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Röntgenastronomie: Alles Licht der Welt

Kennen die Astronomen alle leuchtenden Objekte im Universum? Eine diffuse Strahlung, Summe des Röntgenlichts aller Sterne und anderer Strahlungsquellen, hilft bei der Inventur.


Mit immer größeren Teleskopen blicken die Astronomen immer tiefer in die Weiten des Kosmos. Die Medien können fast täglich über neue Entdeckungen am Himmel berichten: ein neuer Himmelskörper, ein neuer physikalischer Prozess, eine neue Form von Materie. Hat dieses Vordringen zu immer größeren Entfernungen und zu immer lichtschwächeren Himmelskörpern irgendwann ein Ende? Wird der Tag kommen, an dem die Astronomen davon überzeugt sind, eine komplette Inventur des Universums gemacht zu haben?

In diesem allgemeinen Sinne ist die Antwort sicherlich Nein. Denn die Astronomen wissen bereits, dass der überwiegende Teil der Materie nicht leuchtet und demzufolge auch nicht direkt zu sehen ist. Das macht weitere Überraschungen unvermeidlich. Aber was die Sterne und Galaxien sowie alle anderen bekannten und noch zu entdeckenden Bestandteile des Kosmos angeht, die selbst Strahlung aussenden, können die Astronomen optimistisch sein: Der Tag, an dem sie nahezu alles Licht der Welt bekannten Typen von Himmelskörpern zuordnen können, scheint nicht mehr fern zu sein.

Einige Forscher haben nämlich im Laufe der Zeit einen Test entwickelt, der zeigt, ob sie im Universum irgendetwas Wichtiges übersehen haben. Dazu untersuchen sie das, was für die meisten Beobachter uninteressant oder sogar lästig ist: die so genannte Hintergrundstrahlung. Wenn Wissenschaftler – egal welcher Disziplin – von "Hintergrund" reden, dann meinen sie üblicherweise alles, was nicht unmittelbar mit ihrem Forschungsgegenstand zu tun hat. Wenn zum Beispiel ein Teleskop die Strahlung eines Sterns sammelt, dann fällt zwangsläufig auch das Licht von anderen Quellen mit ein – zum Beispiel solches, das von Staubteilchen längs der Sichtlinie in Richtung Beobachter gestreut wird. Dieses zusätzliche Licht reduziert die Genauigkeit der Messung.

Im Gegensatz zu den meisten unserer Fachkollegen interessieren wir uns gerade für diesen störenden Hintergrund. Dazu messen wir zunächst die gesamte Strahlung, die aus einer gegebenen Richtung kommt. Dann ziehen wir nach und nach den "Vordergrund" ab, also die Beiträge aller bekannten Sterne, Galaxien und Gaswolken. Wenn dann noch ein Restsignal übrig bleibt, ein diffuses Leuchten unbekannter Herkunft, dann wissen wir, dass unsere Kenntnis der Himmelsobjekte noch unvollständig ist.

Manchmal ist ein diffuses Leuchten darauf zurückzuführen, dass viele Objekte so nahe beieinander stehen, dass das Auflösungsvermögen des Beobachtungsinstruments nicht ausreicht, sie einzeln sichtbar zu machen. Ein Beispiel dafür ist die Milchstraße, die dem bloßen Auge als leuchtendes, verwaschenes Band am Himmel erscheint. Schon ein einfaches Fernglas jedoch löst den Nebelstreifen in Millionen einzelner Lichtpunkte auf.

Ein diffuses Leuchten kann seinen Ursprung allerdings auch in einer Quelle haben, die tatsächlich diffus ist, wie etwa das Zodiakallicht, das der Staub in unserem Sonnensystem hervorruft, oder die nach Supernova-Explosionen zurückbleibenden Gaswolken in unserer Galaxis. Viele solcher Quellen – aber keines-wegs alle – in unserem Milchstraßensystem und in benachbarten Galaxien sind mittlerweile identifiziert und so zu einem Teil des Vordergrunds geworden. Jene Strahlung schließlich, die von weit außerhalb unserer Galaxis kommt und das gesamte Universum erfüllt, nennen wir den kosmischen Hintergrund.

In den letzten fünf Jahren, in denen die Empfindlichkeit und das Auflösungsvermögen unserer Instrumente erheblich gesteigert wurden, konnten wir Astronomen einen immer größeren Anteil des Hintergrundleuchtens erklären. Doch zugleich mussten wir lernen, dass unsere Inventarliste des Universums unvollständig war: Wir hatten die Häufigkeit extrem massereicher Schwarzer Löcher und die von ihnen verursachte Strahlung weit unterschätzt. Derartige Himmelsobjekte haben zwar sehr exotische Eigenschaften, sind aber keineswegs so selten wie lange Zeit angenommen. Frühere Untersuchungen hatten einen Großteil der Schwarzen Löcher übersehen, weil diese hinter riesigen Mengen von Staub verborgen sind. Nach der Entschleierung dieser Schwarzen Löcher aber können wir den Hintergrund vielleicht schon bald vollständig erklären.

Sterne zählen wie Käfer

Das bedeutet allerdings nicht, dass wir tatsächlich jedes Objekt gesehen haben, das es zu sehen gibt. Wir können ebenso wenig jeden Himmelskörper katalogisieren, wie ein Biologe alle Käfer einzeln zu zählen vermag. Aber genau wie die Biologen zu Recht behaupten können, dass sie alle wichtigen Landsäugetiere kennen, können wir Astronomen uns wohl schon bald sicher sein, alle wichtigen Typen leuchtender Himmelsobjekte zu kennen.

Wenn astronomisch Interessierte das Wort Hintergrund hören, denken sie sofort an die berühmte kosmische Mikrowellen-Hintergrundstrahlung. Diese den gesamten Weltraum erfüllende Radiostrahlung hat tatsächlich einen diffusen Ursprung – nämlich jenes heiße Plasma, das unseren Kosmos 400000 Jahre nach dem Urknall erfüllte. Die Expansion des Weltalls hat diese Wärmestrahlung auf eine Temperatur von 2,7 Kelvin abkühlen lassen. Das Maximum ihrer spektralen Intensitätsverteilung liegt nun bei einer Wellenlänge von etwa einem Millimeter. Aus der genauen Form dieser Strahlungskurve und winzigen richtungsabhängigen Variationen konnten einige der überzeugendsten Indizien für die Richtigkeit der Urknall-Theorie abgeleitet werden.

Die kosmische Mikrowellen-Hintergrundstrahlung ist indes nur ein Teil des gesamten Hintergrunds aus elektromagnetischer Strahlung kosmischen Ursprungs. Weitere Beiträge gibt es in anderen Wellenlängenbereichen: den weniger bekannten Röntgen-Hintergrund, den Infrarot-Hintergrund und den optischen Hintergrund.

Eine der größten Herausforderungen für die beobachtende Astronomie ist es, alle diese Komponenten des kosmischen Hintergrunds präzise zu messen. Dabei erscheint die Aufgabe vom Prinzip her einfach: Man messe die gesamte ankommende Strahlung und subtrahiere alle bekannten Quellen – das Rauschen des Detektors, Störsignale aus unserem eigenen Sonnensystem, alle Emissionen aus der Galaxis, und so weiter. Außerdem ist eine etwaige Abschwächung des Hintergrundsignals durch den Vordergrund zu berücksichtigen.

Doch in der Praxis erweist sich dieses Verfahren als ziemlich knifflig. Denn die Subtraktion ist eine Rechenoperation, durch die sich die unvermeidlichen Messungenauigkeiten noch verstärken. In manchen Wellenlängenbereichen haben die Beobachter Glück, weil der Hintergrund die hellste Emission am Himmel ist. In anderen Bereichen hingegen ist es genau umgekehrt: Hier muss gewissermaßen ein schwaches Glimmen aus dem gleißenden Feuerschein des Vordergrunds herausgefiltert werden. Meistens ist die Genauigkeit entscheidend, mit der die Astronomen die Emissionen des Vordergrundes kennen. Sie können versuchen, dieses Problem zu umgehen, indem sie sich auf solche Regionen des Himmels beschränken, in denen es fast keine Sterne und Galaxien gibt – je langweiliger das Himmelsareal, desto besser. Trotz aller Hindernisse ist es den Astronomen auf diese Weise inzwischen gelungen, das Spektrum des kosmischen Hintergrunds über einen großen Wellenlängenbereich mit hoher Genauigkeit zu bestimmen.

Die Röntgen-Komponente der kosmischen Hintergrundstrahlung, 1962 entdeckt, weist bei einer Energie von etwa 30000 Elektronenvolt – das entspricht etwa der Wellenlänge von medizinischer Röntgen-Strahlung – ein breites Maximum auf. Zu höheren Energien bis in den Gammastrahlungsbereich fällt die Kurve langsam ab. Unterhalb von 1000 Elektronenvolt sind dem Kontinuum viele atomare Emissionslinien überlagert. Diese weisen auf ein mehrere Millionen Grad heißes Gas hin, das sich innerhalb oder um unser Milchstraßensystem he-rum befindet.

In den siebziger Jahren zeigten die ersten Röntgen-Satelliten wie Uhuru, Ariel V und HEAO-1, dass die hochenergetische Röntgenstrahlung gleichmäßig über den Himmel verteilt ist. Sie muss deshalb vorwiegend extragalaktischen Ursprungs sein. Käme die Strahlung aus unserem Sonnensystem oder der Milchstraße, so sollte sie zur Ekliptik oder zur galaktischen Ebene hin konzentriert sein. Gamma-Satelliten wie SAS-3, Cos-B und Compton haben eine ähnlich gleichmäßige Verteilung auch bei noch höheren Energien nachgewiesen.

Während der Mikrowellen- und der Röntgen-Hintergrund in ihrem jeweiligen Spektralbereich dominieren, tragen auch die anderen Komponenten des kosmischen Hintergrunds zu diesen Strahlungen bei, wenn auch nur in geringem Maße. Erst vor wenigen Jahren gelang es mehreren Forschergruppen unabhängig voneinander, das Signal des Hintergrunds im fernen Infrarot im hochfrequenten Bereich des kosmischen Mikrowellen-Hintergrunds nachzuweisen. Im nahen bis mittleren Infrarot verdeckt das helle Zodiakallicht den Hintergrund; vor dem direkten Nachweis mussten deshalb die Astronomen auf Extrapolationen aus anderen Wellenlängenbereichen zurückgreifen. Außerdem konnte nun eine obere Grenze für den Infrarot-Hintergrund aus der Beobachtung hochenergetischer Gammastrahlung abgeleitet werden: Ein zu dichter Schleier aus Infrarot-Photonen nämlich würde die Ausbreitung der Gammastrahlung stören.

Die erste direkte Messung im optischen und im ultravioletten Spektralbereich haben Rebecca A. Bernstein von der Universität von Michigan in Ann Arbor und ihre Kollegen von den Carnegie-Observatorien in Pasadena (Kalifornien) letzten Dezember vorgestellt. Vor dieser Arbeit mussten sich die Astronomen mit einschränkenden Aussagen behelfen, die sie aus Zählungen der lichtschwächsten Galaxien mit dem Hubble-Weltraumteleskop ableiteten. Im extremen Ultraviolettbereich schließlich verschleiert das interstellare Medium den Hintergrund – hier hilft nur eine Interpolation zwischen Messungen im UV- und im Röntgen-Bereich.

Gravitationsenergie in Strahlung verwandeln

Um anhand der Hintergrundstrahlung tatsächlich unser Wissen über den Kosmos überprüfen zu können, brauchen wir ein Verfahren, das einen Vergleich von Messergebnissen und Erwartung ermöglicht. Das ist keineswegs einfach. Denn der Hintergrund ist ein schwer zu entwirrendes Gemenge diverser Strahlungen unterschiedlichster Himmelsobjekte.

Gewöhnliches, durch thermonukleare Fusion erzeugtes Sternenlicht ist im Wesentlichen auf den nahen Infrarotbereich, auf optische und auf ultraviolette Wellenlängen beschränkt. Quasare und andere aktive Galaxienkerne, deren zentrale Schwarze Löcher Materie verschlingen und dabei höchst effektiv Gravitationsenergie in Strahlung umwandeln, strahlen in einem sehr breiten Band, das vom Radiobereich bis zur Gammastrahlung reicht. Staubwolken absorbieren optische, ultraviolette und Röntgen-Strahlung, wobei sie die aufgenommene Energie im fernen Infrarot wieder abstrahlen. Noch komplizierter wird die Angelegenheit dadurch, dass sich im Hintergrund die Strahlung von Objekten völlig unterschiedlicher Entfernungen und Entwicklungsstufen vermischt.

Eine Strategie besteht nun darin, den Himmel mit der bestmöglichen Auflösung und Empfindlichkeit zu durchmustern, um daraus Informationen über spezifische Quellen der Hintergrundstrahlung zu gewinnen. Durch Vergleich der Ergebnisse bei verschiedenen Wellen-längen können wir dann diese Quellen identifizieren. Mit dieser direkten Vorgehensweise lässt sich die erforderliche Genauigkeit jedoch nur für relativ helle Objekte in kleinen Himmelsarealen erreichen. Um ein Gesamtbild zu erhalten, müssen wir auf eine andere Methode zurückgreifen, die so genannte Populations-Synthese. Hierbei berechnen wir für verschiedene Kombinationen von Objekten, welche Hintergrundstrahlung sich ergeben würde, und vergleichen dies mit den Messungen. Dann probieren wir so lange unterschiedliche Kombinationen aus, bis eine mit den Messergebnissen übereinstimmt.

Tiefe Himmelsdurchmusterung mit dem Röntgensatelliten Rosat

Da der Röntgen-Hintergrund bereits am längsten bekannt ist, wurde er intensiver untersucht als die anderen Komponenten. Die grundlegende Frage, ob er auf nicht-aufgelöste Quellen oder auf eine bislang unbekannte Art diffusen Gases zurückzuführen ist, hatten die Astronomen drei Jahrzehnte lang heftig diskutiert ("Quellen des kosmischen Röntgenhintergrundes", SdW 3/1983, S. 54). Erst in den neunziger Jahren konnten sie den Disput mittels indirekter Argumente beilegen. Würde nämlich der Röntgen-Hintergrund von heißem intergalaktischem Gas ausgesandt, müsste dieses Gas unseren Blick auf den kosmischen Mikrowellen-Hintergrund stören: Das Spektrum des Mikrowellen-Hintergrunds würde dann von jenem eines idealen Strahlers, eines Schwarzen Körpers, abweichen. Doch die Beobachtungen – vor allem mit dem Satelliten Cobe – haben keine derartige Abweichung gefunden. Somit kann höchstens ein kleiner Teil des Röntgen-Hintergrunds von heißem Gas stammen. Zwar könnte auch kühleres Gas einen Beitrag liefern, aber der Hauptanteil muss seinen Ursprung in diskreten Quellen haben.

Den ersten Versuch, die Art dieser Quellen zu entschlüsseln, unternahmen in den frühen achtziger Jahren Riccardo Giacconi, der Entdecker des Röntgen-Hintergrunds, und andere mit Hilfe des Röntgen-Satelliten Einstein. Es gelang ihnen, ein Fünftel des Röntgen-Hintergrunds in Einzelquellen – wie etwa Quasare – aufzulösen. Mit dem Satelliten Rosat wurde diese Arbeit fortgesetzt. 1984 trafen sich Giacconi, Maarten Schmidt (der Entdecker der Quasare), Joachim Trümper (der "Vater" von Rosat) und einer der Autoren (Hasinger) im Max-Planck-Institut für extraterrestrische Physik in Garching. Gemeinsam begannen wir, eine "tiefe" Durchmusterung des Himmels nach Röntgenquellen mit Rosat zu planen. Nach dem Start dieses Satelliten 1990 wurde diese Durchmusterung zu einem großen Forschungsprojekt, das über ein Jahrzehnt andauerte und an dem zahlreiche Wissenschaftler beteiligt waren.

Die Rosat-Durchmusterungen des so genannten Lockman-Lochs – einer Region nahe des Großen Wagens am Nordhimmel, die nahezu frei von Vordergrund-Absorption ist – gehört zu den längsten und tiefsten Untersuchungen dieser Art, die je durchgeführt worden sind. Damit ist es gelungen, 80 Prozent des Hintergrunds bei Energien unterhalb von 2000 Elektronenvolt, einem Bereich, den die Astronomen als weiche Röntgen-Strahlung bezeichnen, in Einzelquellen aufzulösen. Als aufwendig und Zeit raubend erwies sich dann die optische Identifizierung dieser Röntgenquellen. Die meisten der optischen Gegenstücke sind äußerst lichtschwach. Als wäre das noch nicht schwierig genug, mussten wir diese Objekte obendrein spektral untersuchen, denn nur so können wir ihre Eigenschaften und Entfernungen bestimmen. Ohne die beiden Keck-Teleskope auf Hawaii mit ihren 10-Meter-Spiegeln wäre diese Arbeit nicht möglich gewesen – und selbst mit diesen Riesenfernrohren war es noch schwierig genug, für die Spektren genügend Licht einzufangen.

Blockierte Sicht auf Schwarze Löcher

Wie sich zeigte, sind rund 80 Prozent der Rosat-Quellen aktive Galaxienkerne unterschiedlichster Art – hauptsächlich helle Quasare und so genannte Seyfert-1-Galaxien. Die breiten Emissionslinien dieser aktiven Galaxienkerne sind ein Indiz dafür, dass wir ungehindert in ihre innersten Regionen sehen können, also in jene Gebiete, in denen sich die monströsen Schwarzen Löcher befinden.

Die restlichen aktiven Galaxienkerne weisen allerdings nur schmale Emissionslinien auf – oder sogar überhaupt keine. Vermutlich blockieren bei ihnen Gas und Staub den Blick auf das zentrale Schwarze Loch. Diese Objekte werden als Typ-2-Quasare oder Seyfert-2-Galaxien eingestuft. Ein solcher zweiter Typ passt gut in das "vereinheitlichte Modell" für aktive Galaxienkerne, das Mitte der achtziger Jahre vorgeschlagen wurde. Demnach haben alle aktiven Galaxienkerne nicht nur ein zentrales Schwarzes Loch, sondern auch einen Ring aus Gas und Staub. Je nach Orientierung dieses Ringes kann der Blick auf das Schwarze Loch frei oder versperrt sein. Das Modell wurde seither zwar verbessert, aber an dieser grundlegenden Aussage hat sich nichts geändert: Wir sehen also entweder einen unbedeckten aktiven Galaxienkern (Typ 1) oder einen bedeckten (Typ 2).

Die Durchmusterungen im weichen Röntgen-Bereich haben also gezeigt, dass aktive Galaxienkerne die dominierenden Quellen des kosmischen Röntgen-Hintergrunds sind. Doch als die Astronomen ihr zweites Verfahren anwendeten – die Populations-Synthese –, tauchte ein Problem auf. Durch das Aufaddieren der Spektren der unterschied-lichen Typen von aktiven Galaxienkernen, gewichtet nach ihrer Häufigkeit, sollte sich eigentlich so etwas wie das Spektrum des Röntgen-Hintergrunds ergeben – was aber nicht der Fall war. Die Spektren der aktiven Galaxienkerne nämlich sind flach oder weisen eine breite Delle auf, der Röntgen-Hintergrund hingegen zeigt einen Buckel bei 30000 Elektronenvolt.

Giancarlo Setti von der Universität Bologna (Italien) und Lo Woltjer von der Sternwarte Haute-Provence (Frankreich), die damals gemeinsam bei der Europäischen Südsternwarte Eso in Garching arbeiteten, schlugen 1989 eine Lösung für dieses Rätsel vor. Sie vermuteten, bei der Populations-Synthese seien die aktiven Galaxienkerne nicht mit ihren korrekten Häufigkeiten berücksichtigt worden. Entgegen der gängigen Meinung könnten, so ihr Argument, die meisten Quellen des Röntgen-Hintergrunds Typ-2-Kerne sein. Röntgenstrahlung hoher Energie – so genannte harte Strahlung – könnte nämlich den Gas- und Staubring um die Schwarzen Löcher durchdringen, während die weiche Röntgenstrahlung absorbiert werde. Dann würde das Spektrum des Röntgen-Hintergrunds anders aussehen als das der hellen aktiven Kerne.

Diese Idee haben die Theoretiker aufgegriffen und in die Populations-Synthese integriert. Um die "richtige" Mischung von Typ-1- und Typ-2-Kernen zu finden, berücksichtigten sie nun auch die zeitliche Entwicklung dieser Objekte. In einer 1995 publizierten Arbeit zeigten Andrea Comastri – damals am Max-Planck-Institut für extraterrestrische Physik in Garching – und seine Kollegen, dass solche Modelle tatsächlich das Spektrum bis zu einer Energie von 300000 Elektronenvolt reproduzieren können, wenn der größte Teil der von den Schwarzen Löchern emittierten Strahlung (80 bis 90 Prozent) von dichten Gas- und Staubwolken verdeckt wird. Daraus folgt aber, dass diese Energiemonster im frühen Universum rund hundertmal häufiger waren als heute. Demnach hatte fast jede Galaxie einst einen aktiven Kern. All diese Objekte hätte man also fast übersehen – wäre da nicht der kosmische Röntgen-Hintergrund, aus dem man ihr Vorhandensein erschließen könnte.

Eine Galaxie lüftet den Schleier

Auch der optische und der infrarote Hintergrund geben Rätsel auf. Der optische Hintergrund ist vermutlich die aufsummierte Emission von Sternen, rotverschoben durch die Expansion des Alls. Der infrarote Hintergrund hingegen zeigt das Spektrum von 10 bis 100 Kelvin warmem Staub, ebenfalls rotverschoben. Die von dem Staub abgestrahlte Energie müssen ursprünglich Sterne und aktive Galaxienkerne geliefert haben. Der infrarote Hintergrund ist jedoch genauso hell oder sogar heller als der optische Hintergrund. Das ist etwa so, als wäre der Mond – der das Sonnenlicht reflektiert – heller als die Sonne selbst. Dieses Paradoxon lässt sich erklären, wenn man wie beim Röntgen-Hintergrund annimmt, dass ein großer Teil der Strahlungsquellen von Gas und Staub verhüllt ist.

Um diese Überlegungen zu bestätigen, haben sich die Astronomen einem Spektralbereich zugewandt, der nicht von Gas und Staub beeinflusst wird: harte Röntgen-Strahlung. Die beiden großen Röntgen-Teleskope, die sich jetzt in der Erdumlaufbahn befinden – Chandra mit seiner exzellenten Auflösung und XMM-Newton mit seiner großen Sammelflä-che – registrieren Strahlung mit Energien bis 10000 Elektronenvolt. Damit erweitern sie den bisher mit Rosat untersuchten Energiebereich, allerdings kommen auch sie noch nicht an das Maximum des Röntgen-Hintergrunds bei 30000 Elektronenvolt heran.

Die bislang empfindlichsten Röntgen-Durchmusterungen haben die Forschungsgruppen von Giacconi, der jetzt an der Johns-Hopkins-Universität tätig ist, und Gordon P. Garmire von der Staats-Universität von Pennsylvania mit Chandra in zwei Himmelsarealen durchgeführt, die als "Chandra Deep Field South" und "Hubble Deep Field North" bekannt sind. Mit XMM-Newton beobachtete unsere Gruppe das bereits mit Rosat durchmusterte Feld im Lockman-Loch mit besonders langen Belichtungszeiten, also besonders "tief", wie die Astronomen sagen. Mit diesen Beobachtungen ist es gelungen, die von den Modellen vorhergesagte Population von extrem stark absorbierten Röntgenquellen zu finden und etwa 80 Prozent des harten Rönt-gen-Hintergrunds in Einzelquellen aufzulösen.

Die Suche nach den dazugehörigen optischen Quellen ist inzwischen in vollem Gange. Bislang erweisen sich die Quellen als eine Mischung aus aktiven Galaxienkernen der Typen 1 und 2, in guter Übereinstimmung mit den Modellen. Interessanterweise sind zehn Prozent der von Chandra entdeckten Röntgenquellen sehr lichtschwache Galaxien, vermutlich normale Sternsysteme ohne aktiven Kern. Ihre Röntgen-Strahlung stammt von Gas, das durch Sternentstehungsprozesse aufgeheizt ist.

Die beiden bisher verfolgten Strategien zur Untersuchung des Hintergrunds stellen die Astronomen noch nicht völlig zufrieden: Die Himmelsdurchmusterungen sind nur so genau, wie es der Stand der Technik gerade zulässt, und die Populations-Synthese ist ein höchst abstraktes Verfahren. Deshalb haben die Astronomen eine dritte Strategie ersonnen: Sie suchen das nahe Universum nach den Galaxien vom Typ 2 ab.

In der Galaxie NGC 6240 wurden sie fündig. Dieses Sternsystem ist sozusagen das Schwarze Schaf unserer kosmischen Nachbarschaft – ein Mitglied der exotischen Klasse der ultraleuchtkräftigen Infrarot-Galaxien, kurz ULIRGs. Derartige Sternsysteme senden den Löwenanteil ihrer Strahlung im fernen Infrarot aus, ein Indiz dafür, dass sie mit Staub geradezu gesättigt sind. Weil Staub aus schweren Elementen besteht, die in Sternen entstanden und anschließend im All verteilt wurden, folgt aus der riesigen Staubmenge auch eine hohe Sternentstehungsrate. Während unser Milchstraßensystem pro Jahr nur einige wenige neue Sterne hervorbringt, müssen es in NGC 6240 Hunderte sein. Aber NGC 6240 ist nicht nur von den Folgen dieser hohen Sternentstehungsrate gezeichnet: Die Galaxie verfügt auch über eines der gefräßigsten Schwarzen Löcher im nahen Universum.

Das Spektrum von NGC 6240 zeigt die gleichen Dellen und Buckel wie jenes des kosmischen Hintergrunds. Es enthält alle Zutaten, um daraus das richtige Hintergrundspektrum zu mischen – wir müssen sie nur in den richtigen Verhältnissen nehmen.

Aus den Beobachtungen von NGC 6240 haben die Astronomen gelernt, worauf die unerwartet hohe Anzahl von Typ-2-Kernen im frühen Universum zurückzuführen ist: Die aktiven Kerne dieses Typs wurden von Ausbrüchen gesteigerter Sternentstehung begleitet. Diese Sterne erzeugten den Staub, der die Schwarzen Löcher vor unseren Blicken verbirgt. Tatsächlich stoßen wir auf immer mehr Hinweise darauf, dass sowohl die Entstehung neuer Sterne, als auch die "Fütterung" Schwarzer Löcher in der Vergangenheit wesentlich häufiger war als heute. Beide Prozesse scheinen ihren Höhepunkt in der gleichen Ära der kosmischen Geschichte gehabt zu haben.

Gefräßige Schwarze Löcher als Geburtshelfer für Galaxien?

Warum aber treten aktive Galaxienkerne und Ausbrüche von Sternentstehung (so genannte starbursts) stets zusammen auf? Bislang wissen wir das nicht. Womöglich sind beide Prozesse auf dieselbe Ursache zurückzuführen – nämlich auf die Kollision von Galaxien. Derartige Zusammenstöße lassen Gas in die Zentralbereiche der Galaxien strömen, wo es entweder neue Sterne bildet oder in das Schwarze Loch fällt. Fast alle ULIRGs, auch NGC 6240, weisen Anzeichen für eine in der Vergangenheit liegende Kollision mit einer anderen Galaxie auf. Andererseits scheinen nicht alle aktiven Galaxienkerne mit solchen kosmischen Verkehrsunfällen in Zusammenhang zu stehen.

Viele Forscher glauben, der Zusammenhang zwischen aktiven Galaxienkernen und Starbursts könnte sogar noch enger sein: Vielleicht entzünden die Schwarzen Löcher selbst das Feuer der Sternentstehung – oder die Sterne helfen, Materie in die Schwarzen Löcher zu schleudern. Vielleicht bilden Sterne und extrem massereiche Schwarze Löcher eine Art Symbiose und sind unfähig, ohne die andere Art zu existieren. Ein solcher Zusammenhang könnte dann auch die beobachtete Korrelation zwischen den Eigenschaften der Galaxien und ihrer zentralen Schwarzen Löcher erklären.

Ermutigt durch die Untersuchung von NGC 6240 und ähnlichen Galaxien, haben die Astronomen versucht, mittels der Populations-Synthese nicht nur den Röntgen-, sondern auch den optischen und den infraroten Hintergrund mit aktiven Kernen und Starbursts zu erklären. Es scheint jedoch nicht ganz zu funktionieren. Mit Beobachtungen mit Chandra und dem SCUBA-Instrument, das im Spektralbereich zwischen dem Infraroten und der Radiostrahlung misst, konnte man keine großen Überlappungen feststellen. Omar Almaini vom Royal Observatory im schottischen Edinburgh und seine Kollegen haben abgeschätzt, dass bis zu 30 Prozent des kosmischen Infrarot-Hintergrunds von aktiven Kernen hervorgerufen werden. Hasinger und seine Kollegen haben Messungen mit XMM-Newton und dem Infrared Space Observatory kombiniert und fanden so eine untere Grenze von 15 Prozent für den Beitrag der aktiven Kerne zum Infrarot-Hintergrund.

In einer weiteren Arbeit vermuten Elese Archibald vom Joint Astronomy Center in Hilo auf Hawaii und ihre Mitautoren, dass sich in diesen Befunden die natürliche Abfolge der Galaxienentwicklung widerspiegelt. In ihrem Szenario bildet sich jede Galaxie zunächst um ein Schwarzes Loch relativ geringer Masse als "Keim". Während das Schwarze Loch anfangs vielleicht nur das Zehn- bis Tausendfache der Sonnenmasse aufweist, sendet die Galaxie hauptsächlich Sternenlicht aus. Das Schwarze Loch schwillt jedoch exponentiell an, weil es so viel Materie aufnimmt, wie es nur kann. Nach etwa 500 Millionen Jahren ist es zu einem Giganten mit einer Milliarde Sonnenmassen herangewachsen. Die einfallende Materie heizt sich nun so stark auf, dass sie die Sterne der Galaxie überstrahlt: Ein Quasar ist geboren. Nach einer Weile hat dieser Moloch alle Materie in seiner Umgebung aufgesogen und fällt dann gewissermaßen in den Schlaf – bis neues Gas in das Zentrum der Galaxie eindringt und ihn wieder aufweckt. Er kann sogar im Verlauf der Entwicklung mit anderen, ähnlich großen Schwarzen Löchern verschmelzen.

Das Rätsel der Dunkelheit

Manche unserer Kollegen glauben, dass uns noch immer ein paar wichtige Puzzleteile fehlen, um das kosmische Bild zu vervollständigen – zum Beispiel Galaxien, deren Sterne so dünn im Raum verteilt sind, dass wir sie übersehen, oder Sterne, die vor den ersten Galaxien entstanden sind (siehe "Die ersten Sterne im Universum", Spektrum der Wissenschaft 2/2002, S. 26). Für das hochenergetische Ende des kosmischen Hintergrunds werden auch andere Quellen als die aktiven Galaxienkerne vermutet. So könnte zum Beispiel ein großer Teil des Gamma-Hintergrunds von Elektronen stammen, die während der Entstehung der großräumigen Strukturen im Kosmos auf enorme Geschwindigkeiten beschleunigt wurden.

Weitere, intensive Durchmusterungen des Himmels sind nötig, um die diversen Prozesse zu entwirren, die zum Hintergrund beitragen. Künftige Observatorien – wie die Space Infrared Telescope Facility, das Herschel Far-Infrared Telescope, das Next Generation Space Telescope und das Atacama Large Millimeter Array – werden jene Objekte weiter studieren, die mit den Röntgen-Satelliten entdeckt worden sind. Besonders wichtig könnte die Röntgen-Spektroskopie mit der geplanten Xeus-Mission werden – so könnten wir erstmals Rotverschiebungen allein aus Röntgen-Beobachtungen gewinnen, insbesondere bei Objekten, die so stark von Staub verdeckt sind, dass sie im optischen Bereich gar nicht sichtbar sind. All diese künftigen Beobachtungen und Messungen werden vielleicht eines Tages den noch mysteriösen Zusammenhang zwischen den Galaxien und ihrem zentralen Schwarzen Loch erhellen, uns zeigen, was von beiden zuerst entstanden ist, und beschreiben, wie die Sternentstehung mit der Aktivität des Schwarzen Lochs zusammenhängt.

Der kosmische Hintergrund ist mittlerweile ein klassisches Beispiel dafür, dass nichts in der Astronomie so ist, wie es zunächst scheint. Allein die Anwesenheit des Hintergrunds zeigt uns schon, dass der Nachthimmel keines-wegs, wie man glauben könnte, völlig dunkel ist. In der Vergangenheit war die Dunkelheit des Nachthimmels einfach vorausgesetzt worden – und die Forscher hatten überlegt, warum das so ist. Denn in einem unendlichen Universum müsste jeder Sehstrahl irgendwann auf einen leuchtenden Stern treffen. Das heißt: Egal, in welche Richtung wir blicken, sollten wir einen Stern wahrnehmen können. Die Helligkeit der Sterne nimmt zwar mit ihrer Entfernung ab, dafür sollte aber ihre Anzahl entsprechend zunehmen. Beide Effekte kompensieren sich genau, sodass der Nachthimmel eigentlich überall so hell sein sollte wie die Sonnenscheibe – Tag und Nacht wären ununterscheidbar.

Dieses Rätsel, bekannt als das Olbers?sche Paradoxon, löste der Schriftsteller Edgar Allan Poe 1848. In seinem Prosagedicht "Eureka" argumentierte er, die Sterne hätten nicht genug Zeit gehabt, das Universum mit ihrem Licht zu erfüllen. Die Dunkelheit des Nachthimmels berichtet uns also von der zeitlichen Endlichkeit des Kosmos – das Universum muss einen Anfang gehabt haben. Diese Vermutung ist nicht nur bisher nicht widerlegt worden, sie hat sich sogar als höchst bedeutsam bei der Formulierung der Urknall-Theorie erwiesen.

Trotzdem ist die Nacht keineswegs pechschwarz – der Himmel glimmt im Licht des kosmischen Hintergrunds. Wenngleich wir große Fortschritte dabei gemacht haben, diesen Hintergrund zu erklären, bleibt noch viel zu tun. Während die Denker des 19. Jahrhunderts darüber grübelten, warum der Nachthimmel dunkel ist, müssen die heutigen Kosmologen herausfinden, warum er nicht vollständig dunkel ist.

Literaturhinweise


Resolving the Extragalactic Hard X-Ray Background. Von R. F. Mushotzky et al. in: Nature, Bd. 404, S. 459, 30. März 2000.

The Rosat Deep Survey I: X-Ray Sources in the Lockman Field. Von G. Hasinger et al. in: Astronomy & Astrophysics, Bd. 329, Heft 2, S. 482, Januar 1998.

Aus: Spektrum der Wissenschaft 5 / 2002, Seite 22
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH

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