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2000: Das 'Jahr der Physik'

Interview mit dem Physiker Prof. Dr. Alexander M. Bradshaw. Er ist wissenschaftlicher Direktor des Max-Planck-Instituts für Plasmaphysik und hat als Präsident der Deutschen Physikalischen Gesellschaft (DPG) das "Jahr der Physik" mit vorbereitet.

Spektrum der Wissenschaft:

Herr Professor Bradshaw, das Jahr 2000 wurde zum "Jahr der Physik" erklärt. Was verbirgt sich hinter diesem Begriff?

Professor Alexander Bradshaw:

Das "Jahr der Physik" ist Teil einer mehrjährigen Aktion, die auf eine Initiative der Bundesministerin für Bildung und Forschung, Frau Edelgard Bulmahn, zurückgeht. Diese Aktion, „Wissenschaft im Dialog“, wird gemeinsam mit den großen Forschungseinrichtungen in Deutschland durchgeführt. Wir beginnen mit der Physik. Im nächsten Jahr folgen die Biowissenschaften, danach die Geowissenschaften.

Spektrum:

Und was bezwecken Sie mit dieser Aktion?

Bradshaw:

Wir wollen den Dialog mit der Öffentlichkeit suchen, in der Gesellschaft Verständnis und Akzeptanz für die Forschung gewinnen und Wissen vermitteln. Vorbild für unsere Aktion ist die britische „Public Understanding of Science“-Bewegung, die in den letzten Jahren äußerst erfolgreich war.

Spektrum:

Warum zuerst die Physik?

Bradshaw:

Die Physik bildet die Grundlage für die Chemie, die Biologie und natürlich auch für die Technik. Sie hat als entscheidender Faktor für den Fortschritt in den angewandten Wissenschaften eine Schlüsselfunktion für den Wirtschaftsstandort Deutschland. Gerade die jungen Wachstumsbranchen hängen von der Physik ab. Des Weiteren ist die Physik eine tragende Säule unserer Kultur. Sie prägt maßgeblich das Weltverständnis der modernen Gesellschaft.

Spektrum:

Warum wurde gerade jetzt mit der Initiative „Wissenschaft im Dialog“ begonnen?

Bradshaw:

Der eigentliche Grund ist in den vielen Defiziten in der Wissenschaftsvermittlung zu suchen. In den letzten Jahrzehnten war die Gesellschaft von den Naturwissenschaften begeistert – bis die so genannte Technologiemüdigkeit aufkam. Die Leute merkten, dass die Technik nicht unfehlbar ist. Das Tschernobyl-Unglück und die Challenger-Explosion zum Beispiel haben sicherlich dazu beigetragen, dass die Begeisterung für die Technik und damit für die Naturwissenschaften nachgelassen hat. Wir spüren, dass sich nicht genügend junge Leute für die naturwissenschaftlichen Fächer interessieren. Während es auf dem Arbeitsmarkt immer mehr offene Stellen für Physiker gibt, geht die Zahl der Absolventen in diesem Fach drastisch zurück. Deshalb hoffen wir, dass das „Jahr der Physik“ auch dazu beiträgt, dass wieder mehr junge Leute Physik als Leistungsfach und später als Studienfach wählen werden.

Spektrum:

Wie wollen Sie die Schüler und Jugendlichen erreichen?

Bradshaw:

Es gibt zunächst fünf zentrale Großveranstaltungen in Berlin und Bonn. Die erste, „Jenseits der Milchstraße“, fand im Januar in der Berliner Urania statt und war der Astronomie gewidmet. Führende Astrophysiker präsentierten an mehreren Tagen den Kenntnisstand ihres Fachgebietes. Zusätzlich gab es eine Talk-Show und eine große, hervorragend gemachte Ausstellung. Offenbar verstehen die Astronomen etwas von Öffentlichkeitsarbeit. Das Interesse insbesondere von Schulklassen war überwältigend. Die Räume platzten aus allen Nähten.

Spektrum:

Welche Themen folgen noch?

Bradshaw:

Die zweite Veranstaltung „Reise zum Urknall“ Anfang April – ebenfalls in der Urania – führte in die moderne Teilchen- und Kernphysik ein. Es folgt im Juni „Gebändigtes Licht“ in Bonn; diese Veranstaltung widmet sich der Quantenoptik, der Atom-, Molekül- und Plasmaphysik. Im September ist mit dem „Stein der Weisen“ in Bonn die Festkörperphysik an der Reihe. Die Abschlussveranstaltung „Entdeckung des Zufalls“ im Dezember in Berlin greift die Quantentheorie auf, die in den letzten hundert Jahren zu einer völlig neuen Sichtweise in der Physik geführt hat. Die zahlreichen Vorträge für die Öffentlichkeit und eine Ausstellung werden begleitet von einer Fachkonferenz über verschiedene moderne Aspekte der Quantentheorie und dem „Third World Congress of Physical Societies“, wo aktuelle Probleme der Physik und des Physik-Managements diskutiert werden.

Spektrum:

Gibt es auch andernorts Veranstaltungen?

Bradshaw:

Auf lokaler Ebene finden so genannte Satelliten-Veranstaltungen statt. Sie werden zwar nicht von der Deutschen Physikalischen Gesellschaft organisiert oder vom Bundesministerium für Bildung und Forschung finanziert, aber dennoch unter dem Dach „Jahr der Physik“ integriert. So hat zum Beispiel die Münchner Max-Planck-Gesellschaft eine Vortragsreihe „Quarks, Quanten, Quasare“ organisiert. Parallel zu all diesen Veranstaltungen arbeiten wir an einer Studie zum Stand der Physik am Anfang eines neuen Jahrhunderts; sie beschreibt die möglichen Schwerpunkte der nächsten Jahre und wird an alle Politiker auf Bundes- und Landesebene verschickt.

Spektrum:

Setzen Sie bei Ihren Veranstaltungen eher auf "Show"-Effekte oder auf detaillierte Erklärungen?

Bradshaw:

Ich würde sagen, wir haben noch zu wenig Erfahrung. Es gibt bereits viele Beispiele für exzellente Wissenschaftsvermittlung. Doch kann man damit vielleicht nicht alle Bevölkerungsschichten erreichen. Die bisherigen Veranstaltungen kamen jedenfalls beim Publikum sehr gut an. Aber wir sind weiterhin experimentierfreudig.

Die Fragen stellte

Uwe Reichert, Redakteur bei Spektrum der Wissenschaft.




Aus: Spektrum der Wissenschaft 5 / 2000, Seite 103
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH

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