Direkt zum Inhalt
Login erforderlich
Dieser Artikel ist Abonnenten mit Zugriffsrechten für diese Ausgabe frei zugänglich.

Neuroplastizität: Eine Lesehilfe für den Kortex

Im Alter fällt vielen Menschen das Nahsehen schwer. Mit gezielten Übungen kann das Gehirn jedoch lernen, feine Details und Kontraste wieder schärfer wahrzunehmen.
Buchcover Ericsson q

Bis vor Kurzem galt die Ansicht, dass die Verschaltungen des Gehirns bei einer Person nach dem Erwachsenwerden mehr oder weniger unveränderlich sind. Sicherlich hielt man generell auch gelegentliche Justierungen für möglich, wenn etwas Neues gelernt wurde, doch darin sah man lediglich die Festigung einiger neuronaler Verbindungen und die Schwächung anderer. Ansonsten aber ging man davon aus, dass die Grundstruktur des Gehirns und seine verschiedenen Neuronennetzwerke so blieben, wie sie einmal waren. Hinzu kam die Überzeugung, dass die Unterschiede zwischen den individuellen Fähigkeiten hauptsächlich durch genetische Faktoren in den Verschaltungen des Gehirns bedingt waren und dass Lernen lediglich ein Mittel war, um sein genetisches Potenzial auszuschöpfen. Eine gängige Darstellung verglich das Gehirn mit einem Computer: Beim Lernen lädt man Daten oder installiert eine neue Software – und kann dann einige Dinge tun, zu denen man zuvor nicht in der Lage gewesen ist. Letztlich ist die Leistung aber stets abhängig von Dingen wie der Anzahl der Bytes im Arbeitsspeicher (RAM) und der Stärke des Prozessors (CPU).

Die Anpassungsfähigkeit des Körpers hingegen zeigte sich schon immer deutlicher. Eins meiner liebsten Beispiele für Anpassungsfähigkeit sind die Liegestütze. Ein relativ fitter Mann zwischen 20 und 30 Jahren wird wahrscheinlich 40 bis 50 schaffen; mit 100 kann man bei seinen Freunden Eindruck schinden und vielleicht ein paar Wetten gewinnen. Wo also liegt, glauben Sie, der Weltrekord? Bei 500 oder 1000? 1980 schaffte der Japaner Minoru Yoshida 10 507 Liegestütze ohne Pause.

Kurz gesagt: Der menschliche Körper ist ungeheuer anpassungsfähig. Und das trifft nicht nur auf die Skelettmuskulatur zu, sondern auch auf Herz, Lungen, Kreislauf, Energieträger und anderes – alles, was mit Körperkraft und Ausdauer zu tun hat. Inzwischen wissen wir, dass das Gehirn in ganz ähnlichem Maß und in ebenso vielfältiger Weise anpassungsfähig ist. ...

Dieser Beitrag ist ein Auszug aus "TOP Die neue Wissenschaft vom bewussten Lernen" von K. Anders Ericsson und Robert Pool, erschienen bei Pattloch, München 2016.

Kennen Sie schon …

Spektrum - Die Woche – Wer lebt am Grund des Nordpols?

Die Tiefsee rund um den Nordpol ist einer der am wenigsten erforschten Orte der Erde. Begleiten Sie das Forschungsschiff »Polarstern« auf seiner Expedition und entdecken Sie Artenvielfalt und Auswirkungen des Eisrückgangs auf das Ökosystem. Das alles und noch viel mehr in »Spektrum - Die Woche«!

Gehirn&Geist – Licht - Wie es unser Denken beflügelt

Wenn die dunkle Jahreszeit beginnt, machen wir es uns gern mit Lichterketten und Kerzen gemütlich. Dabei hellt Licht nicht nur die Stimmung auf: Dank seines Einflusses auf die Hirnfunktion kann das Denken profitieren. Daneben berichten wir, wie Einzelkinder wirklich sind, oder wie Blase und Gehirn beim Urinieren zusammenarbeiten und was es mit dem Harndrang auf sich hat. Unser Artikel über Sigmund Freund widmet sich der unrühmlichen Geschichte der Psychologie und Psychotherapie unterm Hakenkreuz. Im Interview gibt die Psychologin Gilda Giebel Einblicke in den Alltag in der Sicherungsverwahrung. Sie behandelte dort als systemische Therapeutin die brutalsten Männer Deutschlands.

Spektrum der Wissenschaft – Altern - Was uns länger leben lässt

Menschen altern unterschiedlich – abhängig vom Lebensstil, der Ernährung, dem Stresspegel oder dem sozialen Umfeld. Mit zunehmendem Lebensalter steigt auch das Risiko für Demenzerkrankungen wie Alzheimer. Ein wirksames Mittel gegen dieses Leiden ist immer noch nicht gefunden, neue Erkenntnisse aus der Forschung lassen jedoch hoffen. Die weltweit alternden Gesellschaften fordern aber nicht nur die Medizin heraus, sondern auch unsere Sozialfürsorge. Letztlich bleibt das wichtigste Ziel, möglichst lange gesund und agil zu bleiben.

  • Quellen

Barnes, S.J., Finnerty, G.T.: Sensory Experience and Cortical Rewiring. In: Neuroscientist 16, S. 186–198, 2010

Burton, H. et al: Adaptive Changes in Early and Late Blind: A fMRI Study of Braille Reading. In: Journal of Neurophysiology 87, S. 589–607, 2002

Driemeyer, J. et al.: Changes in Gray Matter Induced by Learning – Revisited. In: PLoS ONE 3, e2669, 2008

Gage, F.H.: Neurogenesis in the Adult Brain. In: Journal of Neuroscience 22, S. 612–613, 2002.

May, A.: Experience-Dependent Structural Plasticity in the Adult Human Brain. In: Trends in Cognitive Sciences 15, S. 475–482, 2011

Polat, U. et al.: Training the Brain to Overcome the Effect of Aging on the Human Eye. In: Scientific Reports 2, S. 278, 2012

Sadato, N.: How the Blind ›See‹ Braille: Lessons from Functional Magnetic Resonance Imaging. In: Neuroscientist 11, S. 577–582, 2005

Sterr, A. et al.: Perceptual Correlates of Changes in Cortical Representation of Fingers in Blind Multifinger Braille Readers. In: Journal of Neuroscience 18, S. 4417–4423, 1998

Schreiben Sie uns!

Beitrag schreiben

Wir freuen uns über Ihre Beiträge zu unseren Artikeln und wünschen Ihnen viel Spaß beim Gedankenaustausch auf unseren Seiten! Bitte beachten Sie dabei unsere Kommentarrichtlinien.

Tragen Sie bitte nur Relevantes zum Thema des jeweiligen Artikels vor, und wahren Sie einen respektvollen Umgangston. Die Redaktion behält sich vor, Zuschriften nicht zu veröffentlichen und Ihre Kommentare redaktionell zu bearbeiten. Die Zuschriften können daher leider nicht immer sofort veröffentlicht werden. Bitte geben Sie einen Namen an und Ihren Zuschriften stets eine aussagekräftige Überschrift, damit bei Onlinediskussionen andere Teilnehmende sich leichter auf Ihre Beiträge beziehen können. Ausgewählte Zuschriften können ohne separate Rücksprache auch in unseren gedruckten und digitalen Magazinen veröffentlicht werden. Vielen Dank!

Bitte erlauben Sie Javascript, um die volle Funktionalität von Spektrum.de zu erhalten.