Am Rande: Der Guru
Auch große Wissenschaftler fangen klein an. Vor Lorbeeren und Ruhm, die ohnehin nicht jeden ereilen, begnügt sich der Anfänger bescheiden mit kleinen Erfolgen, zum Beispiel den ersten Veröffentlichungen. Steht der Name auf dem allerersten Paper noch an letzter Stelle, da es nur bis zum Meßknecht gereicht hat, rutscht der angehende Forscher nach und nach auf die vorderen Positionen. Das Herz schlägt höher, wenn die eigene Arbeit auch von anderen Gruppen zitiert wird, und es überschlägt sich fast vor Freude, wenn endlich die persönliche Anerkennung durch einen altehrwürdigen Guru des Fachgebiets folgt.
"Ich habe Ihr Paper gelesen", sagte Mann mit dem wirren Haar. Eigentlich ein einfacher, fast schon gewöhnlicher Satz. Doch aus dem Mund eines renommierten Altmeisters gesprochen, wirbelte er in der Hypophyse meines Kollegen Vlad ungeahnte Mengen von Glückshormonen auf. Für den jungen aufstrebenden Wissenschaftler schien die Welt wieder im Lot. Die eigene Arbeit war hiermit anerkannt, die Leistung durch eine Größe des Fachs gewürdigt. "Hm, war sehr interessant." Wenn auch ein wenig unspezifisch, so drückten diese gemurmelten Worte doch einen gewissen Respekt aus. Vlad wollte das nicht leugnen, auch wenn der Guru sich kurze Zeit später mit den Worten verabschiedete: "Wie war doch gleich Ihr Name?" Der alte Herr schlurfte davon.
Doch, wie überall im Leben, ist auch in der Wissenschaft der Weg zum Erfolg ein langer, steiniger Pfad. So mag es passiert sein, dass mein Kollege, beflügelt von der noch frischen Erinnerung, das alte Idol wiedertraf und der gutmütige Gentleman ihn erneut ansprach: "Ich habe Ihr Paper gelesen. War sehr interessant. Wie war doch gleich Ihr Name?"
Aus: Spektrum der Wissenschaft 4 / 2000, Seite 99
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH
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