Am Rande: Erdstrahlen und Franzbranntwein
Nichts trifft das ruhige Leben eines Physikers härter als harmlose Fragen vermeintlicher Laien. Wie funktioniert denn das? Warum ist das so? Gerade die liebe Verwandtschaft – immer noch etwas pikiert darüber, daß man nichts "Anständiges" gelernt hat – peinigt uns hin und wieder gerne mit vorgeblich unscheinbaren Problemchen.
"Kind, wie schirmen Kupferringe eigentlich die Erdstrahlung ab", fragte mich kürzlich meine Oma. "Du bist doch Physikerin." Die Schwierigkeit liegt dabei keinesfalls in der Fragestellung als solcher, sondern vielmehr im Anspruch der älteren Dame. Ein einfaches "Erdstrahlung gibt es nicht" ist hierbei völlig unakzeptabel. Denn erstens ist meine Oma in dieser Hinsicht deutlich besser informiert, und zweitens sind die üblichen Selbstversuche längst abgeschlossen. Aus Mangel an entsprechenden Ringen hatte meine Oma bereits zwei Nächte auf einem Kupferbild gelegen. Vorläufiges Ergebnis: Ihr Knieleiden hatte merklich nachgelassen, ein Zufall war undenkbar. In solchen Fällen ist Diplomatie gefordert, und die Taktik lautet Zeitspiel.
Physiker mögen nicht alles wissen, doch haben sie notgedrungen gelernt, daß Geduld meist schon der erste Schritt zum Erfolg ist. Tatsächlich konnte meine Oma in einer langfristig angelegten Versuchsreihe von fünf Tagen ihre ersten Ergebnisse nicht mehr bestätigen, worauf sie sich genötigt sah, auf Franzbranntwein umzuschenken. Und dazu darf sie dann ausgiebig ihren Arzt befragen. Der hat wenigstens was "Anständiges" gelernt.
Aus: Spektrum der Wissenschaft 3 / 2000, Seite 103
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH
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