liegen also noch vier bis zwei Generationen hinter heutigen DRAMs zurück", erklärt Rainer Waser, Sprecher und Koordinator des gerade gegründeten "Zentrums für Nanoelektronische Systeme in der Informationstechnik" am Forschungszentrum Jülich. Er schätzt, dass FeRAMs in vier bis fünf Jahren zuerst in mobilen Computern arbeiten werden. Mit Blick auf die weiter fortschreitende Miniaturisierung muss die Grundlagenforschung eine entscheidende Frage beantworten: Wie stark dürfen Speicherstrukturen schrumpfen? Bei den Ferroelektrika sucht Rainer Wasers Gruppe nach dieser Grenze. Sie konzentriert sich dabei auf Blei-Zirkonat-Titanat (PZT). FeRAM-Entwickler schätzen diesen Werkstoff, weil er eine starke remanente Polarisation bietet, bei niedrigen Prozesstemperaturen kristallisiert und in dünnen Schichten hergestellt werden kann.
Wärmetod für Informationen
Die Jülicher Forscher bewiesen 2002, dass perfekte PZT-Kristalle auch dann noch eine stabile Polarisation aufweisen, wenn sie nur zwanzig Nanometer Durchmesser haben. Das entspricht einer Kantenlänge von gerade noch fünfzig Atomen. Zum Vergleich: In heutigen DRAMs hat ein Speicherbaustein noch gut einen Mikrometer (millionstel Meter) Durchmesser, ist also fünfzigmal größer. Die winzigen PZT-Nanokristalle kommen der theoretischen Grenze der Ferroelektrizität schon sehr nahe: Unterhalb des so genannten superparaelektrischen Limits stört die thermische Bewegung der Atome den ferroelektrischen Effekt und vernichtet damit jegliche gespeicherte Information.
Die Herstellung kleinster Strukturen schafft ein weiteres Problem: Das ferroelektrische Material lässt sich nur schlecht mit Silizium, dem Standardmaterial der Elektronikchips, "verheiraten". Bei heutigen FeRAMs ist das noch kein Problem, denn die aufgedampfte Schicht besteht immer noch aus vielen Kristallen, deren gesamte Polarisierbarkeit ausreicht, um zum Beispiel beim Auslesen ein deutliches elektrisches Signal zu geben. Schrumpft eine solche Schicht aber auf Nanodimensionen, gelingt das nur, wenn sie aus einem einzigen, möglichst perfekten Kristall gebildet wird. Andernfalls sind die Dipol-Antennen der vielen winzigen Kristalle nicht parallel ausgerichtet, sondern gegeneinander verdreht, und so heben sich diese Polarisationen zum Teil gegenseitig auf.
Leider ist das Verheiraten der perfekten Kristalle kaum möglich, denn das Kristallgitter des Ferroelektrikums passt nicht auf das von Silizium. Dampft man eine solche Schicht auf, wird der Halbleiterkristall die Anordnung ihrer Atome stark verzerren und die ferroelektrischen Eigenschaften empfindlich stören.
Kornelius Nielsch und seine Kollegen vom Max-Planck-Institut für Mikrostrukturphysik in Halle entwickelten einen eleganten Lösungsweg mit ferroelektrischem Wismut-Lanthan-Titanoxid (BLT). Sie brachten zwischen den BLT- und den Silizium-Kristall zwei Pufferschichten ein, die insgesamt nur siebzig Nanometer dick sind. Diese bauen die mechanischen Spannungen zwischen den beiden ungleichen Partnern ab und übernehmen zugleich die Funktion einer der Elektroden, die zur Datenspeicherung nötig sind. Nebenbei löst der Puffer ein weiteres Problem: BLT und Silizium reagieren bei direktem Kontakt chemisch miteinander, was das Material ungünstig verändert.
Bits aus Nanostäben
Nicht nur Ferroelektrika interessieren die Hallenser Physiker. Sie entwickeln auch neue magnetische Strukturen, um die Leistung von Festplatten zu steigern. Deren Kapazität wuchs im vergangenen Jahrzehnt durchschnittlich um sechzig Prozent pro Jahr und erreicht heute gut drei Gigabit (Milliarden Bit) pro Quadratzentimeter. Den weiteren Weg zum Terabitspeicher (Tera: tausend Milliarden) versperrt allerdings die Physik: Analog zu den Ferroelektrika droht bei ferromagnetischen Werkstoffen ein superparamagnetisches Limit, bei dem Wärmeenergie der Atome die magnetische Ordnung zerstört.
Eine raffinierte Nano-Architektur kann diesen Effekt verringern, indem sie die magnetischen Bit-Domänen in der Dünnschicht voneinander isoliert, sodass sie sich nicht gegenseitig stören. Das verbessert die Stabilität gegen thermische Einflüsse. In Kooperation mit Caroline Ross vom Massachusetts Institute of Technology (MIT) entwickelten die Hallenser Forscher zu diesem Ziel eine Bienenwabenstruktur aus hohlen Aluminiumoxid-Säulen, die mit Nickel gefüllt sind (siehe Kasten links). Da die Säulen weichmagnetisch sind, lassen sie sich leicht mit einem Magnetfeldpuls zwischen zwei Zuständen umschalten: Entweder zeigt ihr Nordpol oder ihr Südpol nach oben. So können sie eine digitale Eins oder Null speichern. Solche Nanostäbe sparen schon durch ihre senkrechte Orientierung viel Platz. Die Bit-Domänen heutiger Festplatten liegen dagegen flach nebeneinander.
Die Herstellung solcher Ensembles ist eine technologische Herausforderung. Zum Beispiel sorgt ein trickreich gesteuerter elektrochemischer Prozess dafür, dass sich auf einer Siliziumscheibe (Wafer) eine Wabenstruktur aus Aluminiumoxid selbstorganisiert aufbaut. Jede Wabenzelle enthält eine Pore, deren Größe sich durch die Prozesssteuerung einstellen lässt. Der kleinste erreichte Durchmesser liegt bei zwanzig Nanometern, die Porentiefe kann dank selektiver Ätzprozesse das Fünffache betragen. Schließlich füllt man die Poren mit Nickel.
Träumen ist erlaubt
Den Abstand zwischen zwei Nickelsäulen konnten die Forscher schon auf fünfzig Nanometer verringern. Das entspricht fast fünfzig Gigabit pro Quadratzentimeter. Doch: "Wir untersuchen das ultimative Limit", charakterisiert Klaus Kern die Forschung seiner Abteilung am Max-Planck-Institut für Festkörperforschung in Stuttgart. Die Stuttgarter Physiker beschäftigen sich zum Beispiel mit der Frage, ob Strukturen möglich sind, in denen nur ein einzelnes magnetisches Atom ein digitales Bit speichert.
Heutige Festplatten brauchen dafür rund 100000 Atome. Mit einer ausgefeilten Experimentiertechnik gelang es den Forschern, auf einer Kupfer-Oberfläche im Ultrahochvakuum organische Moleküle zur Bildung eines regelmäßigen Musters anzuregen. In jedem Grundelement dieses Musters sitzt ein Eisenatom, und diese "Bits" liegen nur noch etwa einen Nanometer auseinander. Damit würde die Speicherkapazität auf zehn Terabit pro Quadratzentimeter explodieren. Allerdings gelingt es den Physikern noch nicht, die Magnetisierungen dieser Atome einzeln umzuschalten. Das ist unerlässlich, um Informationen zu speichern – und das langfristige Ziel, wie Kern bekräftigt: "Ob das technologisch jemals realisiert werden kann, ist sehr fraglich, aber Träumen ist ja erlaubt."
Aus: Spektrum der Wissenschaft 10 / 2003, Seite 78
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