Editorial: 100 Jahre nach den Pionieren
Ich bin beileibe kein Experte für Quantentechnologien. Umso verblüffter war ich zunächst, als ich im Frühjahr 2014 von der Nationalakademie Leopoldina neben vier ausgewiesenen Fachleuten – einer davon der Nobelpreisträger Wolfgang Ketterle vom Massachusetts Institute of Technology – gebeten wurde, eine an die deutsche Forschungspolitik adressierte 60-seitige Stellungnahme zu just diesem Thema zu begutachten. Es ist der letzte Schritt auf dem Weg zur Publikation von Akademie-Papieren zur Politikberatung: Nachdem eine Arbeitsgruppe von Spezialisten oft über mehrere Jahre hinweg eine Forschungsfrage beackert oder eine wichtige Entwicklung auf einem bestimmten Fachgebiet analysiert hat, formuliert sie einen Text mit gemeinsamen Empfehlungen. Dieser wird dann vor der Veröffentlichung noch von einer kleinen Zahl unabhängiger Gutachter kommentiert. Meine Aufgabe bestand darin, die Stellungnahme aus Sicht der Wissenschaftskommunikation kritisch zu beäugen. 2015 erschien sie schließlich unter dem Titel "Perspektiven der Quantentechnologien"; Sie finden sie frei zugänglich zum Nachlesen auf den Seiten von leopoldina.org.
Die unverhoffte Lektüre hatte mich damals sofort in ihren Bann geschlagen. Der Tenor: Rund ein Jahrhundert nachdem Quantenpioniere wie Niels Bohr, Werner Heisenberg und Erwin Schrödinger das Tor aufgestoßen hatten zur Beschreibung der seltsamen Gesetze des Mikrokosmos, zeichne sich nun eine zweite Quantenrevolution ab. Ganze Industriezweige dürften sich bald herausbilden, welche die skurrilen Phänomene der Quantenwelt in großem Maßstab nutzen. Damit Deutschland die Morgendämmerung etwa der Quanteninformationstechnologien nicht verschlafe, möge die Politik geeignete Förderstrukturen schaffen, lautete das Fazit. Diesen Ruf hat schließlich die Europäische Union vernommen und 2017 ein riesiges "Flaggschiff-Projekt" aufgesetzt. Wesentlich daran beteiligt ist auch einer der Autoren von 2015, der Ulmer Physiker Tommaso Calarco. Gemeinsam mit seinem Koautor Max Riedel erläutert er ab S. 12, wie die Quanten künftig ganze Branchen umwälzen könnten. Eine weitere Einordnung nimmt Philip Ball ab S. 22 vor. Dass Quantencomputer kurz davorstünden, herkömmliche Rechner abzulösen, bezweifelt der britische Wissenschaftspublizist allerdings. Machen Sie sich selbst ein Bild!
Herzlich
Ihr
Carsten Könneker
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