Am Rande: Hahn am Körbchen
Ein mutiges Bekenntnis zur Sinnlichkeit in der Wissenschaft
Wer forscht, sündigt nicht? Nun, im Allgemeinen ja, der Wissenschaftler sperrt Eros aus dem Labor, denn im hormonfreien Raum denkt es sich objektiver. Sinn und Sinnlichkeit zu vereinen, scheint so sinnvoll wie die Quadratur des Kreises. Doch dass in manchem Forscher auch ein Mann steckt, enthüllte jüngst eine Presseinformation der Arbeitsgemeinschaft industrieller Forschungsvereinigungen: "Passende BHs dank berührungsloser Messverfahren."
"Mit 3-D-Ganzkörper-Laserscannern ermittelten Forscher des Bekleidungsphysiologischen Instituts Hohenstein in Bönnigheim ... die aktuellen Körperdaten von Frauen für die Bekleidungsindustrie." Hätten dies Proust oder Rilke schöner sagen können? Im Innersten berührt, erfährt der Leser, warum die Hohenheimer Forscher 1500 Damen an die Unterbekleidung gingen: "Aus dieser ... Reihenvermessung wurden Körpermaß- und Marktanteiltabellen abgeleitet und Konstruktionsgrundlagen für die Entwicklung von Miederbekleidung erarbeitet."
Bei aller Sinnlichkeit schwingt auch ein Hauch von Wehmut mit, erlaubte der wissenschaftliche Fortschritt doch nur das berührungslose Scannen der Konturen mit dem Laser. Denn "im Vergleich zur manuellen Maßerfassung" hatten die Herren so "in kürzerer Zeit mehr Maße und Haltungsdaten bei konstanter Messgenauigkeit" in der Hand. Und so kam denn auch die Forschung nicht zu kurz, bestätigten die Daten doch "bereits früher festgestellte Tendenzen hinsichtlich der Zunahme von Körperlänge und Brustumfang bei der weiblichen Bevölkerung". Auch Neues gab es zu vermelden, und so wurde die BH-Studie zur runden Sache: Nahezu 35 Prozent der Frauen tragen zu kleine Büstenhalter; mehr als die Hälfte kannte ihre Körbchengröße nicht. Dank 3D-Laserscanning wird damit nun Schluss sein.
Mehr davon, möchte man(n) der Scientific Community zurufen. Und: Nehmt Euch ein Beispiel, denn es ist zu Eurem Vorteil. Zwar kommt das kühle Abstraktionsniveau heutiger Wissenschaft der Erkenntnis zugute, doch vergrault es auch den Laien. Vielleicht steht dem public understanding of science die Wissenschaft selbst im Wege. Denn sie hat verloren, was für ihre Begründer noch selbstverständlich war – eine sinnliche Erfahrung der Welt.
Aus: Spektrum der Wissenschaft 12 / 2001, Seite 89
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH
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