Alternative Bewirtschaftung des Regenwaldes - Leguane als Fleischlieferanten
Im Rahmen eines Entwicklungshilfeprojektes in Costa Rica werden Möglichkeiten erforscht, im tropischen Regenwald unter Bewahrung des empfindlichen Ökosystems eine Leguanzucht zu etablieren. Mit diesem Tier sollte sich auf umweltschonende Weise ein doppelt so hoher Fleischertrag bei halb so hohen Kosten erzielen lassen wie mit Rindern.
Viehzucht ist nach der Brandrodung durch Kleinbauern und der kommerziellen Holzverwertung einer der Hauptgründe für die unwiderrufliche Vernichtung tropischen Regenwaldes. So wurde in dem mittelamerikanischen Staat Costa Rica zwischen 1960 und 1980 ein Viertel der gesamten Waldfläche abgeholzt, um Weideland für Rinder zu schaffen, deren Zahl sich im gleichen Zeitraum verdoppelte.
Doch schon bald verliert der Boden seine Fruchtbarkeit; nicht verwertbare Pflanzen machen sich breit, die Grasnarbe wird durch die Hufe zerstört, und der Regen spült das ungeschützte Erdreich fort. Abschätzungen ergaben einen Verlust von 2,5 Tonnen Ackerkrume je exportiertem Kilo Rindfleisch. In der Regel sind die Weidegründe spätestens nach einem Jahrzehnt verbraucht, und es müssen neue Waldflächen gerodet werden.
Allein in Mittelamerika tragen auf diese Weise 9,5 Millionen Rinder maßgeblich zur Zerstörung des Regenwaldes bei. Doch läßt die Nachfrage nach Rindfleisch in den Industriestaaten – dort als Hamburger und Steak beliebt – den Viehbestand stetig wachsen. Weil die Viehzucht zugleich ein Hauptdevisenbringer für die Staaten Mittelamerikas ist, wird sie trotz der schädlichen Folgen für die Umwelt sogar staatlich subventioniert.
Mit der Rodung der Tropenwälder wird allerdings nicht nur ein einzigartiges Ökosystem mit vielen noch immer unbekannten Pflanzen- und Tierarten in lebensfeindliches, unfruchtbares Ödland verwandelt – es gelangen auch große Mengen des Treibhausgases Kohlendioxid in die Atmosphäre und gefährden die Stabilität des globalen Klimasystems. Aus diesem Grund muß es im weltweiten Interesse sein, die weitere Zerstörung zu verhindern.
Dies hat sich jedoch als überaus schwierig erwiesen. Ein Schutz der verbliebenen Wälder allein durch Ausweisung von Reservaten ist sicherlich kein probates Mittel. Die wachsende Bevölkerung braucht landwirtschaftlich nutzbare Flächen. Nur wenn sie durch den Wald selbst ein Auskommen findet, hat er eine Überlebenschance. Was nottut sind deshalb langfristig ökologisch verträgliche Bewirtschaftungsmethoden. Doch wie kann der Mensch den tropischen Regenwald mit seinem nährstoffarmen Boden nutzen, ohne das labile Gleichgewicht dieses Ökosystems zu unterhöhlen?
Tatsächlich werden einige verträgliche Nutzungsformen seit langem praktiziert und bilden bereits stetige Einkommensquellen für die Bevölkerung. In der Regel handelt es sich dabei um traditionel-le Bewirtschaftungsarten, die sogar das funktionierende Ökosystem des Regenwaldes voraussetzen. So sind die tropischen Wälder Amerikas nach wie vor die einzige Quelle von Paranüssen und liefern einen wesentlichen Teil des weltweiten Angebots an Chashews. Allein durch Verkäufe dieser Produkte in die USA werden jährlich fast 300 Millionen Dollar umgesetzt.
Wegen seiner wirtschaftlichen Bedeutung ist der Paranußbaum in Brasilien sogar geschützt. Doch ohne die gleichzeitige Bewahrung des Waldes nützt das wenig. Dann bleibt der unantastbare Urwaldriese als groteskes Mahnmal auf kargen Flächen einsam stehen und geht – ohne Chance, sich fortzupflanzen – schließlich zugrunde.
Pflanzenprodukte aus dem Regenwald reichen als wirtschaftliche Basis für dessen Erhaltung nicht aus; auch die Tierwelt müßte wirtschaftlich genutzt werden. Die Beweidung des Waldbodens scheidet dabei freilich aus. Weil nicht mehr als ein Prozent des Sonnenlichts so weit vordringt, gedeihen hier nur wenige Pflanzen. Bodenbewohnende Pflanzenfresser müssen sich deshalb mit dem wenigen zufrieden geben, was von höheren Regionen herabfällt; ihre Fleischproduktion ist entsprechend gering.
Dagegen gibt es im hochproduktiven Bereich des Kronendaches selbst durchaus Tiere, die sich für eine den Regenwald schonende Viehwirtschaft eignen könnten. Dabei scheint der grüne Leguan besonders vielversprechend (Bild 1). Bei einer Körperlänge von einem Meter enthält er etwa 1,5 Kilogramm Fleisch, das wohlschmeckend ist und schon seit 7000 Jahren von den Indios verzehrt wird. In Mittelamerika ist das Reptil so populär, daß es auch Baumhuhn genannt wird. Es kann sich von vielerlei Pflanzenprodukten wie Yam-Blättern, Hibiscus-Blüten oder Bananen ernähren, weil Mikroorganismen in seinem spezialisierten Magen den Speisebrei aufschließen und bei Bedarf entgiften. Die Weibchen legen einmal im Jahr 40 bis 70 Eier, was eine hohe Reproduktionsrate ermöglichen sollte.
Als Kaltblüter hat der Leguan einen weiteren Vorteil. Während Säugetiere einen Großteil der Nahrungsenergie dazu verwenden, ihren Körper auf einer bestimmten Temperatur zu halten, läßt er sich von der Sonne aufwärmen. Dadurch benötigt er nur etwa halb so viel Energie zum Leben wie vergleichbare Säugetiere und kann entsprechend mehr davon in Fleischmasse umsetzen.
Aufbauend auf ersten Versuchen in Panama, arbeitet die deutsche Biologin Dagmar Werner an einem Projekt zur wirtschaftlichen Verwertung des Leguans in Costa Rica. Dabei geht es primär um die Entwicklung von Zuchtmethoden, die für Kleinbauern praktikabel sind. Die Indios im kleinen Indianerreservat KéköLdi (das "L" steht für einen Laut zwischen "l" und gerolltem "r") an der Karibikküste Costa Ricas, nahe der panamaischen Grenze, erklärten sich zur Zusammenarbeit bereit, und so wurde dort mit Unterstützung von Umweltorganisationen mittlerweile eine Auswilderungsstation geschaffen.
Die zur Zucht ausgewählten Tiere werden in Gehegen gehalten. Die Reptilien, die aus den im Boden abgelegten Eiern schlüpfen, bleiben bis zu einem Alter von sieben Monaten in Käfigen (Bild 2). Diesen Lebensabschnitt überlebt in freier Natur weniger als ein Zehntel des Nachwuchses; der große Rest fällt Freßfeinden wie Vögeln, Katzen und Schlangen zum Opfer oder stirbt an Krankheiten. Ab dem siebten Monat ist die Überlebenschance dann wesentlich höher.
Pro Jahr werden zur Zeit etwa zwei- bis dreitausend Jungtiere im Reservat freigelassen. Der Erfolg dieser Auswilderung ist bereits deutlich sichtbar. In vielen Bäumen und Sträuchern findet man inzwischen wieder große, ausgewachsene Exemplare des grünen Leguans. Vorerst steht die kommerzielle Nutzung dabei noch im Hintergrund; vielmehr geht es in erster Linie darum, das Reptil im Indio-Reservat wieder einzubürgern und für einen gewissen Bestand zu sorgen.
Später allerdings rechnet man mit rund 400 Tieren, die jährlich pro Hektar Regenwald erjagt werden könnten. Damit wäre der Fleischertrag doppelt so hoch und nur halb so kostenintensiv wie bei der Rinderzucht auf Weiden. Außerdem ist Leguanfleisch proteinhaltiger als das von Rindern. Die Initiatoren des Projektes schätzen den potentiellen Bedarf in Costa Rica auf knapp eine Million Tiere pro Jahr; für deren Aufzucht würden einige tausend Hektar Regenwald genügen.
Viel dürfte jedoch davon abhängen, ob Leguanfleisch auch in den Industrienationen akzeptiert wird und genügend Popularität erlangt. Die momentane Furcht der Verbraucher vor dem Rinderwahnsinn könnte einer garantiert unbedenklichen Alternative durchaus Chancen eröffnen. Das gilt um so mehr, wenn dem zunehmend umweltbewußten Konsumenten klar gemacht wird, daß er mit dem Verzehr von Leguanfleisch zugleich zur Erhaltung der tropischen Regenwälder statt zu ihrer Vernichtung und so letztlich auch zum Schutz seines eigenen Klimas beiträgt.
Aus: Spektrum der Wissenschaft 7 / 1996, Seite 24
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH
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