Am Rande: Neue Dienstleistung: das Gedächtnis-Outsourcing
Erfindungen, die die Menschheit braucht: der Memo-Clip
Als Zivildienstleistender in einer psychiatrischen Einrichtung betreute ich vor etlichen Jahren eine Frau, deren Merkfähigkeit durch eine Krankheit eingeschränkt war: Sie kannte die Namen aller Verwandten und Bekannten aus früheren Tagen, tat sich aber schwer mit aktuellen Informationen. Also zog sie bei den entsprechenden Gelegenheiten Täfelchen aus der Tasche, auf der ihr Name vermerkt war und der ihrer Klinik, bei anderen "Habe ich Ihnen schon die Fotos meiner Familie gezeigt?" "Ja, haben Sie (schon tausendmal)." "Und wer sind Sie?" Erfreulicherweise lernte ihr Gehirn mit der Zeit doch, die eine oder andere Gedächtnisfunktion wieder zu installieren, und besagte Patientin fand sich schließlich sogar allein in der Stadt zurecht.
Dieser Anstrengung müsste sie sich nicht mehr unterziehen, wenn eine Erfindung der Fakultät für Informatik der Universität Karlsruhe Produkt wird. In jener wunderbaren Zukunft, in der wir von einer Armee an Computern umgeben sind, die beispielsweise Kühlschränke zierend, am Gürtel hängend, in der Schuhsohle eingelassen oder aus dem Armaturenbrett blinkend nur darauf warten, uns das Leben zu erleichtern, in jener schönen neuen Welt übernehmen Memo-Clips die lästige Arbeit des Erinnerns. Sie sind mit allen anderen Maschinen und zusätzlichen Assistenten vernetzt, wissen alles über uns, erraten unsere Absichten und fungieren als elektronischer Post-it und Einkaufszettel.
Wie würde Eugen Roth wohl darüber denken?
Ein Mensch, der flott dem Ausgang naht,
naht auch dem Clip, der stets parat,
vom Server, der ja alles weiß,
erfährt, "Da draußen ist es heiß".
Und weil der Mensch, das ist fixiert,
die Sonn’ allergisch nur pariert,
mahnt ihn sein Clip kurz vor der Tür:
"Geh bloß nicht ohne Kapp’ von hier!"
Der Mensch, dem solches widerfährt,
denkt: "Ist das Leben nicht was wert?"
Und wohl behütet knipst er dann
sein Hirn aus und den Rechner an.
Ihr
Klaus-Dieter Linsmeier
Aus: Spektrum der Wissenschaft 6 / 2002, Seite 95
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH
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